Familien:Zu wenig Kurzzeit-Wohnplätze

Eltern, die ihre schwerbehinderten Kinder betreuen, brauchen mehr Entlastung

Von Sven Loerzer

Die Betreuung von Kindern mit schweren körperlichen und geistigen Behinderungen bringt Eltern oft an die Grenzen ihrer Kraft. "Mein Sohn, der schafft mich", sagt die Mutter, die, wie die meisten Eltern von Kindern mit Behinderungen, ihren Jungen zuhause betreut hat, bis sie nicht mehr konnte und ihre Familie an der Anspannung zu zerbrechen drohte. Und noch heute kämpft sie mit den Tränen, wenn sie erzählt, dass ihr Sohn in einem Heim lebt, weil sie einfach nicht mehr weiter wusste. Es gibt familienunterstützende Dienste zur stundenweisen Entlastung, aber mal eine Auszeit von der anstrengenden Betreuung finden bislang nur wenige Eltern. Denn Angebote zum Kurzzeitwohnen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen gibt es bislang nur in sehr spärlichem Umfang. Der Bezirk Oberbayern listet gerade mal zwei Einrichtungen für München mit wenigen Plätzen auf: Beim "Sternstunden Kurzzeitwohnen" des Trägers Helfende Hände gibt es seit 2013 sechs Gästezimmer für geistig und mehrfach behinderte Kinder. Das Blindeninstitut München nimmt einige sehbehinderte oder blinde Kinder in der Ferienzeit auf.

"Insbesondere in Krisensituationen ist es für Familien wichtig, eine kurzfristige Entlastung zu erfahren, indem Kinder und Jugendliche für wenige Tage in die Obhut von Kurzzeitwohneinrichtungen genommen werden", betont der Facharbeitskreis Unterstützungsangebote im Münchner Behindertenbeirat. Etwa wenn die Eltern erkranken oder im Beruf besonders gefordert sind, wäre das wichtig. Mit einer Sonderauswertung einer Studie von Wolfgang Dworschak, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls für Pädagogik bei geistiger Behinderung der Ludwig-Maximilians-Universität tätig ist, hat der Behindertenbeirat jetzt den Bedarf an Kurzzeitwohnangeboten untermauert.

Dworschak, der die Situation in ganz Bayern für die Lebenshilfe und den Landeselternbeirat der Schulen für Menschen mit Behinderung untersucht hat, sieht in München hohen Bedarf. Denn die Familien in der Landeshauptstadt hätten weniger informelle Unterstützungsangebote, wie etwa Angehörige, zur Verfügung. Zudem gebe es mehr Alleinerziehende. Nach der Münchner Stichprobe hätten bisher 20 Prozent der Familien ein Kurzzeitwohnangebot genutzt, während ein weitaus größerer Teil, mehr als die Hälfte, ein entsprechendes Angebot nutzen würden. Konkreten Bedarf meldeten 40 Prozent der 373 Familien an, die an der Stichprobe teilnahmen. Als Gründe nannten die Befragten, sie wollten einmal Ausspannen (56,9 Prozent), Krisensituationen (53,3 Prozent), sie wollten einmal Geschwister in den Mittelpunkt stellen (38 Prozent) und ihren Beruf (29,9 Prozent). Besonders hoch ist der Bedarf in Ferienzeiten und am Wochenende. Von denen, die ein Angebot schon einmal genutzt haben, bekam nur knapp die Hälfte eine Platzzusage innerhalb eines Monats, 19 Prozent warteten bis zu drei Monate, weitere 22 Prozent zwischen drei Monaten und einem halben Jahr.

Unterstützung für den Ausbau des Angebots kommt jetzt von der Rathaus-SPD. Zwar sei für die Bedarfsplanung für Menschen mit Behinderung inzwischen der Bezirk Oberbayern zuständig, aber dennoch fordert die Stadtratsfraktion, dass sich das Sozialreferat gemeinsam mit dem Bezirk und dem Behindertenbeirat darum bemüht, einen Weg zu finden, baldmöglichst das Angebot an Kurzzeitwohnplätzen zu verbessern. "Ein gutes Versorgungsangebot für Menschen mit Behinderungen und ihren Familien darf nicht an Zuständigkeitsfragen scheitern", betont SPD-Stadträtin Anne Hübner. Das Sozialreferat soll deshalb eine Stiftung suchen, die das Kurzzeitwohnangebot für Kinder mit Behinderungen anschieben und unterstützen kann. Der sozialpolitische Sprecher der SPD, Christian Müller, setzt auch für die Menschen mit Pflegebedarf auf eine engere Zusammenarbeit der Stadt mit dem Bezirk und regt eine gemeinsame Sozialplanung an, um die Infrastruktur bedarfsgerecht zu gestalten.

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