Fahrradwerkstatt:Aufrecht liegend

Fahrradwerkstatt: Handarbeit aus Überzeugung: Christian Mischner baut Liegeräder; die Preise beginnen mit der Basis-Ausführung bei 2280 Euro.

Handarbeit aus Überzeugung: Christian Mischner baut Liegeräder; die Preise beginnen mit der Basis-Ausführung bei 2280 Euro.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

In Gröbenzell baut Christian Mischner Fahrräder und bedauert, dass der Marktanteil der flachen Gefährte trotz vieler praktischer Vorteile seit den Neunzigerjahren kaum zugenommen hat

Von Sarah Obertreis, Gröbenzell

Im Jahr 2004 fuhr Christian Mischner wieder einmal mit seinem Liegerad und einem Anhänger voller Pakete zur Post. Er war knapp dran, als ihn ein Mann anhielt. "Der war begeistert von meinem Liegerad", berichtet Mischner, vor dessen Augen sich die Türen der Post schlossen, als er noch immer ins Gespräch verwickelt war. Als Liegeradler werde man ständig angesprochen, das sei manchmal nervig. "Selbst wenn man an der Ampel steht, kurbeln Autofahrer neben dir das Fenster runter und witzeln", erzählt Mischner, "oft wird man auch einfach als Spinner abgestempelt."

Dabei hat der Fahrradbauer selbst seine Probleme mit so manchen passionierten Liegeradlern, die er Hardliner nennt. "Unter den Liegeradlern gibt es sehr viele dogmatische Personen, die mit Scheuklappen fahren. Ich nehme weder an deren Stammtischen teil, noch fahre ich mit dem Liegerad in der Stadt", sagt Mischner. Die Sicht sei zu stark eingeschränkt, das Fahren nicht sicher genug. Auch Kunden, die in seiner Fahrradwerkstatt in Gröbenzell vorbei kommen, rät der Unternehmer von Liegenrad-Fahrten durch die Stadt ab.

"Das Liegerad ist das optimale Gefährt, um einmal um die Welt zu radeln und nicht für kurze Fahrten durch die Stadt gedacht", erklärt der 59-Jährige. Auf freier Strecke werde man auf dem Liegerad schnell als etwas besonderes erkannt. "Auf der Landstraße wird man von Autofahrern nicht so knapp überholt, wie als Rennradfahrer", berichtet Mischner.

Der Unternehmer spricht aus Erfahrung. Ende der Siebzigerjahre war er selbst ein passionierter Rennradfahrer mit einer Vorliebe für Mammutstrecken. Die rund 280 Kilometer zwischen Hamburg und seinem damaligen Wohnort Berlin legte er auf zwei Rädern zurück. Doch ihn belasteten die körperlichen Schmerzen. "Die gebückte Haltung auf dem Rennrad war unangenehm. Nicht nur meine Handgelenke schmerzten . . .", erzählt der Unternehmer. Erst Anfang der Achtzigerjahre stieß Mischner auf eine Lösung für sein Problem. Zu dieser Zeit bahnte sich das Liegerad langsam, aber sicher einen Weg in die deutsche Radszene.

In der waagrechten Sitzposition ließen sich die langen Strecken, die Mischner so sehr liebte, problemlos zurücklegen, ohne dass man vorher ausgiebig trainieren musste. Auf dem Liegerad werden, anders als beim herkömmlichen Rad, Handgelenke, Arme und der Oberkörper entlastet. Körperliche Schmerzen bleiben meist aus.

Zu der Zeit, als Mischner das Liegerad für sich entdeckte, begeisterten sich immer mehr Menschen für den Liegerad-Sport, bei dem regelmäßig Geschwindigkeitsrekorde gebrochen wurden. Denn das Waagrecht-Rad ist nicht nur komfortabler, sondern auch aerodynamischer und damit deutlich schneller als das herkömmliche Aufrecht-Rad. Es ist dermaßen flink unterwegs, dass die Union Cycliste Internationale (UCI) das Liegerad bereits 1934 aus dem regulären Wettkampfbetrieb ausgeschlossen hat.

Doch auch die dem Liegerad vorbehaltenen Wettbewerbe hätten sich zunächst großer Beliebtheit erfreut, erzählt Mischner. "Anfang der Neunzigerjahre hatte der Liegerad-Sport viele interessierte Zuschauer und somit potenzielle Käufer", sagt der Fahrradbauer. Er schätzt, dass zu dieser Zeit in Deutschland zwischen 1000 und 2000 Liegeräder im Jahr verkauft wurden. Fragt man den Unternehmer nach seinen aktuellen Schätzungen, schaut er etwas geknickt drein: "Ich denke, dass momentan vielleicht zwischen 2 000 und 3 000 Liegeräder im Jahr in Deutschland verkauft werden. Der Absatz ist also kaum gestiegen, anders als ich erwartet hatte."

Zum Vergleich: 2015 wurden in Deutschland rund vier Millionen Aufrecht-Räder verkauft. "Liegeräder werden immer noch überwiegend von Männern erworben. Junge Leute kaufen weniger bei mir, da ihnen der Preis zu hoch ist", sagt Mischner. Sein günstigstes Liegerad-Modell C 500 kostet in der Basis-Ausführung 2280 Euro, von da an klettern die Preise zügig nach oben - kein Wunder bei den kleinen Stückzahlen. Dass der Liegerad-Markt so überschaubar ist, hat es Mischner aber auch ermöglicht, einen hohen Bekanntheitsgrad in der Szene zu erlangen, ohne seinen erweiterten Ein-Mann-Betrieb vergrößern zu müssen. Meistens arbeitet der Unternehmer alleine in seiner Fahrradwerkstatt "Flux"; nur wenn viel zu tun ist, wird er von einem Helfer unterstützt.

Inzwischen hat er seine Angebotspalette erweitert, 2004 entwickelte Christian Mischner sein erstes Aufrecht-Rad. Von den Hardlinern wurde er damals als "Verräter" beschimpft, viele von ihnen ignorierten ihn fortan auf der Straße. Aber Mischner kann damit leben: Er fährt jetzt täglich mit seinem Aufrecht-Rad A10 durch den Stadtverkehr. Vor kurzem hat er damit die 50 000-Kilometer-Marke geknackt.

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