Fahndung:Wenn ein Eichenblatt oder Glasscherben den Täter verraten

Fahndung: Edith Gebhart, Sachgebietsleiterin am LKA, beherrscht die Kunst des Spurenlesens im Mikrometerbereich.

Edith Gebhart, Sachgebietsleiterin am LKA, beherrscht die Kunst des Spurenlesens im Mikrometerbereich.

(Foto: Robert Haas)

Mithilfe verblüffender Techniken geht das LKA biologischen Spuren nach. Die DNA-Analyse spielt bei Ermittlungen eine immer wichtigere Rolle.

Von Susi Wimmer

Es war ein Eichenblatt, das den Mörder überführte. Nicht mal ein ganzes, sondern nur ein Fragment. "Anhand der DNA des Blattes konnte man es einem ganz bestimmten Baum zuordnen", erzählt Edith Gebhart. Die Wissenschaftlerin ist fasziniert davon, dass so eine Individualtypisierung überhaupt möglich war. Für die Ermittler dürfte die Faszination anderswo gelegen haben: Denn unter jener bestimmten Eiche war eine ermordete Frau verscharrt worden.

Und ihr Ehemann hatte immer wieder versichert, nie in diesem Waldstück gewesen zu sein. Nur hing an seinem Wagen eben jenes Eichenblatt. Das Eichenblatt ist aber auch der Beweis dafür, dass Kriminalwissenschaftler den Ermittlern entscheidende Hinweise geben können. Wenn etwa Blütenpollen, Fliegenlarven, der Abrieb einer Hose an einem Sessel oder die Glühwendel in einem Autolicht helfen sollen, eine Straftat aufzuklären, dann ist Edith Gebhard nicht weit. Die 53-Jährige ist Sachgebietsleiterin Mikrospuren/Biologie am Bayerischen Landeskriminalamt (LKA).

Edith Gebhart ist so, wie man sich eine Wissenschaftlerin vorstellt. Natürlich, schlicht gekleidet, ohne Schnickschnack und Klimbim. Sie spricht ruhig und klar. Überhaupt Klarheit. Die scheint das Credo der Chemiedirektorin zu sein. Sie sagt zum Beispiel: "Ein Spurenbild soll Klarheit bringen, nicht die Wahrheit. Die Wahrheit zu finden, ist Sache der Gerichte." Oder: "Kann ich dieses Spurenbild bei einem mutmaßlich dargestellten Tathergang erwarten?"

Die Biologie und die Mikrospuren, ihr Fachgebiet, führen im LKA längst kein stiefmütterliches Dasein mehr. Verließ man sich vor 70 Jahren noch auf einfache Lichtmikroskope oder einen Augenvergleich, so lässt sich heute mit dem Rasterelektronenmikroskop "ein Partikel von einem halben Mikrometer analysieren", sagt Gebhart.

Ein Blick durchs Mikroskop, und die Welt ist voller Farben

Ein Beispiel: Ein Einbrecher schlägt die Scheibe einer Terrassentüre ein, wird gestört und flüchtet. Er wird im Rahmen der Fahndung von der Polizei festgenommen und leugnet. Die Kleidung, die er an jenem Tag trug, wird sichergestellt und ins LKA geschickt. Die Wissenschaftler suchen nach Glassplittern von der Terrassentüre, saugen auch die Kleidung ab und analysieren die im Filter gefangenen Minisplitter. Sie studieren das Lichtbrechungsverhalten des Glases und bestimmen den so genannten Brechungsindex. Den vergleichen sie dann mit dem Glas der Terrassentüre.

Ein Fall, erinnert sich Edith Gebhart, sei recht eindeutig gewesen: In Regensburg hatte ein Mann mit einem Nothammer die Eingangstüre eines Hauses eingeschlagen und wurde wenig später festgenommen. Ein Vergleich der Splitter am Hammer mit dem Türglas ließ kaum noch Zweifel: Das Glas hatte so einen ungewöhnlichen Brechungsindex, wie ihn die Wissenschaftler bis dato noch nicht gesehen hatten und auch nicht mehr zu sehen bekamen. Denn die Scheibe war vor 1900 hergestellt worden - das Glas war arsenhaltig.

Fahndung: Im Keller des Landeskriminalamts liegen die Vergleichsproben zahlreicher Pflanzenarten.

Im Keller des Landeskriminalamts liegen die Vergleichsproben zahlreicher Pflanzenarten.

(Foto: Robert Haas)

Ein Blick durchs Mikroskop, und die Welt ist voller Farben: Pink und blau und gelb, und wenn die Forscherin an dem kleinen Glasträger mit der Spur dreht, dann schaut das aus wie der Blick durch ein Kaleidoskop. Die bunte, psychodelische Farbenwelt verändert sich, manche Striche verschwinden, tauchen wieder auf. Für Edith Gebhart kein Grund zum Träumen, sondern zum Resümieren: "Da ist Asbest drin."

Die Wissenschaftlerin kann sogar die Farbe von Fasern messen. Was für den Laien ziemlich unnütz klingt, hilft wieder in der Kriminologie. "Wir leben ja in einer textilen Welt", sagt sie. Will heißen: Wir fasern überall herum. Setzt sich ein Mann im Wohnzimmer seiner Ex auf einen Stuhl, die Frau wird später tot aufgefunden und er behauptet, nie in ihrer Wohnung gewesen zu sein, dann können die Wissenschaftler von Edith Gebhart das Gegenteil beweisen. Nein. Sie würde sagen: "Es ist immer eine Kann-Zuordnung."

Ein Forschungsfeld der Zukunft

Fahndung: Die Schaufensterpuppe dient zur Analyse von Messerattacken, mit ihr kann die Stichführung rekonstruiert werden.

Die Schaufensterpuppe dient zur Analyse von Messerattacken, mit ihr kann die Stichführung rekonstruiert werden.

(Foto: Robert Haas)

Noch spannender findet sie allerdings die Faseranschmelzspur, denn die hat einer aus ihrem Bio-Team miterforscht. Nehmen wir den Raub auf einen Juwelier, draußen wartet das Fluchtauto, der Fahrer gibt Gas. Er verursacht einen Unfall, flüchtet aus dem Wagen und wird später geschnappt. Haben die Mikrospuren-Experten Auto und Kleidung des Mannes, ist es nahezu ein Kinderspiel.

Denn durch den Aufprall reibt beispielsweise die Hose des Mannes an der Lenksäule, der Kunststoff der Lenksäule schmilzt durch die hohe Energie beim Aufprall und dabei werden Fasern der Hose in den Kunststoff eingeschlossen. Bei einem Verkehrsunfall etwa, wenn zu klären ist, wer wo gesessen hat, habe die Faseranschmelzspur "die größte Aussage", meint Gebhart sogar. Weil sie eben unfallbedingt ist und eine Gegenspur auf der Hose hinterlässt.

Edith Gebhart lehnt sich in ihrem Bürostuhl zurück. Der Raum ist schlicht, nur die Pinnwand ist bunt: Eine abgeschnittene Krawatte vom Weiberfasching, ein Periodensystem, ein Fahndungsfoto, eine Glückwunschkarte. Für einen Außenstehenden mag auch das Fachgebiet Biologie und Mikrospuren recht turbulent wirken. Da gibt es etwa zwei Forscher, die anhand von Maden und Fliegenlarven an einer Leiche den Todeszeitpunkt bestimmen können.

Und die Experten, die nach einem Verkehrsunfall aufgrund der Glühwendel im Autolicht sagen können, ob der Autofahrer geblinkt oder das Licht angeschaltet hatte. Oder die Wissenschaftler, die mit BMW zusammen Dummys gegen die Wand fahren lassen, um die Rückstände der Airbags auf der Kleidung zu erforschen. "Airbags sind pyrotechnische Gegenstände und hinterlassen auf der Kleidung Rückstände von Anzündsätzen", erklärt Edith Gebhart. Ein Forschungsfeld der Zukunft.

Ebenso die Bestimmung von Tier- und Pflanzen-DNA, die momentan im LKA noch nicht gemacht werden kann. Das Projekt wäre ebenfalls zukunftsträchtig, wenn man bedenkt, dass über 20 Millionen Hunde und Katzen durch deutsche Haushalte streifen. So wie bei einem Mordfall in San Diego 2002: Da wurde erstmals aufgrund von Hunde-DNA ein Mann wegen Mordes verurteilt. Ermittler hatten in seinem Haus Hundehaare gefunden, die zweifelsfrei dem Weimaraner der Familie des Opfers zugeordnet werden konnten. So konnte der Mord an dem siebenjährigen Mädchen aufgeklärt werden.

Tannennadel aus den Vogesen

Im dunklen LKA-Keller ist eine Schaufensterpuppe eingesperrt. "Die brauchen wir, wenn wir Kleidung untersuchen, etwa nach einer Stichverletzung", erzählt die Wissenschaftlerin. Die LKAler können die Riss- oder Stichspur beispielsweise untersuchen und auf die Beschaffenheit des Messers schließen. Aber hier im Keller finden sich noch andere Schätze: Zum Beispiel eine Probe der Arctium lappa, der Großen Klette. Oder der Abrus precatorius, der Paternostererbse. Die ganze Regalwand ist voll mit blauen Schublädchen, und in jedem befindet sich eine Vergleichsprobe einer Pflanze. Denn auch Pflanzenreste an der Hose können verräterisch sein. Beim Millionenräuber Sven K., der 2009 einen Geldtransporter überfallen hatte und sich mit 3,6 Millionen Euro absetzte, fand man danach im Kofferraum seines Wagens eine Tannennadel. Kittelmann war später gefasst worden, das Geld war weg. Biologen konnten die Tannennadel zuordnen, sie stammte aus den Vogesen, einem Mittelgebirge in Ostfrankreich. Zur Aufklärung des Falles trug dies leider nicht bei. K. wurde zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Wo die Beute ist, weiß bis heute nur er. wim

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