Fast alles erreicht, aber auch fast alles verloren:"Ich bin ein kleiner Floh"

Viele Männer hätten für sie ihre Frau sitzen lassen, heute ist ihr bester Freund ein Hund. Ingrid Steeger wird am Samstag 70. Der ehemalige Klimbim-Star blickt zurück auf ein Leben mit einer schrecklichen Kindheit, Sexfilmchen und jeder Menge Tragödien

Von Lars Langenau

Eine Zeitschrift schrieb kürzlich über mich 'Süßester Aprilscherz Deutschlands', das fand ich süß." Ingrid Steeger strahlt und sagt: "Ich habe mir extra wegen Ihnen die Haare gewaschen." Dabei sitzt auf ihrem Kopf eine Mütze mit Ohrenschützern. Es ist ein kieksendes, berühmtes Lachen, es erinnert an ein Eichhörnchen. Dabei zieht sie die Luft durch die Nase hoch. Am Samstag wird Steeger 70 Jahre alt. Die Frau, für die laut einer Umfrage die Hälfte aller deutschen Männer in den Siebzigerjahren ihre Frau hätten sitzen lassen. Die Frau, die hierzulande einen Bekanntheitsgrad von 98 Prozent hatte.

Beim ersten Treffen vor ein paar Wochen in einem Restaurant nimmt sie einen Weißwein, die Schorle sei ihr "zu harmlos", und bestellt Senf zum Schnitzel. Sie lacht und sagt: "Früher hätte ich mich nie getraut, so was zu fragen." Und kommentiert dann die Beschaffenheit der Panade des Kalbschnitzels: "Eins zu null für den Bäcker." Dann sagt die zarte Persönlichkeit mit dem viel zu großen Schnitzel auf dem Teller: "Es ist mir egal. Wer freut sich schon darauf, dass er 70 wird? Im Moment weiß ich noch nicht, was ich mache und wo ich dann bin. Ich bin eben ein kleiner Zigeuner." Aber da war sie auch schlecht drauf: Schluckauf seit Wochen, eine Jacketkrone gerade gebrochen ("Ich lispel ..." Nein. "Lisple ich wirklich nicht?") - und für den Hund hatte man keine Leckerlis dabei.

Bei einem zweiten Treffen vergangene Woche in einem Café in Schwabing ist sie deutlich besser aufgelegt als noch vor ein paar Wochen, als sie sich noch über diesen "arroganten, überheblichen Donald Trump" aufregte. Außerdem war sie traurig, weil ihr iPad gestohlen wurde und ihr das Geld für ein neues Gerät fehlt. "Mir wird immer alles geklaut, sei es Schmuck im Krankenhaus oder mein iPad." In den drei Stunden des Gesprächs wird sie ihr Tablet, das nun nicht mehr ihres ist, dreimal erwähnen. Das sei doch ihre Verbindung zur (politischen) Außenwelt, darauf schaue sie, was so los ist. Und es sei auch ihre einzige Möglichkeit, E-Mails zu versenden. "Facebook mache ich nicht, mich sprechen genug fremde Leute an."

Spätestens seit dieses Gerät weg ist, ist es schwierig, sie zu erreichen. Ihr altes Handy funktioniert nicht richtig, die SMS quillen über, und die Mailbox ist so voll, dass man nicht mehr draufsprechen kann. Wie man das abhört? Ob man ihr da helfen könne? "Gerne auch alles löschen." Man versucht es und scheitert. Sie verzieht leicht säuerlich das Gesicht, doch dann lächelt sie die Situation weg. Einfach so. Wie so vieles im Leben von Ingrid Steeger - und dann beginnt sie zu erzählen.

Die Wohnung ihrer Eltern in Berlin-Moabit war ausgebombt, als sie am 1. April 1947 zur Welt kam. Sie lebte mit ihren beiden Geschwistern in einem Zimmer. Für ihre "böse Mutter waren unsere Lebensumstände eine Schande, wie für sie alles eine Schande war. Nach außen wahrte sie den Schein. Doch drinnen war die Hölle". Als jüngstes Kind schlief sie bis sie sechs war im Bett der Eltern. "Was sich zwischen den beiden abspielte, hatte mit Liebe nichts zu tun. Ich wurde hin und her geschoben, damit mein Vater sich seinen Willen mit Gewalt holen konnte. Da habe ich gelernt, dass der weibliche Körper nicht den Frauen selbst gehört." Auch sei sie so erzogen worden, dass sie zu gehorchen habe - "und niemand bin". Dauernd seien sie und ihre Schwester geprügelt worden. "Vielleicht noch schlimmer als die Schläge war aber, dass man bei uns zu Hause nicht redete. Doch wenn man ein Kind ist, denkt man, das alles sei normal." Auch, dass ihr Großvater sie sexuell missbraucht habe, als sie sechs, sieben Jahre alt war. "Meine Welt als Heranwachsende in dieser Umgebung war die der großen Leidenden, der großen Dramen." Mit ihrer Schwester ging sie später Abend für Abend tanzen, um der Enge und Lieblosigkeit des Elternhauses zu entkommen.

In Rolf Edens Playboy-Club tanzte sie als Gogo-Girl und wurde entdeckt für freizügige Fotoaufnahmen und Rollen in Sexfilmchen. Nackte Brüste waren in den Sechzigern noch eine Sensation. Danach allerdings habe sie niemand mehr ernst genommen. "Wer war ich schon? Eine, die sich auszog. Mehr nicht." Doch da habe ihr Körper ihr schon lange nicht mehr gehört. "Ich bin so oft vergewaltigt und sexuell missbraucht worden, dass es mir egal war, wenn man meinen Po und meine Brüste sah. Mein Körper war stumm und gefühllos, als sei er ein Stück totes Holz."

All das habe sie geprägt: "Mein ganzes Leben konnte ich mich nie gegen starke Männer wehren." Es sei in den Klatschzeitungen immer geschrieben worden, dass sie viele Männer gehabt habe, doch das stimme gar nicht. Für Männer sei sie eben immer eine Fantasie gewesen, "die haben sich irgendwas zurechtgesponnen, was ich nicht war. Dabei wollte ich eigentlich nur geliebt werden". Geklappt habe das jedoch nie. Ihr ganzes Leben lang habe sie gehofft, "wenn ich mich nur willfährig genug verhalte, werden Glück und Liebe von allein zu mir kommen". Auch deshalb sei sie den Männern immer gefolgt, zog nach Hamburg, München, Zürich, wohnte fünf Jahre bei Paris und in Kenia.

Heute können ihr alle Männer gestohlen bleiben. "Seit fast neun Jahren bin ich absoluter Single", weil sie Angst davor habe, wieder Dinge zu machen, die sie eigentlich nicht machen möchte. "Mit 70 glaube ich einfach nicht mehr an die große Liebe. Na ja, vielleicht wenn ich einen Schwulen kennenlerne, der mich heiratet, dann nehme ich den." Immerhin hat sie einen Hund. "So ein Hund ist wie ein Kind", sagt sie, schaut dabei selbst wie einer von unten nach oben und dann zum Hund: "Die ist so artig, die Kleine." Die Kleine heißt Eliza Doolittle, ihr erster Yorkshire-Terrier. Sonst hatte sie fast immer Dackel. Eliza Doolittle sei ihre "Gefährtin, mein Ein und Alles und meine beste Therapeutin. Vor ihr muss ich nichts verbergen, mich nicht verstellen und nicht schauspielern."

1973 kam der große Wendepunkt in ihrem Leben. Sie stieg bei "Klimbim" ein, einer für das deutsche Fernsehen völlig neuartigen Show mit Gaststars wie Jerry Lewis und Curd Jürgens, für die sie auch den Grimme-Preis bekam. Regisseur war Michael Pfleghar, mit dem sie eine Beziehung einging, zu der er aber öffentlich nicht stand. "Ungefähr 3000 Mark bekam ich für eine Sendung, das war aufs Jahr gerechnet nicht besonders viel. Aber wir Hauptdarsteller waren damals unbekannt, und es hieß: Den Namen holt ihr euch von Klimbim - und das Geld von woanders." Klimbim sei Segen und Fluch zugleich gewesen. "Plötzlich hatte ich ganz viele Freunde und jeder wollte etwas von mir, auch Geld. Ich war fast glücklich: Klein-Steeger wurde gebraucht. Also war ich da. Helfen tat mir gut." Bis heute ziehe sie Kraft daraus, anderen zu helfen, die schwächer sind als sie.

Bei Klimbim hingegen war sie das böse Kind, die Horror-Gaby und das freizügige, süß-naive, aber etwas dümmliche Blondie. Vor lauter Aufregung japste sie bei den Proben nach Luft, was dann ihr Markenzeichen wurde: die "Hauchstimme". Vor allem mit dem Satz "Dann mach' ich mir einen Schlitz ins Kleid und finde das wunderbar", wurde sie zu Deutschlands "Ulknudel". Doch auch bei Klimbim musste sie immer wieder ihren Busen zeigen. "Dabei habe ich das gehasst. Alle dachten, ich sei dumm, dusselig und doof." Auch Pfleghar habe ihr immer das Gefühl gegeben, nicht zu genügen. In den fünf Jahren ihrer Beziehung habe er ihr ein einziges Geschenk gemacht: ein Lexikon. Sie solle sich ein paar Worte raussuchen, die sie in Interviews verwenden sollte. "Dann wirkst du intelligent", sagte er. Sie trennte sich von ihm, am 23. Juni 1991 erschoss er sich in der Badewanne - "im Kokainrausch", hieß es.

Es folgten private Pleiten und finanzielle Tiefen. "2001 reichte es mir", nach der Trennung von einem Hamburger Arzt. Irgendjemand muss damals der Polizei gesteckt haben, sie sei suizidgefährdet, dabei habe sie sich "nur ausgeheult". Sie kam in die Psychiatrie nach Haar. "Kaum war ich wieder zu Hause, klopfte zehn Minuten später die Bild-Zeitung an meine Tür, denen jemand gesagt haben muss, dass ich vom Dach springen wollte. Dabei habe ich so einen schlechten Orientierungssinn, dass ich da gar nicht hingefunden hätte."

Wahrlich kein wunderbares Leben. Immerhin glaubt Ingrid Steeger an die Wiedergeburt: "Allerdings habe ich mich entschlossen, dass ich kein Elefant werden will. Die müssen immer arbeiten. Ich möchte viel lieber ein Erdmännchen werden, weil die so süß sind und aufeinander aufpassen." 2004 gab es ein Revival von Klimbim auf der Bühne, doch schon bald das Tournee-Aus, für Steeger eine Katastrophe: "Ich hatte Geldnot, meine Beziehung ging kaputt, ich musste umziehen. Ich schlitterte in eine handfeste Depression." Für vier Monate ging sie in eine Klinik. Das kostete abermals viel Geld. "Meine Einnahmen wurden zu dieser Zeit umgehend vom Finanzamt gepfändet. Ich schob alles beiseite, auch die Post." Sie sei nun mal ein Mensch, der grundsätzlich nichts mit Papieren zu tun haben will. "Das wurde mir zum Verhängnis, da ich auch die Räumungsklage übersah und aus meiner Wohnung flog." Sie musste ihre Lebensversicherung auflösen, hatte nichts mehr. Davon, dass sie Kult war, könne sie nicht leben. Als sie das sagt, klimpern Münzen unter dem Tisch. Sie verliert Kleingeld. Sie lacht. "Mit Geld konnte ich noch nie umgehen."

2010 jedenfalls bezog sie für vier Monate Unterstützung vom Amt. Ein Schock, aber auch ein Segen, weil sie in der Zeitung lesen musste: "Ingrid Steeger verarmt, lebt von Hartz IV". Das habe sie wachgerüttelt und ihr gezeigt, dass sie ihr Leben endlich selbst in die Hand nehmen musste. "Bereits vier Monate später konnte ich wieder voll für mich bezahlen und brauchte die Stütze nicht mehr." Heute bekomme sie eine kleine Rente und manage sich selbst. Was natürlich schwer ist ohne E-Mail, Handy und Post, die sie nur alle drei Tage aufmache.

München sei immer ihr Zufluchtsort gewesen, gerade sind es 38 Quadratmeter in Schwabing. Aber jetzt will sie wieder weg: nach Kassel, Bremen - "was weiß ich wohin". Weil sie etwas Neues brauche. "Ich bin zwar 70, aber ein kleiner Floh." Sie bekam den Grimme-Preis, die Goldene Kamera, Bambi, "fast alles, was man kriegen konnte", fast alles verloren und war gezwungen, noch einmal ganz von vorn anzufangen. Inzwischen aber habe sie "wenn" und "hätte" weitgehend aus ihrem Wortschatz gestrichen, "sie stehen für eine unerfüllte Vergangenheit, die ich nicht mehr ändern kann".

Steeger lässt sich das Kalbsschnitzel einpacken und sagt dann, dass sie bei Google einen Satz gefunden habe, der zu ihr passe: "Wer nie am Abgrund steht, dem wachsen keine Flügel." Im Grunde sei sie ein Stehaufmännchen und strahlt dabei. "Muss ja. Was soll ich auch da unten liegen bleiben?"

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