SZ-Adventskalender:"Ich will rauskommen aus diesem Teufelskreis"

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Mary A. ist alleinerziehend und versucht alles, um Arbeit zu finden - ohne Erfolg. Andrea B. macht sich Sorgen um ihre Tochter, weil sie selbst schwer krank ist. Zwei von vielen Fällen, in denen der SZ-Adventskalender hilft.

Von Inga Rahmsdorf

Sofia wünscht sich zu Weihnachten eine Sternschnuppe. Immer, wenn die Siebenjährige eine am Himmel sieht, wünscht sie sich, dass ihre Mutter gesund wird. Doch die Sternschnuppen haben Sofias Wünsche bisher nicht erfüllt. Andere siebenjährige Kinder haben Angst vor Gespenstern, vor Einbrechern oder Monstern. Sofia hat Angst davor, ihre Mutter zu verlieren und ganz alleine zu sein. Das Mädchen hat ihre Mutter noch nie gesund erlebt. Ihren Vater kennt sie nicht, er lebt im Ausland und kümmert sich nicht um seine Tochter.

Wenn Sofia in der Schule ist, wird ihre Mutter, Andrea Bauer, an ein Gerät angeschlossen, das durch einen Schlauch Blut aus ihrem Körper herauspumpt, reinigt und durch einen anderen Schlauch wieder in ihren Körper hineinpumpt. Dreimal in der Woche muss die 42-Jährige für jeweils vier Stunden in einem Nierenzentrum an der Dialyse liegen. Seit drei Jahren. Danach geht es ihr immer schlecht. "Es fühlt sich jedes Mal an, als hätte ich eine Grippe", sagt Bauer. Mit Übelkeit, Gliederschmerzen und Erschöpfung. Aber ohne Dialyse könnte sie nicht überleben. Andrea Bauer und Sofia heißen eigentlich anders, aber sie möchten nicht, dass ihr Name in der Zeitung steht.

Man wünscht Sofia einen Himmel voller Sternschnuppen. Sie lebt mit ihrer Mutter in einer Eineinhalb-Zimmer-Wohnung. Bauer schläft auf einer durchgelegenen Ausziehcouch. Ein Bett kann sie sich nicht leisten, das Geld ist jeden Monat knapp, denn arbeiten kann die Münchnerin aufgrund ihrer Erkrankungen schon seit Jahren nicht mehr. Bauer leidet ständig unter starken Schmerzen, sie ist Diabetikerin, ihr linker Fuß ist wiederholt operiert worden.

Beim ersten Mal wurde ein Stück Knochen aus der Hüfte in das Fußgelenk eingesetzt, doch es hat sich nur verschlimmert. Es ist unklar, ob sie jemals wieder laufen kann oder der Fuß sogar amputiert werden muss. Sie wartet zudem auf eine Transplantation für eine Bauchspeicheldrüse und eine Niere. Es ist nicht leicht, ein geeignetes Spenderorgan zu finden, denn Bauer hat auch noch eine seltene Blutgruppe. Zudem können die Organe nur transplantiert werden, wenn es ihrem Fuß besser geht.

In Bauers Kindheit wurde die Diabetes-Erkrankung lange Zeit nicht diagnostiziert, dann wurde ihr Blutzuckerspiegel nicht richtig eingestellt. An den Folgen davon wird sie ihr Leben lang leiden: Nervenschäden, Augenschäden, Nierenschäden. Als sie schwanger wurde, rieten die Ärzte ihr, abzutreiben, das gesundheitliche Risiko sei zu groß. Bauer aber wollte ihr Kind. Sofia war eine Frühgeburt, das Baby musste zunächst auf die Intensivstation. "Ich bin so froh, dass meine Tochter da ist und dass sie heute gesund ist", sagt Bauer.

Auch wenn es der Mutter seit der Geburt gesundheitlich noch schlechter geht. Doch Sofia ist auch ihr Ansporn, durchzuhalten, trotz der Schmerzen, trotz der ständigen Krankenhausaufenthalte, trotz der immer neuen Erkrankungen. "Wenn das Kind nicht da wäre, dann wäre ich auch nicht mehr", sagt sie. "Aber es ist schlimm, was meine Tochter alles durchmachen muss."

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Bauer ist im Alltag ständig auf Unterstützung angewiesen. Ihre Familie kommt zwar aus München, doch ihre Mutter und eine ihrer beiden Schwestern sind an Krebs gestorben, der Vater ist zu alt, um zu helfen. Die andere Schwester unterstützt sie viel, doch sie ist selbst auch krank. Bauer ist dankbar, dass die Eltern von Sofias Freunden ihre Tochter mit zum Sportverein nehmen, oder sie zum Spielen zu sich einladen, weil sie selbst nichts unternehmen kann. Ab und an kann sie sich das Auto von ihrer Schwester leihen, um Sofia zur Schule zu bringen oder abzuholen. Ein eigenes gebrauchtes Auto wäre ihr großer Traum, damit sie ihre Tochter auch im Alltag begleiten könnte, doch leisten kann sie sich das nicht.

Auch Mary ist alleinerziehende Mutter. Die 38-Jährige hat drei Kinder; auch sie lebt in einer finanziell schwierigen Situation. Verzweifelt sucht Mary nach eine Arbeit, um ihre Situation zu verbessern. Vor einigen Monaten hatte sie endlich einen Job in Aussicht. Mary wollte als Schulbegleiterin arbeiten, eine Familie suchte eine Betreuung für ihr behindertes Kind. "Es passte so gut", sagt Mary, die nicht möchte, dass ihr Nachname in der Zeitung steht. Sie hatte schon Erfahrungen bei Praktika in Kinderkrippen gesammelt, hat eine Ausbildung als Kinderpflegerin gemacht.

Außerdem hat ihr ältester Sohn autistische Züge, Mary weiß also, was es heißt, wenn Kinder eine besondere Betreuung brauchen, eine feste Struktur, wenn sie sich nicht so verhalten, wie man das vielleicht von Gleichaltrigen erwartet. Doch es hat nicht geklappt. Die Familie hat ihr abgesagt, nachdem Mary sich dort vorgestellt hatte. "Vielleicht", sagt Mary vorsichtig und zögert, "vielleicht lag es daran, dass meine Hautfarbe zu dunkel ist."

Mary erhält Unterstützung von einem Verein, der arbeitslosen Menschen in München dabei hilft, eine Stelle zu finden. Die Mitarbeiterin dort, die Mary betreut, kann sich auch nicht erklären, warum mehrere Familien, die eine Schulbegleiterin suchten, und bei denen es gut gepasst hätte, abgesagt haben. Sie hätten aber schon öfter die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe trotz gefragter Qualifikationen mehr Schwierigkeiten hätten, eine Stelle zu bekommen - leider auch in einer Großstadt wie München.

"Es ist ein Teufelskreis", sagt Mary. "Ich will rauskommen aus dieser Situation, ich will arbeiten, aber es geht nicht weiter. Das macht mich wirklich traurig und belastet mich sehr." Dabei hat sie schon mehrmals im Leben schwierige Situationen gemeistert und ihren Weg herausgefunden. Mary ist in Ghana in armen Verhältnissen aufgewachsen, ihre Mutter ist Analphabetin und verkauft Kochbananen auf dem Markt, der Vater hat sich nicht um die Familie gekümmert. Mary hat Agrarwissenschaften studiert, doch ihr Abschluss wird in Deutschland nicht anerkannt.

Mary A.sucht verzweifelt eine Arbeit, doch es ist nicht leicht als alleinerziehende Mutter mit drei Kindern. (Foto: Catherina Hess)

Vor dreizehn Jahren zog sie mit ihrem damaligen Mann nach Deutschland. Er war gewalttätig, schlug sie und ihr Kind, bis sie mit ihrem Sohn in ein Frauenhaus floh. Mary lernte fließend Deutsch, begann eine Ausbildung als Kinderpflegerin, verliebte sich erneut, bekam mit ihrem zweiten Mann noch zwei Kinder. Doch die Beziehung zerbrach.

In ihrer Wohnung hängen Fotos von den Kindern an den Wänden. Die drei teilen sich ein Zimmer. Vieles ist nur notdürftig eingerichtet, aber liebevoll. "Ich bin hier zufrieden", sagt Mary. Sie fühle sich sicher. Aber ihr ältester Sohn macht ihr Sorgen "Er ist ein sehr liebevolles und intelligentes Kind und er ist mein ganzer Stolz", sagt Mary. Aber manchmal fühle sie sich überfordert. Der Junge hat autistische Züge, er braucht eine intensive Betreuung, eine klare Struktur im Alltag und viel Ruhe.

Doch das ist schwierig mit seinen zwei kleinen Geschwistern in der engen Wohnung. Was Mary aber am meisten belastet, ist, dass ihr ältester Sohn in der Schule und auf der Straße ständig gemobbt wird. "Häufig kommt er nach Hause und weint, weil die Kinder zu ihm gesagt haben: Du bist anders. Und er kann sich nicht verteidigen."

Der Sohn hat keinen Hortplatz bekommen, die Kitas ihrer beiden jüngeren Kinder schließen um 14 Uhr, was die Jobsuche erschwert. "Wenn ich mich bewerbe, bekommen sie Angst, weil ich alleinerziehend bin", sagt Mary. "Was ist, wenn ein Kind krank ist? Was ist in den Ferien?" Familiäre Unterstützung hat sie keine in München; ihre Mutter und ihre Geschwister leben in Ghana. Die beiden jüngeren Kinder kennen ihre Oma nicht. "Manchmal fragen sie mich: Mama, hast du auch eine Mama?" Mary wünscht sich, eine Waschmaschine kaufen zu können, ihr Gerät ist kaputt. Und Winterkleidung für die Kinder.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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