Fahnder im Sport:Direktor mit durchdringendem Blick

Günter Younger

Der Experte für Internet-Kriminalität kehrt hauptberuflich zur Wada zurück: Günter Younger wird die Ermittlungsabteilung leiten.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Nüchterner Analyst: Der Münchner Kriminalbeamte Günter Younger wird Chefermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada

Von Thomas Kistner

Als einer, der sich intensiv durch die Unterwelt des Sports bewegt, hat Günter Younger, der Chefermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, allerlei filmreife Geschichten auf Lager. Zu den aufschlussreichsten gehört die von Grigori Rodtschenkow. Der Russe leitete viele Jahre das Moskauer Doping-Kontrolllabor, 2015 setzte er sich aus Todesangst in die USA ab. Als er noch in der Heimat eine offenbar staatlich abgesicherte Dopingverschwörung um die nationalen Athleten orchestrierte, war Rodtschenkow per Mail von Ermittlern der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada aufgefordert worden, alle Dopingproben zu sichern. "Okay, machen wir", schrieb Rodtschenkow zurück an die Fahnder, denen auch Younger angehörte.

Dann machte er sich an die Arbeit: Auf der Stelle zerstörte er 1417 eingelagerte Dopingproben. Als ihn Youngers Stab erzürnt zur Rede stellte, erklärte der Russe nur, die Mail sei missverständlich gewesen - und Englisch nicht seine Muttersprache. Younger war fassungslos über diese bizarre Variante russischer Dopingbekämpfung: Hätte ihn der Laborchef im Fall eines Missverständnisses nicht zurückrufen können? Heute wundert ihn nichts mehr. In den USA hat der Russe jüngst enthüllt, mit welcher geheimdienstlicher Akribie der Pharmabetrug im russischen Sport organisiert worden ist. Und wer bei den Winterspielen 2014 in Sotschi nachts im Labor verseuchte Sportlerurine gegen saubere tauscht, der mag durchaus eine Mail mit der Bitte um "Sicherstellung" als Aufforderung zur Probenvernichtung verstehen. Auch (oder gerade) wenn sie von der Wada kommt.

Tatsächlich gerät ja auch das oberste Organ des globalen Dopingkampfes immer tiefer in den Betrugssumpf um russische und andere Sportler - was in der Fachwelt niemanden verwundert. Auch die Wada untersteht dem Diktat des Sports und der olympischen Spitzenfunktionäre.

Das macht die Benennung des Münchner Kriminalbeamten so markant. 2015 war Younger Mitglied einer unabhängigen Wada-Kommission, die den Vorwurf des flächendeckenden Dopings in der russischen Leichtathletik untersuchte und erhärten konnte. In dem dreiköpfigen Stab leitete er die Ermittlungsarbeit, das bayerische Innenministerium hatte ihn dafür ein halbes Jahr beim LKA freigestellt.

Jetzt kehrt der Experte für Internet-Kriminalität hauptberuflich in den Sport zurück: Als Direktor der Wada-Ermittlungsabteilung wird Younger, 48, im Oktober einen neuen Job in Montréal antreten. Diese Ernennung erfolgt in einer Zeit, in der die Kriminalaufklärung im Sport immer wichtiger wird. Der wachsende Druck der Öffentlichkeit sorgt für eine Entwicklung, die den familiär verfilzten Sportverbänden selbst sehr gefährlich werden kann: Erstmals müssen sie auf Experten zurückgreifen, die nicht aus der eigenen, tiefwurzelnden Kameradschaftskultur stammen. So hat im Fußball-Weltverband Fifa ein unabhängiges Ethikkomitee jüngst sogar die Topfunktionäre Sepp Blatter und Michel Platini entthront. Im Dopingsumpf, den Sportinstanzen wie die Wada bisher mehr beobachtet als bekämpft haben, ist es nun Younger, der die Hoffnungen trägt.

Kahler Kopf und ein durchdringender Blick: Der scheidende Chef des LKA-Dezernats für Cyberkriminalität verkörpert den Typus nüchterner Analyst ebenso wie die karge Funktionalität seines Büros in der Münchner Behörde. Auflockerung schafft hier nur eine Sammlung bunt glitzernder Orden; Dankbezeigungen aus vielen Ländern, von Iran und dem Libanon bis Schwarzafrika - wo Younger eine Medaille aus Holz geschnitzt worden war.

Diese Kollektion steht für Meriten, die Younger in Diensten Interpols erwarb; dort führte er das Rauschgiftdezernat. Weil sich die Drogenroute nicht selten mit der von verbotenen Pharmaka kreuzt, hatte die Wada bei Interpol um Unterstützung im Dopingkampf gebeten. Sie fand dort ihren neuen Cheffahnder.

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