Fahrerflucht in München:Hartnäckig wie die Mordkommission

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Bei Fällen von Unfallflucht mit schwer Verletzten oder Toten wenden sich die Fahnder auch an die Bevölkerung. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Fälle von unglaublicher Skrupellosigkeit: Innerhalb von einer Woche wurden in München drei Jugendliche von Autos angefahren, immer gaben die Fahrer anschließend Gas. Doch bei schwerer Unfallflucht setzen die Münchner "Blech-Kriminaler" alles daran, den Täter zu fassen.

Von Susi Wimmer

Es ist ein dummer Zufall, eine merkwürdige Serie, "es gibt zumindest keine logische Erklärung", sagt Polizeirat Marcus da Gloria Martins: Innerhalb einer Woche sind in München drei Jugendliche angefahren worden - und in allen drei Fällen gaben die Autofahrer Gas, ohne sich um die Verletzten zu kümmern. Die Chancen, die flüchtigen Täter zu ermitteln, stehen nicht schlecht. Denn Münchens "Blech-Kriminaler", wie sie intern genannt werden, laufen bei Unfallfluchten mit Verletzten zur Höchstform auf.

Die Unfälle zeugen von einer unglaublichen Skrupellosigkeit: Am 5. November etwa fuhr ein Achtjähriger in Pasing vorschriftsmäßig bei Grünlicht mit seinem Tretroller über die Straße. Ein Unbekannter fuhr den Buben um. Der Autofahrer setzte seinen Wagen zurück, um an Roller und Bub vorbeizulenken und gab Gas. Tags darauf fuhr ein Unbekannter auf der Goethestraße auf eine Fußgängerin zu, die gerade die Straße überquerte.

Er sah die 15-Jährige, hupte, aber bremste nicht. Die Jugendliche ist hörgeschädigt, reagierte nicht. Da fuhr der Mann so dicht an ihr vorbei, dass er sie noch mit dem Pkw erwischte. Das Mädchen stürzte und blieb bewusstlos liegen. Der Fahrer flüchtete. Und am 11. November fuhr ein Unbekannter in der Mandlstraße einer 14-Jährigen gegen das Bein. Auch er hatte das Mädchen gesehen, kurz gebremst und gehupt und dann Gas gegeben.

Was einen Menschen dazu veranlasst, jemanden zu verletzen und dann abzuhauen - bei der Frage zuckt der Polizeirat da Gloria Martins, Leiter der Verkehrsunfallaufnahme, mit den Schultern. Die Erfahrung lehrt, dass diese Autofahrer oft "betrunken oder ohne Führerschein" unterwegs waren, Angst vor der Strafe hatten oder unter Schock standen.

Die Zahl der Unfallfluchten in München hat sich seit gut 25 Jahren bei rund 12.000 pro Jahr eingependelt, davon sind 412 mit Personenschäden. "Wirklich schwere Unfallfluchten haben wir ungefähr 25 pro Jahr."

Dann allerdings ziehen die Kriminaler alle Register, "da arbeiten wir auf K 11-Niveau", sagt der Chef. K 11, das ist die Mordkommission. Die Fluchtfahnder sichern Lack- und Glassplitter, überprüfen Überwachungskameras in Tatortnähe, hängen Flyer aus, befragen Zeugen, beobachten die Örtlichkeit immer zur Unfallzeit. Aus Glasfragmenten können sie auf Hersteller und Modell schließen, aus Lackpartikeln den Zeitraum eingrenzen, wann das Auto produziert wurde.

Aufklärungsquote zwischen 80 und 100 Prozent

Manchmal hilft aber auch einfach nur der Zufall: 2006 mieteten die Fahnder eine Parkharfe an, um mehr als 1000 Mercedes 190 zu überprüfen. Der Fahrer eines solchen Modells hatte am Dantebad einen Fußgänger erfasst. Der Mann starb, der Verursacher flüchtete. Unter den Überprüften war der Unfallfahrer nicht zu finden. Allerdings flog er wenig später per Zufall auf: Er wollte den Wagen im Dachauer Hinterland verkaufen. Der Münchner Käufer sah den Unfallschaden, erinnerte sich an die Medienberichte von der Flucht und alarmierte die Polizei.

Bayernweit einzigartig hat die Münchner Polizei seit den Fünfzigerjahren diese Extra-Abteilung für Unfallfluchten. 34 spezialisierte Fahnder sind dort am Werk. "Unsere Aufklärungsquote bei schweren Fluchten liegt zwischen 80 und 100 Prozent", sagt Marcus da Gloria Martins. Sein Appell: "Wer so etwas sieht, sollte sofort die Polizei rufen."

© SZ vom 18.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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