Fantastische Welten:Neuhauser Panoptikum

Der Künstler Martin Blumöhr hat die Fußgänger-Röhre an der Landshuter Allee in ein buntes Wimmelbild verwandelt: Die Motive zeigen Personen und Geschichten aus dem Viertel

Von Sonja Niesmann, Neuhausen

Selbst wer mit dem Begriff "Niwenhaus" nichts anfangen kann, weiß schnell, durch welche Gegend er hier spaziert. Mehrere Motive, verteilt wie Landmarken im Farbenmeer, garantieren den Wiedererkennungswert: das Steinerne Paar am Brunnen, das Schloss mit Wasserfontäne, Väterchen und Mütterchen Timofej im Gemüsegärtchen ihrer Schwarzbau-Klause im Olympiapark, die Gerner Brücke, das Waisenhaus - es ist ein Neuhausen-Panoptikum, das Martin Blumöhr an den Wänden auffaltet, auf gut 300 Quadratmetern Fläche in der etwa 50 Meter langen Unterführung. Die vormals triste Fußgänger-Röhre an der Landshuter Allee, Höhe Dom-Pedro-Straße, ist die dritte von vier Unterführungen am Mittleren Ring, die der Bezirksausschuss verschönern lässt.

Fantastische Welten: Begegnungen: von Hund zu Hund, einer bunter als der andere.

Begegnungen: von Hund zu Hund, einer bunter als der andere.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Seit vergangenem September arbeitet der 36-Jährige an diesem Werk, oft halbe Nächte oder ganze Wochenenden durch, mit einer erzwungenen Winterpause. "Zuerst hab' ich's noch mit einem Heizstrahler versucht. Aber dann hab' ich mir eine Bronchitis eingefangen", erinnert er sich. Vorlagen und Skizzen verwendet er nicht, "das fließt alles aus dem Kopf". Nicht alles erschließt sich auf den ersten Blick, manche Sequenzen sollen beim entlang flanierenden Betrachter auch eine Assoziationskette auslösen. Wie schon im Hermann-Hesse-Tunnel an der Würm, wo Blumöhr 2014 ein fabelhaftes Pasinger Wimmelbild geschaffen hat, hat er auch hier Erzählungen von Passanten aufgegriffen. Der alte Mann etwa, der erst zittrig, dann weinend, vom Krieg erzählte, und vom ständigen nagenden Hunger. Er taucht als Figur - nicht als Porträt - mit Suppenschüssel auf, in der nur Kartoffelschalen schwimmen. An einer Stelle spitzt ein Mann mit Käppi ums Eck, "1/2 Stark" steht auf dem Schirm: Blumöhrs Dank an Franz Schröther von der Neuhauser Geschichtswerkstatt, der ihm viel Historisches geliefert und dabei öfter mal das vom Verein herausgegebene Buch "Halbstark in Neuhausen" erwähnt habe, erzählt der Künstler mit verschmitztem Blick. Die Krippenfreunde von St. Theresia sind verewigt, hat die Kirchengemeinde oben am Tunnelausgang Blumöhr doch großzügig mit Wasser und Strom versorgt. Und auch jene Begegnung mit einem großen Hund, in dessen Fluffigkeit sich der Malende "sofort verliebt" hat, ist festgehalten. Martin Blumöhr, ausgebildet an der Münchner Akademie der Bildenden Künste, später Meisterschüler des Malerfürsten Ernst Fuchs, arbeitet mit Sprühdose, Spritzpistole und Acrylfarbe; in Neuhausen sind seine Bilder bunter als in Pasing, manche fast psychedelisch. An einigen Stellen setzt er Tusche ein, etwa für die Blumenrabatten vor Schloss Nymphenburg. "Ich hatte plötzlich Panik, dass ich nie fertig werde. Da hab ich mich extra eine Woche lang damit aufgehalten, kleine Rosen zu malen", sagt er lachend.

Fantastische Welten: Das sieht nach Sommer in der Stadt aus: das Graffiti-Wimmelbild des Künstlers Martin Blumöhr.

Das sieht nach Sommer in der Stadt aus: das Graffiti-Wimmelbild des Künstlers Martin Blumöhr.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Nun ist das Wandbild, bis auf wenige Details, vollendet. Blumöhr will das an diesem Samstag feiern, mit einem achtstündigen Programm, bei dessen Finanzierung sich der Bezirksausschuss vor drei Tagen ungewohnt knausrig gab. 1596 Euro hatte Blumöhr beantragt. Bei der Einweihung der Unterführung an der Schlörstraße war's noch mit 250 Euro getan, maulte Peter Loibl (AGS). Die war aber nach einer Stunde und ein paar Gläsern Sekt und Saft vorbei. "Hier wird ein Bürger- oder Straßenfest mit einem tollen Programm geboten", entgegnete CSU-Sprecherin Kristina Frank. Blumöhr hätte wenigstens 100 Euro Eigenmittel ansetzen können, grollte Willi Wermelt (SPD). Dagegen hielt Leo Agerer (CSU), dass des Künstlers Stundenlohn für diese aufwendige Arbeit ohnehin lächerlich niedrig sei. 800 Euro Zuschuss, wie von den Grünen beantragt, bewilligte die Mehrheit im Gremium schließlich.

Fantastische Welten: Mit Hut, wie der von ihm bewunderte Joseph Beuys: der Pasinger Künstler Martin Blumöhr.

Mit Hut, wie der von ihm bewunderte Joseph Beuys: der Pasinger Künstler Martin Blumöhr.

(Foto: Walter Korn/oh)

Blumöhr zieht sein Programm trotzdem durch. "Dann muss ich halt mein Sparschwein komplett plündern. Aber ich möchte diese Unterführung gebührend einweihen." Und er hofft auf Spenden, um eine Nano-Schutzschicht auf seinem Werk anbringen zu können. Damit hier nicht passiert, was im Hermann-Hesse-Tunnel geschehen ist: Drei Jahre lang blieb alles unbeschädigt - bis neulich ein wohl Angetrunkener nächtens durchmarschierte und über die ganze Länge "LSD, LSD, LSD" aufs Wandbild sprühte. Blumöhr hat das ausbessern können - aber es war mühsam. Und es tat ihm in der Seele weh.

Das Fest am Samstag, 22. Juli, an der Unterführung Landshuter Allee/Dom-Pedro-Straße beginnt um 15 Uhr mit einer Rede von Alt-OB Christian Ude. Eine Tunnelführung übernimmt Blumöhrs neunjähriger Sohn Vincent (18 Uhr). An Musik wird geboten: Tenor Luciano Saraceni (17.15 Uhr), die "Fake-Bluesband" (18.30 Uhr), Liedermacher Dane Diredare (20 Uhr), die Step- und Rap-Combo Swango (20.30 Uhr) und die Sängerin und Tänzerin Elsie Marley (21.15 Uhr). Von 22 Uhr an sind Lesungen zu "Fantastischen Welten" angekündigt. Das Maxim-Kino, Landshuter Allee 33, zeigt am Sonntag, 23. Juli, 19 Uhr, den Film "Tunnelblick", eine Dokumentation über Blumöhrs Pasinger Arbeit 2014.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: