Fasching:Kann Spuren von Humor enthalten

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Die Preisträger für ihren Karl-Valentin-Orden wählt die Narrhalla nach bemerkenswerten Kriterien aus. Das wichtigste: Der Kandidat (selten auch: die Kandidatin) darf sich nicht wehren können

Von Franz Kotteder

München ist die Stadt der Nichtigkeiten. Hier regt man sich über Dinge auf, über die man andernorts kein Wort verlöre oder bei denen man sogar froh wäre, wenn sie dort so wären wie in Bayerns Landeshauptstadt. S-Bahnen, die "aus betrieblichen Gründen" nicht fahren oder auf der Strecke stehen bleiben, "weil die Gleise durch den vorherigen Zug noch belegt sind"? Im Ruhrgebiet sieht's viel schlimmer aus, da kommt kein Zug auch nur annähernd pünktlich, heißt es dann, und man müsse auch noch froh sein, wenn dort die Züge die Gleise nicht verließen, anstatt sie zu belegen. Oder: Auf der Theresienwiese liegen heute noch die Reste von Böllern und Raketen aus der Silvesternacht herum? Gelächter! In Berlin sieht's auf den Straßen das ganze Jahr so aus. Sagt man.

Schon wahr, man regt sich in dieser Stadt vor allem über Nichtigkeiten auf. Zum Beispiel alle Jahre wieder über den Karl-Valentin-Orden der Faschingsgesellschaft Narrhalla. Und zwar ist die Empörung jedes Mal so groß, dass man sagen muss: Allein sie ist schon die wichtigste Existenzberechtigung dieses Ordens. Hier wird Unmut wenigstens sinnvoll kanalisiert und nicht umgeleitet auf weitaus gefährlichere Gebiete, etwa Wahlentscheidungen. Vielleicht kürt die Narrhalla deshalb so gerne Politiker als Preisträger? Damit sich die Münchner über diese absurde Entscheidung aufregen können und nicht aus purem Protest bei der nächsten Wahl das falsche Kreuzchen machen?

Heuer hat es jedenfalls Oberbürgermeister Dieter Reiter erwischt, an diesem Samstagabend bekommt er bei der Narrhalla-Soiree im Deutschen Theater den 15 Zentimeter hohen, zaundürren Valentin aus vergoldetem Sterlingsilber überreicht. Rein vom Erscheinungsbild her gleichen sich die beiden, Valentin und Reiter, nicht besonders, aber Reiter hat immerhin die valentineske Eigenschaft, selbst Tieftraurigem noch einen komischen Aspekt abzugewinnen. Die Auszeichnung bekommt er, weil er zu einem ausuferndem Lob des MVV-Geschäftsführers über sein Tarifsystem nur trocken bemerkte: "Ein Warzenschweinvater findet sein Kind auch schön."

Alle Preisträger auf einen Blick: Werner Finck 1973.

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(Foto: dpa/DPA)

Vicco von Bülow 1974.

Sigi Sommer 1975.

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(Foto: Martin Athenstädt / dpa)

Gert Fröbe 1976.

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(Foto: A9999 Db)

Franz Josef Strauß 1977.

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(Foto: Scherl)

Luis Trenker 1978.

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(Foto: Kay_Nietfeld)

August Everding 1979.

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(Foto: imago stock&people)

Bruno Kreisky 1980.

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(Foto: JÖRG CARSTENSEN)

Sir Peter Ustinov 1981.

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(Foto: A3508 Rolf Vennenbernd)

Hans-Dietrich Genscher 1982.

Georg Lohmeier 1983.

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(Foto: Stephan Jansen)

Helmut Kohl 1984.

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(Foto: N/A)

Ephraim Kishon 1985.

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(Foto: dpa)

Emil Steinberger 1986.

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Norbert Blüm 1987.

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(Foto: dpa)

Rudi Carell 1988.

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(Foto: N/A)

Joseph Ratzinger 1989.

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(Foto: A2070 Rolf Haid)

Aenne Burda 1990.

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(Foto: C2748 Ursula Düren)

Peter Weck 1991.

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(Foto: A3276 Martin Gerten)

Jürgen Möllemann 1992.

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(Foto: N/A)

Harald Juhnke 1993.

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(Foto: N/A)

Kurt Wilhelm 1994.

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Otto Schenk 1995.

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Edmund Stoiber 1996.

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(Foto: Sean Gallup)

Mario Adorf 1997.

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(Foto: Georgine Treybal)

Senta Berger 1998.

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(Foto: dpa)

Christian Ude 1999.

Roman Herzog 2000.

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(Foto: N/A)

Thomas Gottschalk 2001.

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Christiane Hörbiger 2002.

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(Foto: B3502 Horst Ossinger)

Alfred Biolek 2003.

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(Foto: A3750 Andreas Gebert)

Fritz Wepper 2004.

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(Foto: Z1008 Jens Kalaene)

Helmut Dietl 2005.

Sir Peter Jonas 2006.

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(Foto: A3330 Wolfgang Langenstrassen)

Iris Berben 2007.

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(Foto: A3609 Daniel Karmann)

Günther Beckstein 2008.

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(Foto: Rolf Vennenbernd)

Hape Kerkeling 2009.

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(Foto: Ingo Wagner)

Maria Furtwängler 2010.

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(Foto: Jörg Carstensen)

Michael "Bully" Herbig 2011.

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(Foto: Matthias Hiekel)

Vitali Klitschko und sein Bruder...

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(Foto: Johannes Simon)

...Wladimir 2012.

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(Foto: Britta Pedersen)

Til Schweiger 2013.

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(Foto: Sven Hoppe)

Horst Seehofer 2014.

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(Foto: Tim Brakemeier)

Heino 2015.

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(Foto: Hannes Magerstaedt)

Miroslav Nemec und...

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(Foto: Hannes Magerstaedt)

...Tatort-Kollege Udo Wachtveitl 2016.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Sowie Dieter Reiter 2017. Fotos: dpa (33), Getty (5), imago (4), AP, Scherl/SZ-Photo, Georgine Treybal, Robert Haas, Stephan Rumpf

Es ist freilich - das zeigt die Geschichte des Preises seit 1973, als er zum ersten Mal verliehen wurde - ein Irrglaube, dass er Humorbegabte treffen müsse. Zwar behauptet die Narrhalla steif und fest, er werde vergeben für die "humorvollste beziehungsweise hintergründigste Bemerkung im Sinne von Karl Valentin, für eine Rede oder Handlung, für ein Zitat, welches in der Öffentlichkeit publik wurde". Das ist natürlich ein rechter Schmarrn. Da muss man gar nicht erst beim Superlativ beginnen. Denn für die allermeisten Preisträger von Joseph Ratzinger bis Vitali und Wladimir Klitschko, von Til Schweiger bis Heino gilt ja bestenfalls der Satz: "Kann Spuren von Humor enthalten." Wenn überhaupt. Dem behaupteten Humorverständnis der Narrhalla begegnet der Münchner Volksmund gemeinhin mit dem abschätzigen Satz: "Reiß' mir an Fuaß aus, dass i lacha ko!" Und liegt damit zweifelsfrei richtig.

Was aber sind die Kriterien, die zu einem Preisträger führen? Spätere Monacologen werden da noch ein weites Arbeitsfeld vor sich haben. Geht man die Phalanx der Empfänger durch, so gewinnt man schnell den Eindruck: Ganz verkehrt ist es nicht, wenn man als potenzieller Preisträger männlich ist. Unter den bisherigen 47, nun ja: Geehrten befinden sich mit Aenne Burda, Senta Berger, Christiane Hörbiger, Iris Berben und Maria Furtwängler gerade mal fünf Frauen. Die Narrhalla könnte jetzt argumentieren, sie verleihe ja schließlich einen Karl-Valentin- und nicht einen Liesl-Karlstadt-Orden. Aber das klingt natürlich ein wenig fadenscheinig, wenn man die Auszeichnung dann doch wieder mal einer Frau gibt.

Ein zweites wichtiges Kriterium: Der Preisträger muss gerade Zeit haben und zur Soiree erscheinen können. Manche haben ja Samstagabend Ende Januar immer schon was vor, gerade wenn sie viel beschäftigte Künstler oder Politiker sind. In manchen Jahren hat man auch den Eindruck, die mögliche Anwesenheit sei das einzige Auswahlkriterium gewesen.

Mit zunehmender Preisträgerzahl muss dann irgendwann noch ein weiteres Merkmal dazugekommen sein, spätestens seit der große Humorist Franz Josef Strauß 1977 nach Werner Finck, Loriot, Sigi Sommer und Gert Fröbe den Orden verliehen bekam: Der Kandidat muss zumindest bereit sein, den Preis auch anzunehmen, wenn er sich schon nicht wohlfühlt im Kreise der Auserwählten. Und je mehr vom Schlage eines Strauß' hinzukamen, desto schwieriger wurde das. Deshalb lautet Kriterium Nummer drei: Der Kandidat darf sich nicht wehren können. Dies trifft besonders auf Politiker zu. Lehnen sie ab, gelten sie in großen Teilen ihrer Wählerschaft als arrogant. Also sagen sie notgedrungen zu. Es tritt also jener Fall ein, den der große Satiriker Gerhard Polt mit dem Satz beschrieben hat: "Ein jeder Preis sucht unerbittlich seinen Träger." Wobei man sich gut vorstellen kann, dass Polt auch schon gefragt worden ist von der Narrhalla. Ganz schlecht vorstellen kann man sich, dass er den Orden jemals annähme.

Der Karl-Valentin-Orden. (Foto: Felix Hörhager/dpa)

Weitere Kriterien sind nicht zu entdecken, solange man auf der etwas eindimensionalen Ebene bleibt, dass der Geehrte irgendetwas mit dem Geiste von Karl Valentin zu tun haben müsste. Das ist zwar auch nicht direkt ein Ausschlussgrund, auf ein paar trifft es ja zu. Aber um das Auswahlverfahren in seiner vollen Schönheit erfassen zu können, muss man schon noch eine Dimension draufpacken und eine Ecke weiterdenken, so wie es Karl Valentin ja auch immer gerne gemacht hat.

Der wohl größte Universalkünstler, den München je hervorgebracht hat, war ja auch gar nicht so lustig, wie alle immer tun. Seine Komik hat oft einen Kern von tiefer Traurigkeit, wenn nicht gar Verzweiflung über das Leben. Viele Literaturwissenschaftler halten ihn inzwischen für einen bayerischen Vertreter des Dadaismus. Jener Kunstrichtung, die nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs entstand, aus dem Grundgefühl heraus, dass sich eine irrsinnig gewordene Welt nur noch durch Irrsinn und Aberwitz beschreiben lasse. Folgt man diesem Gedanken, so erschließt sich das Handeln der Narrhalla fast schon wieder. Denn was könnte irrsinniger, ja aberwitziger - und mithin valentinesker - sein als diese sehr bunte Riege an Preisträgern?

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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