Feiern in München:In der Hitze der Nacht

Streetworker auf der Feiermeile

Während in den Clubs die Luft kocht, laufen die Streetworker die Feiermeile entlang, um zu helfen.

(Foto: lukasbarth.com)

Die Feiermeile gilt als Brennpunkt in der Innenstadt. Streetworker bemühen sich zwischen Maximiliansplatz und Müllerstraße um Entspannung - und sehen Vieles zwischen guter Laune und Volltrunkenheit.

Von Stefanie Schwetz

Einen Parkplatz am Stachus hat nicht jeder. Mitten auf dem Platz mit Blick auf den Brunnen, der im Winter eine trockengelegte, trostlose Fläche ist. Für so einen Parkplatz muss man schon etwas leisten - und die Streetworker der Suchthilfe-Einrichtung Condrobs tun das. Jeden Freitag und Samstag sind sie auf der Münchner Feiermeile zwischen Maximiliansplatz und Müllerstraße unterwegs.

23 Uhr

Der Kleinbus mit dem Condrobs-Logo trifft auf dem Karlsplatz ein; er ist Basislager und Rückzugsort für Notfälle. Von dort starten die Streetworker ins Nachtleben, dort schreiben sie später gegen vier Uhr ihr Einsatzprotokoll. Es ist ein kalter Freitag im Februar - Olivia, 28 Jahre alt und hauptamtliche Sozialarbeiterin bei Condrobs, und ihr Kollege Chris, 25, studentische Honorarkraft mit Studienfach Soziale Arbeit, machen sich auf den Weg.

Zuvor haben sie im Büro an der Müllerstraße kurz die Route besprochen, die richtigen Größen der blauen Dienstanoraks ausfindig gemacht. Das Wort Respekt prangt in großen Buchstaben vor der Silhouette einer springenden Gestalt quer auf der Jacken-Rückseite. Die weißen Umhängetaschen sind bestückt: Papiertaschentücher, Einweghandschuhe, Kondome, professionelle Spucktüten mit festem becherartigem Rand, Desinfektionsmittel, Flyer und Visitenkarten mit den Kontaktdaten. 0176/13 410 149 ist die Telefonnummer, mit der Olivia und Chris die ganze Nacht für Partygänger, Türsteher und Passanten erreichbar sind.

An diesem Abend werden die beiden von Birgit Treml begleitet. Die 43-Jährige ist stellvertretende Geschäftsführerin für den Bereich Jugend bei Condrobs und legt Wert darauf, sich selbst ab und zu ein Bild vom Geschehen auf der Partymeile zu machen. Zuerst geht es Richtung Maximiliansplatz. Die Parkanlage den Clubs direkt gegenüber ist ein stiller, verschneiter Ort. Ein einzelner Fußgänger, ein Obdachloser, der sich bis zum Kopf in eine Decke gehüllt auf einer Parkbank eingerichtet hat. Chris wirft einen prüfenden Blick in den Alten Botanischen Garten. "Da laufen um diese Zeit meistens nur Hasen rum", erklärt er.

23.30 Uhr - Zeit, Kondome zu verteilen

Viel los ist noch nicht. Eine Gruppe blondierter Schönheiten stellt eine hochpreisige Limousine mit Dachauer Kennzeichen unbesorgt im Parklizenzbereich ab. Straßenlaternen werfen fahles Licht durch die Dunkelheit der diesigen Winterluft. Und die Einlasskontrollen vor den Clubs sind noch sehr entspannt - keine Warteschlangen, keine Querelen. Für die meisten Partygänger hat das Hauptprogramm des Abends noch nicht begonnen. Zum Vorprogramm gehört das Vorglühen mit diversen Alkoholika - zu Hause, auf der Straße oder in einer Bar. Später werden dann die Clubs angesteuert, Sehnsuchtsorte der Dunkelheit, die ein paar unbeschwerte Stunden versprechen.

24 Uhr

Olivia und Chris treffen auf drei gut gelaunte junge Frauen, routinierte Partygestalten. Eine von ihnen möchte ihrer Freundin an diesem Abend noch einen Typen aufreißen. Für die zierliche Olivia, die unter ihrer Mütze einen Kurzhaarschnitt mit langem geflochtenem Seitenzopf verbirgt, Grund genug, Kondome zu verteilen.

0.30 Uhr

Vor den Clubs haben sich mittlerweile Schlangen gebildet. Junge Frauen in dünnen Seidenstrümpfen und High Heels meistern mit wenigen, bewusst gesetzten Schritten den Weg vom Taxi zum Eingang. Junge Erwachsene in kurzärmeligen T-Shirts rauchen ungeachtet der Kälte an der frischen Luft.

1 Uhr

Eine Gruppe junger Männer aus Südtirol, vom Türsteher eines Clubs abgewiesen, zieht sich zur Beratung auf den Gehweg zurück. Olivia und Chris suchen den Kontakt; sie wollen sichergehen, dass die Herren zurecht kommen in der fremden Stadt. Ein herzlicher Wortwechsel unter Gleichaltrigen, bei dem Olivia und Chris die richtige Balance zwischen Gesprächsein- und -ausstieg finden. Die Südtiroler verabschieden sich Richtung Maximiliansplatz. Überhaupt scheinen viele Touristen unterwegs zu sein. Eine Reihe gegenseitig untergehakter Mädchen im Britpop-Stil mit blassem Teint überquert lachend die Straße. Englische, französische und italienische Wortfetzen sind zu hören.

Zwischen fünf- und achttausend Menschen tummeln sich laut Münchner Polizei und Kreisverwaltungsreferat jedes Wochenende auf der Feiermeile; Birgit Treml spricht sogar von 10 000. Seitdem einige Clubs vom Kunstpark Ost in die Innenstadt gezogen sind, ist die Zahl gestiegen. Um den zunehmenden Konflikten auf der Feiermeile entgegen zu wirken, wurde im Herbst 2012 das Präventionsprojekt "Cool bleiben - friedlich feiern in München" ins Leben gerufen. Das bedeutet mehr polizeiliche Präsenz, mehr Engagement der Clubbetreiber, Betretungsverbote von einem Jahr bei Rohheits- und Gewaltdelikten und den Einsatz der vom Stadtjugendamt finanzierten Streetworker.

Auch dank Prävention gab es 2014 weniger Gewaltdelikte auf der Feiermeile

Lobende Worte findet Kriminaloberkommissar Michael Fleck von der Münchner Polizei. Und auch die Zusammenarbeit mit den Clubs habe das Nachtleben positiv geprägt: "Da hat jeder seine Kompetenzbereiche, die sich sinnvoll ergänzen." Denn wenn die Situation eskaliert, bei Gewalttätigkeiten oder zu hohem Alkoholpegel, verständigen Streetworker und Clubs Polizei oder Rettungsdienst. Laut Fleck seien die Gewaltdelikte auf der Feiermeile im Jahr 2014 sogar zurückgegangen, was er vor allem auf die gemeinsame Präventionsarbeit zurückführt.

Auch bei den Clubs finden die Streetworker große Anerkennung. "Die machen ihre Sache wirklich gut", sagt David Süß, Chef des "Harry Klein" und Sprecher der Clubbetreiber. Die Zusammenarbeit zwischen Streetworkern und Türstehern der Clubs funktioniert gut. Zu den meisten haben Olivia und Chris mittlerweile ein partnerschaftlich-kollegiales, fast freundschaftliches Verhältnis. Wechseln ein paar Worte über die Widrigkeiten des Nachtlebens, wie Nachbarn am Gartenzaun. Die Türsteher ziehen tatkräftig mit, wenn es um die Sicherheit der Feiernden geht. "Wir kümmern uns bis zum letzten Gast", bekundet einer, der die Leute notfalls eigenhändig ins Taxi verfrachtet.

"Die eigentlichen Probleme fangen erst an, wenn verschiedene Gruppen außerhalb der Clubs aufeinander treffen", erklärt David Süß. Und ob am Freitag, Samstag oder an anderen Tagen etwas passiert - da könne man eigentlich eine Münze werfen. Andere behaupten, dass es am Wochenende sogar zivilisierter zugehe. "Wer Ärger sucht, dem sieht man das schon an", erzählt Alex, der Türsteher im "Harry Klein" ist und selbst Sozialarbeit studiert, "der sagt dann noch nicht mal Guten Abend." Wenn es nach ihm ginge, könnten die Streetworker bis sechs Uhr morgens unterwegs sein, auch unter der Woche.

1.30 Uhr

Das Bild auf dem nächtlichen Boulevard hat sich verändert. Fast-Food-Müll, Scherben und leere Flaschen säumen die Gehwege. Immer wieder reißen sich nachlässig gekleidete Männer die Pfandflaschen unter den Nagel. Es sind nicht wenige, die diesem für sie einträglichen Gewerbe nachgehen. Beobachter und Kenner der nächtlichen Szene und fester Bestandteil eines vielschichtigen Kosmos, der zuweilen aus dem Gleichgewicht gerät.

2 Uhr

Vor einem Lokal an der Schwanthalerstraße reiht sich eine Gruppe in bunten Anoraks in die Warteschlange. Ein letzter schneller Schluck aus der Bierflasche, das Leergut hektisch vor dem Eingang abgestellt, dann sind sie beim Türsteher, der sie kurzerhand wieder wegschickt. Eine Mischung aus Enttäuschung, Wut und Ratlosigkeit macht sich breit. Zögernd wendet sich die Gruppe ab. Ein Mädchen in dünnen Strumpfhosen und verrutschtem Minirock unter dem dicken Anorak flucht, tritt gegen die Flaschen, die wie klirrende Kegel zu Boden gehen. Einer ihrer Begleiter in Snowboardjacke bemüht sich währenddessen noch um ein paar lockere Sätze mit dem Türsteher. Ein paar Meter weiter scheint die Gruppe dann mit ihrem nächtlichen Schicksal hadernd auf eine Eingebung zu warten. Noch ist unklar, welches Gefühl gewinnt - Niedergeschlagenheit oder Aggression.

Olivia und Chris behalten die spannungsgeladene Situation im Auge und überlegen, ob sie sich einschalten sollen. Wer könnte wen im Zweifelsfall am besten ansprechen? Der Junge mit der Snowboardjacke bringt langsam wieder ein Gespräch in Gang, löst die Spannung. Olivia und Chris sind froh, dass die jungen Leute sich selbst aus dem Konflikt befreit und ein neues Ziel gefunden haben: wieder mal Richtung Maximiliansplatz. "In einer solchen Situation muss man auf die Protagonisten achten", erklärt Birgit Treml, "und auf die Schlichter, die man im Zweifelsfall unterstützen muss, die, die noch den Überblick haben".

2.30 Uhr

Die Kälte zehrt mehr und mehr an den Kräften. "Cool bleiben - friedlich feiern in München" - das Projekt ist eine körperliche Herausforderung in dieser Februar-Nacht. Türsteher Alex schwört auf Merinounterwäsche, deren Grammzahl er je nach den Minusgraden variiert. Birgit Tremls Team kleidet sich nach dem Zwiebelprinzip, mehrere Schichten übereinander. "Wollt ihr reinkommen und euch ein bisschen aufwärmen?", fragt einer der Türsteher die Streetworker. "Danke, wir müssen weiter, morgen vielleicht."

3 Uhr - "Verzeih mir, bitte komm nach Hause!"

Jetzt kurz noch mal zum Maximiliansplatz, wohin es in dieser Nacht schon so einige getrieben hat. Olivia und Chris vergewissern sich kurz bei dem Obdachlosen im Park, ob er Hilfe braucht. Auf einer Parkbank schluchzt ein Mann, den Kopf nach vornüber gebeugt, in sein Smartphone. "Verzeih mir, bitte komm nach Hause!", bettelt er immer wieder. Ein nicht enden wollender Monolog der Selbstzermürbung nimmt seinen Lauf, wobei man nicht weiß, ob am anderen Ende der Leitung überhaupt noch jemand zuhört. Später sieht man ihn noch einmal quer über die Straße laufen und nach einem Taxi winken.

Einer der jungen Männer aus Südtirol läuft Olivia und Chris über den Weg, erkennt sie wie flüchtige Bekannte und wünscht "Gute Nacht". Die Gruppe der Anorakträger ist immer noch ziellos auf dem Boulevard unterwegs, Desillusionierung hat sich bei den jungen Leuten eingeschlichen. Vor einem der Clubs herrschen tumultartige Zustände, die selbst die Toleranzgrenze des Türstehers übersteigen. "Jetzt hört's mal auf!", donnert er.

Vor dem Eingang kann sich eine junge Frau kaum noch auf den schlanken Beinen halten. Den Blick zu Boden gerichtet, das Gesicht von einer blonden Mähne bedeckt, spärliche Kleidung unter dünnem Kunstfelljäckchen - so hängt sie apathisch in den Armen von vier jungen Männern. Auch an ihnen ist die Nacht nicht spurlos vorübergegangen. Olivia und Chris merken, dass hier jegliche Bemühungen ergebnislos versacken. Ein kurzer Blick, ein Nicken, und sie treten auf die Gruppe zu. Fragen, was die junge Frau getrunken hat: Bier, Wein, Schnaps? Die Antworten sind widersprüchlich. Olivia ruft kurzerhand den Rettungsdienst, beruhigt das Mädchen. Chris sucht das Gespräch mit den Männern.

3.30 Uhr

Während die Patientin im Rettungswagen versorgt wird und Olivia sie anschließend samt Begleitung und Spucktüte in ein Taxi setzt, wird Birgit Treml von zwei redseligen jungen Männern angesprochen, kaum älter als 20. Mit unbefangenem Charme fragen sie die gestandene Sozialarbeiterin, was sie in dieser Nacht so erlebt habe, während sie selbst die Zeit in einigen Nobelclubs verbracht haben. Natürlich können sie nicht glauben, dass Birgit Treml zwar die ganze Nacht unterwegs, aber nur kurz auf einen Kaffee bei McDonalds war: "Du hast doch bestimmt noch einen Plan, oder willst du mal schauen, was im Alter noch so möglich ist?"

Was im Nachtleben so möglich ist, hat Birgit Treml in den vergangenen Stunden einmal mehr erlebt. Wie die Nacht außerhalb der Clubs an Glanz verliert, wie tief Menschen fallen können in einen Zustand der Hilflosigkeit und der Einsamkeit. Und sie hat gesehen, dass die wahren Helden dieser Nacht ihre beiden Begleiter sind - zwei Kaffee trinkende Mittzwanziger mit einem Parkplatz auf dem Stachus.

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