Festival: Lied & Lyrik:So nah am Fröhlichsein wie möglich

Anne Sofie von otter singt beim grandios besetzten "Lied & Lyrik"-Festival in Coburg Lieder aus Theresienstadt.

Egbert Tholl

"Theresienstadt, Theresienstadt, wann wohl das Leid ein Ende hat, wann sind wir wieder frei?" So endet der Text des Liedes "Ich wandre durch Theresienstadt", das Ilse Weber wie so viele andere Lieder schrieb, als sie im sogenannten Vorzeigelager der Nazis auf ihren Tod, auf ihre Vernichtung durch Gas, Hunger, Krankheit, Qual, Drangsalierung und menschenunwürdige Lebensumstände wartete.

Beim Festival "Lied & Lyrik", dass seit gestern in Coburg und auf Kloster Banz stattfindet, wird Anne Sofie von Otter dieses Lied neben vielen anderen singen, die in Theresienstadt entstanden sind. Begleitet wird sie dabei unter anderem von Daniel Hope an der Violine, und allein diese Besetzung erhebt das Konzert zu einem Ereignis. Doch es ist viel mehr: Es ist ein niederschmetterndes Monument wider das Vergessen.

Otter kam im Jahr 2000 zum ersten Mal in Berührung mit dieser Musik, die im Angesicht des Todes geschrieben wurde. Damals wurde sie gebeten, beim Internationalen Holocaust-Forum in Stockholm zu singen. Nie mehr ließen die Lieder und auch die Instrumental-Stücke sie je wieder los. Schon ihr erster Eindruck, erinnert sich Otter heute, war bestimmt einerseits von der schlichten Schönheit dieser Lieder, andererseits sofort auch von der Erkenntnis, welche Bedeutung diese Lieder über ihre ergreifende musikalische Gestalt hinaus haben. 2007 brachten sie und Hope zusammen mit Künstlerfreunden eine CD mit diesem besonderen Repertoire heraus.

Mehr noch als die Kunstlieder - ich hatte davor ja schon öfters Musik jüdischer Komponisten gesungen - beeindruckte mich die Gebrauchsmusik, die in Theresienstadt für Kabarettabende geschrieben wurde, als Arbeitslieder, Wiegenlieder. Das hat mich sehr bewegt." Manchen Liedern merkt man auf Anhieb gar nicht an, dass sie in einem Konzentrationslager entstanden sind; andere wiederum suchen nach einem Fünkchen Hoffnung in all dem Leid, drücken die Sehnsucht nach Frieden und Heimat aus oder wenden sich auch mit satirischem Ingrimm gegen die Situation. "Jeder reagierte anders. Pavel Haas musste von seinen Freunden zum Aufstehen gezwungen werden, damit er überhaupt etwas schrieb. Andere wie Viktor Ullmann explodierten förmlich vor Kreativität. Sein Wille zu schaffen war genauso groß wie sein Wille zu überleben." Und wieder andere, meint Anne Sofie von Otter, waren in Theresienstadt "so nahe am Fröhlichsein, wie man unter diesen Umständen nur fröhlich sein kann".

Otter ist immer noch begeistert von der musikalischen Qualität der Lieder, obwohl sie sie schon oft gesungen hat. Manche brachten Überlebende in ihren Köpfen mit in die Freiheit, manche wurden in Kopien aus dem Lager geschmuggelt. Inzwischen werden sie von Stiftungen gesammelt und ediert - als Otter ihnen zum ersten Mal begegnete, bestanden viele Lieder nur aus Skizzen. Nun tragen sie zum Erinnern bei. Vielleicht ein Erbe: Otters Vater, Göran von Otter, ein schwedischer Diplomat, traf 1942 im Zug Kurt Gerstein, einen SS-Offizier, der Zeuge der Massenvernichtung geworden war und das Wissen darüber der freien Welt weitergeben wollte.

Am heutigen Montag singt Anne Sofie von Otter um 20 Uhr im Landestheater Coburg. Beim Festival treten unter anderen Juliane Banse, Barbara Bonney und Brigitte Fassbaender auf. Den Abschluss bilden Christian Gerhaher und Martin Walser mit dessen Neufassung von Tiecks/Brahms' "Schöner Magelone". (Infotelefon: 095 72/750 00)

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