Feldmoching:Endlich wirklich zu Hause

Schwarzbau-Siedlung Schwarzhölzl/Dratfeld im äußersten Feldmoching

Gutes Gefühl: Franz Knäbl erinnert sich noch an jeden Stein, an jeden Nagel, die für den Bau des Einfamilienhauses notwendig waren.

(Foto: Florian Peljak)

Die Häuser entlang des Privatweges "Am Dratfeld" in der Schwarzhölzl-Siedlung entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg und sind formal bis heute Schwarzbauten. Nun will die Stadt die Gebäude durch eine neue Außenbereichssatzung legalisieren - zur Erleichterung der Bewohner

Von Simon Schramm, Feldmoching

"Die Leute fragen mich manchmal, wieso ich nicht wegziehe", sagt Franz Knäbl. Sein Blick wandert kurz durch die Küche und bleibt mit Blick auf die mit einer Lichterkette geschmückten Tanne im großen Garten stehen. Und für eine Antwort, die er gleich selber gibt, braucht er nicht lange. "Die verstehen das nicht, was für eine Beziehung ich zu diesem Gebäude habe. Ich habe jeden Ziegel selber in der Hand gehalten und jeden schiefen Nagel gerade geschlagen, um ihn auch noch zu verwenden."

Sein Wohnhaus, etwas abgelegen vom Feldmochinger Altdorf an der Seitenstraße "Am Dratfeld" nahe der Autobahn, hat Knäbls Vater mit Unterstützung seiner gesamten Familie im Jahr 1949 gebaut. Die Familie schaufelte damals den Keller aus, sie raffte auch das Baumaterial an. Die Säcke Zement - Knäbl: "50 Pfennig für 50 Kilo, das muss man sich mal vorstellen" - wuchtete die Familie von Allach zu ihrem Grundstück mit einem Ochsenkarren, den sie sich von den Feldmochinger Bauern geliehen hatten. Franz Knäbl hämmert mit der linken Faust auf die rechte, wenn er am Küchentisch sitzend vom Werk der Familie erzählt, das den alten Herren bis heute prägt. "Wir haben am Oberwiesenfeld die Steine abgetragen und das auch zum Bauen benutzt. Manchmal haben wir schon überlegt, ob wir ausziehen sollen", sagt Knäbl, "aber ich will das nicht. Ich hänge an diesem Haus."

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Wohnraum in München knapp, jeder musste schauen, wo er blieb. Grundeigentümer wie die Feldmochinger Bauern verkauften ihre Flächen im nördlichen Feldmochinger Moos an Suchende - die dort dann ohne Baugenehmigung ihre Häuser errichteten. Es entstand die Schwarzhölzl-Siedlung, in der sich auch einzelne, schon genehmigte Gebäude befanden. "Die Stadt war froh, dass die Leute sich selber geholfen haben", meint Franz Knäbl, 73, seine Frau Maria nickt. Die Siedler waren zu ständiger Improvisation gezwungen. Knäbl kann sich das freudige Grinsen über die Erinnerung nicht verkneifen: "Wir waren Selbstversorger; wir hatten Ziegen, Enten, Bienenstöcke, Schweine, eine Hühnerfarm, Salat- und Kartoffelfelder." Auch wenn die Stadt die illegalen Bauten zunächst tolerierte: In den folgenden Jahrzehnten hing über den Bewohnern konstant das Damoklesschwert, dass die Stadt die Siedlung doch auflöst. Gleichzeitig renovierten und bauten die Siedler ihre Wohnungen aber immer wieder aus. Erst 1993 erhielt die Siedlung einen Bebauungsplan und wurde im Laufe der Jahre legalisiert - ausgenommen der Privatweg "Am Dratfeld", der nach dem Bau der A 99 von der Siedlung abgeschnitten war.

Wenn der Stadtrat in diesem Frühjahr dem Entwurf einer Außenbereichssatzung für den Weg mit etwa zwölf Wohnhäusern zustimmt, wird dieses jahrzehntelange Kapitel abgeschlossen sein. "Die Satzung bedeutet für uns Rechtssicherheit", freut sich Franz Knäbl. Denn die Satzung ist der Schritt zur Legalisierung. Wer mit den Bewohnern der Siedlung spricht, wird die Geschichten über den konstanten Ausbau trotz täglicher Unsicherheit immer wieder hören. Nach der Arbeit oder am Wochenende werkelten die Bewohner an ihren Gebäuden oder denen der Nachbarn weiter, bis tief in die Nacht, "Stein für Stein", wie eine Bewohnerin sich erinnert. Es etablierte sich der Begriff der "Mondschein-Siedlung".

Mit der Satzung für den Weg "Am Dratfeld" dürften alle Schwarzbau-Siedlungen in München legalisiert sein. Der Lokalbaukommission (LBK) sind nur noch einzelne Wohngebäude im Außenbereich Münchens bekannt, sogenannte Streulagen, die sich im 13., 22. und im 24. Stadtbezirk befinden. Unter Berücksichtigung des hohen Alters der Bewohnerinnen und Bewohner habe die Lokalbaukommission den dort wohnenden Siedlern Auslauf-Fristen gewährt, so ein Behördensprecher. Franz Knäbl ist froh über den finalen Schritt der Stadt; allerdings habe sich das Leben in der Siedlung schon seit langem normalisiert.

Dieser Kontrast zwischen der Vergangenheit und dem gegenwärtigen Zustand wird auch in Siedlung nördlich der Autobahn deutlich. Charlotte Reichhart, ebenfalls aus der zweiten Generation der Siedler, steht auf einer der seit Jahren asphaltierten Straßen zwischen den kleinen Anwesen, manche alte Häuser wurden bereits abgerissen und durch Neubauten von Zugezogenen ersetzt, viele stehen noch wie vor fünfzig Jahren. "Das alles war Ackerland", sagt Reichhart. Ein Großteil der Siedler seien Geflüchtete gewesen: "Auch meine Eltern waren Flüchtlinge aus Schlesien. Mein Vater hatte einem Bewohner der Siedlung den Dachstuhl gemacht. Dann sind wir 1953 selber hergezogen." Anfangs habe es nur ein Plumpsklo in einem Bretterverschlag gegeben, wenig später habe jeder ein eigenes Abflusssystem installiert. Und der Strom? "Mein Vater hat ein Kabel bis zum nächsten Kasten gezogen." So wie Familie Reichhart hatten sich viele Bewohner in der Siedlung rasch ihren Wohnraum selbst erschlossen.

Der Einsatz für den Erhalt der Siedlung war 1961 der Grund, den Siedlerverein Schwarzhölzl zu gründen. Die Bewohner erhielten eine gemeinsame Stimme; noch heute rühmen sie Vorsitzende wie Josef Koch und Heinrich Rösl. Nachdem die Siedlung die vollständige Akzeptanz der Stadt gewonnen hat, fehlt dem Verein sein Kernanliegen. Stefan Neudorfer, der seit diesem Jahr dem Verein vorsitzt, ist sich dessen bewusst. Der Verein wolle nun erreichen, die Gemeinschaft stärker zu fördern und die Nachbarschaft zusammen zu bringen, sagt Neudorfer. Ein Ziel, das "Am Dratfeld"-Bewohner Franz Knäbl wohl begrüßen wird. Denn er vermisst die gegenseitige Unterstützung, den Zusammenhalt, was die Siedlung jahrelang ausgezeichnet habe. "Wir kennen außer den Alteingesessenen kaum jemanden mehr, der heute in der nördlichen Siedlung wohnt."

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