Extremismus:Nehm will Anklage gegen Neonazis erheben

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Der Generalbundesanwalt will einen Großteil der im September festgenommenen Münchner Neonazis im nächsten Frühjahr vor Gericht bringen. Kay Nehm verdächtigt die verhafteten Rechtsradikalen, in München eine terroristische Zelle gegründet zu haben.

Von Annette Ramelsberger

(SZ vom 7.11.2003) - Das bestätigte die Sprecherin Nehms, Frauke-Katrin Scheuten, am Donnerstag der Süddeutschen Zeitung. Zwei Monate nach der Festnahme von insgesamt 14 Männern und Frauen aus der rechtsextremistischen Szene ist sich die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe offenbar sicher, gerichtsfest belegen zu können, dass sich um den 27 Jahre alten Neonazi Martin Wiese in München eine terroristische Vereinigung gebildet hat.

Anklage im Frühjahr erwartet

Wie die SZ aus Sicherheitskreisen erfuhr, gibt es "hinreichende Anhaltspunkte", dass sich zehn bis zwölf Personen innerhalb der größeren rechtsextremistischen "Kameradschaft Süd" zu einer terroristischen Zelle um ihren Anführer Wiese zusammengeschlossen haben.

Sie hätten sich einer gemeinsamen Willensbildung unterworfen und ernsthaft die Vorbereitung eines Bombenanschlags am 9.November 2003 betrieben. Dafür hatten sie sich 14 Kilogramm Sprengstoff besorgt, davon 1,7 Kilogramm TNT.

Die Anklage wird voraussichtlich beim Bayerischen Obersten Landesgericht erhoben - vermutlich in den ersten drei Monaten des nächsten Jahres. Inzwischen sitzen noch zehn der zunächst 14 Festgenommenen in Haft, darunter auch die Freundinnen von Wiese und seinem Kameraden Alexander Metzing, der den Sprengstoff versteckt hatte.

Griechische Schule im Visier

Die jüngste Beschuldigte ist 17 Jahre alt, der älteste, ein Waffenhändler aus Mecklenburg-Vorpommern, ist 55. Das Verfahren gegen ihn wurde abgetrennt und an die Staatsanwaltschaft Rostock abgegeben. Gegen den Waffenhändler besteht aber nach wie vor ein Anfangsverdacht auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Er soll sechs Pistolen an die Münchner Gruppe verkauft haben. Auch die zwei Verfahren gegen ebenfalls beschuldigte Waffenhändler aus Brandenburg werden vermutlich abgetrennt und an die Staatsanwaltschaft in Neuruppin abgegeben. Drei Haftbefehle wurden gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.

Anschlag für Jahrestag der Reichspogromnacht geplant

Nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler hatte sich Wiese nach der Festnahme des früheren Chefs der "Kameradschaft Süd", Norman Bordin, zu deren Anführer aufgeschwungen. Bordin war wegen eines Überfalls auf einen Griechen in München-Sendling zu 15 Monaten Haft verurteilt worden.

Nachdem Bordin im Gefängnis saß, bildete sich um seinen Nachfolger Wiese eine Zelle, die sich auch gegen die übrigen Angehörigen der Kameradschaft abschottete. Die Mitglieder dieser Zelle sollen überlegt haben, welche Anschläge man ausführen könne. Erwogen wurden dabei Attentate auf muslimische und jüdische Einrichtungen und auf eine griechische Schule.

Zuletzt entschieden sich Wiese und seine Leute aber dafür, am 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, zuzuschlagen. An diesem Tag soll der Grundstein für das neue jüdische Gemeindezentrum am Münchner St.-Jakobs-Platz gelegt werden. Die Neonazis hofften, durch Ort und Zeitpunkt ihres Anschlages große Aufmerksamkeit zu erregen.

Kameradschaft Süd distanziert sich

Noch immer ist unklar, ob sie darauf abzielten, in der Nacht vor dem Gedenktag oder während der Veranstaltung zuzuschlagen. Einen Anschlag während der Grundsteinlegung halten Polizeiexperten jedoch für unwahrscheinlich: Orte, an denen der Bundespräsident oder andere Repräsentanten des Staates erscheinen, werden vorher mit Sprengstoffhunden abgesucht. Das TNT der Neonazis wäre dabei mit großer Wahrscheinlichkeit gefunden worden.

Die Grundsteinlegung am kommenden Sonntag findet unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Ein "massives Polizeiaufgebot" hat der bayerische Innenminister Günther Beckstein angekündigt. Bundespräsident Johannes Rau und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, werden an der Zeremonie teilnehmen, ebenso wie der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber.

Inzwischen hat sich der frühere Anführer der "Kameradschaft Süd", Bordin, aus dem Gefängnis heraus an die Öffentlichkeit gewandt: Er und die "maßgeblichen Führungskader des Nationalen Widerstands in Bayern" stellten sich gegen den Weg einer "Braunen-Armee-Fraktion". Wiese sei ein Einzeltäter, der "junge Menschen offensichtlich zu kriminellen Handlungen verführt hat".

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