Feierstunde:Widerstand mit Worten

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Festlich, aber nicht ausgelassen ist die Feier, also angemessen - Dieter Reiter (links) und Michael Then, Versitzender des Börseinvereins des Deutschen Buchhandels (rechts), überreichen den Preis an Hisham Matar (Mitte). (Foto: Florian Peljak)

Geschwister-Scholl-Preisträger Hisham Matar bringt die Gäste bei der Verleihung zum Grübeln

Von Ulrike Schuster

Eine ernste Preisverleihung sei das gewesen, sagt Schriftsteller Hisham Matar später beim Empfang. Recht hat er. Die Stimmung ist festlich, aber nicht ausgelassen, also angemessen. Die Gäste stehen nachdenklich im Lichterhof der Ludwig-Maximilians Universität, wo Hans und Sophie Scholl vor 75 Jahren vormachten, wie Widerstand gehen kann. Als sie mit Flugblättern dazu aufriefen, sich "den Mantel der Gleichgültigkeit zu zerreißen" und "sich zu entscheiden, ehe es zu spät ist". So stand es geschrieben.

Für sein autobiografisches Buch "Die Rückkehr" erhält Matar am Montagabend den Geschwister-Scholl-Preis. Jedes Jahr zeichnet die Stadt München zusammen mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels ein Werk aus, das vom Mut zu Verantwortung und Widerstand erzählt. In seinem Buch geht es um Matars Vater, der sich zum Gegner von Diktator Gaddafi macht und das totalitäre Libyen aus dem Exil in Kairo bekämpft. Er wird entführt, gefoltert und eingesperrt. Ob er lebt, weiß nicht einmal sein Sohn. Und es geht eben um Hisham Matar, den Sohn, der nach 14 Jahren ohne ein Lebenszeichen vom Vater von London nach Tripolis aufbricht, um sich Gewissheit zu verschaffen.

Eine schwere Reise war das, der sich Hisham Matar mit Humor stellt: "Sicher freuen Sie sich auf mich - und die vierte Rede an diesem Abend." Das erste Mal Lachen im Publikum, der Saal ist voll. Das macht Matar sympathisch, nach 70 Minuten Festakt nach Protokoll, drei Laudationes, samt aufmerksamem Hinhören, warum Autor und Werk den Preis verdient haben.

Matar sagt, vielleicht liege es daran, dass er ein interessantes Kriterium des Literaturpreises erfüllt habe, die "geistige Unabhängigkeit". Er nennt es ein zentrales Charakteristikum für Kunst. Weshalb sonst würden die Menschen Bücher lesen, wenn nicht wegen der Unabhängigkeit, die im Geist der Zeilen stecke? Er wisse nicht, ob die Kunst den Menschen gewissentreu und integer mache. Aber ein Gedanke gefalle ihm, an den glaube er: Die Kunst stärkt die Vorstellungskraft und die Toleranz. Und die Literatur im Speziellen fasse in Worte, was der Mensch nicht in Worte fassen könne. Sie gebe Hoffnung auf eine Welt, wie sie anders sein könnte.

Wer Matars Buch noch nicht gelesen hat, könnte es auf den Wunschzettel für Weihnachten schreiben. Das will Oberbürgermeister Dieter Reiter tun. Ein autobiografisches Buch wie Matar zu schreiben, könnte er sich irgendwann vorstellen. Der Abend hat ihn ermuntert. Sein Thema wäre allerdings weniger dramatisch: der Weg vom Verwaltungsbeamten zum Politiker. Bis die Zeit für eine Biografie kommt, handelt er. Wie zuletzt bei der Straßendemo gegen Pegida, zusammen mit Schülern und Studenten. Die brauche es, die machten Krach. Das nervt. "Gut so."

Unter den wenigen Studenten im Saal ist auch der 22-jährige Dominikus von Garnier. Die Themen des Abends hätten ihn grübeln lassen, sagt er. So richtig viel Mut habe er bisher nicht gebraucht, sagt er. Sein Leben sei sorgenfrei. Und kämpfen? Wofür? Der Kampf für den Notenschnitt fällt ihm ein. Und die Elftklässler Sofia und Dominik hätten in entscheidenden Situationen immer Mut bewiesen, sagen sie. Statt Medizin wird sie Musical studieren, "gegen Mutters Wunsch." Und er kam am Morgen "statt gar nicht, zur zweiten Stunde" in den Unterricht.

Matar fühlte sich zuletzt mutig, als er in den Flieger nach München stieg, sagt er. Wenn man in die nachdenklichen Gesichter der Gäste schaut, wird klar: Auch dieser Mut hat sich gelohnt.

© SZ vom 22.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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