Feierabend:Ein Stück Lebensqualität

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Ein Zustellerfest als Dankeschön: Geschäftsführer Stefan Hilscher und Logistik-Chef Jürgen Baldewein (stehend, von rechts) (Foto: Stephan Rumpf)

Der Süddeutsche Verlag lädt seine Zeitungsboten zum Zustellerfest auf die Wiesn ein

Von Marco Wedig

Vom Straßenverkauf weht Hendlgeruch herüber. Eine Mischung aus Ungeduld und Vorfreude macht sich breit. 200 Leute stehen vor der Hühner- und Entenbraterei Poschner und warten auf Einlass. "Jetzt geht's los, jetzt geht's los", rufen einige. Dieser Abend gehört ihnen. Sie, die sonst im Hintergrund agieren, stehen heute im Mittelpunkt: die Zeitungsboten. Bereits zum fünften Mal feiert die Süddeutsche Zeitung am Montagabend ihr Zustellerfest. Dieses Jahr zum ersten Mal auf der Wiesn. "Ein ganzes Zelt voller SZ-Mitarbeiter, das hat's noch nie gegeben", wird Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion, später sagen. Der Einlass verzögert sich, doch die Stimmung ist gut. Manche Kollegen ziehen sich gegenseitig auf, andere zeigen sich Familienfotos auf dem Smartphone. Einsam wirkt dieser Job in diesem Moment nicht. Bevor es an die Biertische geht, erhält jeder Zusteller ein Lebkuchenherz mit der Aufschrift "SZ - die mog i".

Bald erklingt das erste Prosit der Gemütlichkeit. Die Tische füllen sich mit Masskrügen, Käsetellern, Brezen. Nach der Begrüßung durch Stefan Hilscher, Geschäftsführer des Süddeutschen Verlags, sagt Prantl: "In der Redaktion könnte der liebe Gott die zehn Gebote neu schreiben. Doch ohne die Zusteller würden sie den Leser nie erreichen." Die Zeitungsboten würden den Menschen ein Stück Lebensqualität vor die Tür legen und dabei die eigene Lebensqualität opfern. Das sei ein guter Dienst und verdiene Dank und Respekt.

Aber wird die gedruckte Zeitung nicht durch die digitale Ausgabe verdrängt? "Ein großer Schmarrn. Dass die Zeitung stirbt, das werden Sie und ich nicht mehr erleben", sagt Prantl. Auch von Drohnen als Zeitungslieferanten hält er nichts. "Ach, du liebe Zeit", sagt Josef Uebelhör, als er von den fliegenden Zustellmaschinen hört. Er trägt seit 1995 die Zeitung aus, in der Umgebung des Luise-Kiesselbach-Platzes. Davor hat er alles mögliche ausprobiert, war Sänger, Schauspieler, gründete einen Segelclub. Bis vor kurzem hat er auch noch in einer Apotheke gearbeitet. Das Zeitungszustellen war immer Zuverdienst - und Fitnessprogramm. Uebelhör ist 83 Jahre alt. Der frühe Dienstbeginn um 2 Uhr mache ihm nichts aus, er habe einen lauten Wecker, sagt er verschmitzt. Seine fünf Kilometer lange Route geht er zu Fuß. Drei Stunden braucht er, um 100 Zeitungen, davon 70 SZ, auszutragen. "Bis ich 105 bin, mache ich das noch", sagt er.

Am Nebentisch verstehen sie nicht genau, was dieses "Oans, zwoa, gsuffa!" bedeuten soll. In ihren Gläsern befindet sich Spezi. Khoshal Hadaytullah, Shaberkhiel Nazerdin und Zahed Abdul Hanan lassen sich aber von der guten Laune anstecken. Die drei Afghanen wohnen in einer Flüchtlingsunterkunft nahe dem SZ-Hochhaus. Prantls Rede handelt auch davon, wie sie beim Verlag vor der Tür standen und um Arbeit baten. Der Verlag half, bot Englischkurse und e-Learning an. 50 Flüchtlinge stellen inzwischen die SZ zu. "Wir schaffen das", zitierte Prantl die Kanzlerin.

Shaberkhiel und Khoshal machen sich trotzdem Sorgen. Der Job sei gut, doch als Asylsuchende wurden beide abgelehnt, die Zukunft ist ungewiss. Als er das erzählt, stochert Khoshal im Kaiserschmarrn herum, den es wie auch Enten und Hendl auf Kosten der SZ gibt. Doch da zieht pfeifend und stampfend eine Polonaise vorbei, sammelt ihn ein. Heute Abend sind die Sorgen vergessen, und morgen ist frei. Erst am Mittwoch werden sie alle wieder ausrücken und den Lesern ein Stück Lebensqualität vor die Tür legen.

© SZ vom 04.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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