Exportschlager:Diese Münchner Ideen werden weltweit kopiert

Nicht nur das Oktoberfest ist ein Exportschlager, sondern auch viele politische, soziale und ökologische Projekte.

Von SZ-Autoren

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Renaturierte Isar

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Quelle: oh

Ein bisschen Mut zur Wildnis - das kommt offenbar gut an, vor allem, wenn ihn eine Großstadt zeigt. Und so ist die auf acht Kilometern renaturierte Isar im Stadtbereich nicht nur eine Attraktion für die Münchner, sondern auch Anschauungsobjekt für andere, denen nach all den Uferverbauungen und Begradigungen an einer naturnahen Umgestaltung ihrer Gewässer, auch mit Blick auf den Hochwasserschutz, liegt. Für ihr gemeinsames Projekt Isar-Plan haben das Wasserwirtschaftsamt und die Landeshauptstadt München unter anderem den Gewässerentwicklungspreis der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall erhalten. Das Interesse daran ist auch anderswo groß: In Los Angeles blickt man voller Neid auf die bayerische Landeshauptstadt, der Los Angeles River nämlich sieht aus wie ein Flutschutz- und Abwasserkanal, viel Beton ohne jeden Erholungswert. Unter dem Motto "Isar goes Hollywood" stellte eine Münchner Delegation das Projekt in Kalifornien vor. Nachahmer könnte es auch anderswo finden, die Reanimierung der "Reißenden" diente auch schon Wasserbauingenieuren aus Ungarn und China als Anschauungsunterricht. Foto: oh

Günther Knoll

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Sozialgerechte Bodennutzung

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Ein Investor, der in München bauen will, kann dies nicht einfach so tun, wie er möchte; er muss Zusagen an die Stadt machen: 30 Prozent der Fläche müssen für geförderte Wohnungen reserviert sein. Zu den Vorgaben gehört aber auch, dass sich der Investor an der Finanzierung von Straßen, Kindergärten und Schulen im Quartier beteiligt. "Sozialgerechte Bodennutzung" heißt das Instrument, das München 1994 eingeführt hat, kurz Sobon. Das Modell hat Schule gemacht, viele Städte in Deutschland imitieren es. So werden zum Beispiel in Dachau und Erding Großprojekte mittlerweile ähnlich angepackt. Aber auch andere Großstädte - etwa Münster, Stuttgart oder Berlin- schauen interessiert auf das Münchner Modell. Sie haben mit dem gleichen Problem zu kämpfen: Es gibt zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Im vergangenen Mai schaute sich eine Berliner Politiker-Delegation das Quartier Domagkpark an. "Die Entwicklung, die München in den vergangenen 20 Jahren hatte, bekommen wir nun innerhalb von drei Jahren", sagte damals der Berliner Bundestagsabgeordnete Klaus Mindrup (SPD).

Anna Hoben

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Spielstädte

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Quelle: Catherina Hess

Kaum ist die Schule vorbei, kann das Leben als Müllmann, Clown, Wissenschaftler, Maler oder Stadtrat bei Mini-München beginnen: 2500 Jungen und Mädchen probieren seit 1979 alle zwei Jahre im größten Ferienprogramm der Stadt München das fast reale Leben aus. Sie erledigen Jobs im Handwerkerhof, bei der Stadtverwaltung, im Rathaus, in der Bank, beim Bauamt, im Filmstudio oder bei einer Zeitung. Das verdiente Spielgeld, die "Mimüs", können nach Abzug einer Steuer entweder gespart oder direkt wieder ausgegeben werden. "Das Ganze ist ein Selbstbildungsprojekt, in dem die Kinder Bürgersinn entwickeln und eine Stadtdemokratie erleben können", sagt Albert Kapfhammer, Vorsitzender des ausrichtenden Vereins Kultur & Spielraum. Eine Idee, die Schule gemacht hat: Etwa 80 Spielstädte gibt es inzwischen deutschlandweit. Zu den internationalen Nachahmern gehören allein in Japan 80 Städte. Anfragen erreichten ihn kürzlich sogar aus dem Orient, sagt Kapfhammer. Demnächst werden wohl Mini-Dubai und Mini-Beirut an den Start gehen können.

Barbara Hordych

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Förderformel für Kitas

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Quelle: Stephan Rumpf

Wer Kita-Plätze zu bezahlbaren Preisen bieten will, macht damit keinen großen Gewinn. Im Gegenteil: Oftmals kämpfen die Einrichtungen um eine ausreichende Finanzierung. Seit 2011 bietet die Stadt München eine freiwillige Förderung, die Tagesstätten zusätzlich zum gesetzlichen Zuschuss beantragen können: die Münchner Förderformel. Diese soll Familien entlasten, Chancengleichheit fördern und Bildungsgerechtigkeit herstellen. So bekommen nicht alle Einrichtungen pauschal gleich viel Geld, sondern diejenigen mehr, die sich in sozial schlechten Lagen befinden. Mit dem Betrag kann dann zusätzliches Personal eingestellt werden, um Kinder mit Defiziten besser zu unterstützen. Die Kitas bekommen auch einen Ausgleich dafür, dass sie nach dem Einkommen gestaffelte Gebühren anbieten. 64,7 Millionen Euro kostet das Programm im Jahr. Erstmals gibt es in München damit ein einheitliches Zuschusswesen, das so einzigartig ist, dass auch schon andere Kommunen angeklopft haben, die das Fördermodell kopieren wollen.

Melanie Staudinger

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Ökostrom-Offensive

Isarwerk 1 in München, 2015

Quelle: Stephan Rumpf

Ihr erstes Ziel haben die Stadtwerke (SWM) schon erreicht: Seit Mai 2015 erzeugen sie so viel Ökostrom, wie alle Haushalte der Stadt sowie U-Bahn und Tram verbrauchen. Bis 2025 soll der Ausbau der Anlagen, die aus erneuerbaren Ressourcen Strom produzieren, so weit fortgeschritten sein, dass München komplett versorgt werden kann, einschließlich der Unternehmen. "München wird damit weltweit die erste Millionenstadt sein, die dieses Ziel erreicht", erklärt SWM-Sprecher Christian Miehling. Die rot-grüne Stadtregierung hat 2006 die ersten Beschlüsse zur Ökostrom-Initiative gefasst. Zwar setzt sich jede Stadt und jedes Land eigene Ziele bei der Energiewende, doch fest steht, dass das Interesse an der Münchner Offensive weit über Deutschland hinaus reicht. Die Stadtwerke berichten von Delegationen aus Finnland, Japan, Korea, Pakistan, Australien, China und den USA. Das nächste Ziel steht schon: Bis 2040 soll München als erste deutsche Großstadt Fernwärme rein aus erneuerbaren Energien gewinnen, vor allem über Geothermie. Die klobigen Messfahrzeuge sind nun auch in Wien unterwegs, für ein Forschungsprojekt mit klarem Vorbild: München.

Silke Lode

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Radvermietung

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Quelle: Robert Haas

Hubert Stiglbauer war von Anfang an dabei. "Ich habe die Räder mitentwickelt", sagt der langjährige Mitarbeiter von Call a Bike. Robust sollten sie sein, damit Vandalen von Anfang an ausgebremst werden. Vergleichsweise komfortabel aber auch - so erhielten sie eine Federung und Gangschaltung. Und per Telefonanruf anmietbar. Stiglbauer ist immer noch mit von der Partie beim Radvermieter Call a Bike, für die Gründer von damals gilt das aber nicht mehr. Etabliert wurde Call a Bike 2001 von zwei Informatikern in München, eine Vorläufer-Idee hatte der Umweltverein Green City 1994 entwickelt. Und obwohl die Mieträder schnell zum Renner wurden, ging das kleine Startup-Unternehmen rasch in die Knie; die Deutsche Bahn sprang ein und übernahm Firma und Idee. Sie ließ die Radvermietungstochter dann auch rasch in andere Städte expandieren. Mittlerweile gibt es die Räder, die man nun auch per App anmieten kann, in 50 Städten. Allein in München werden pro Jahr mehr als 420 000 Fahrten damit unternommen. Und es gibt Konkurrenz: In München hat die MVG mit dem Leipziger Unternehmen Nextbike ein weiteres Mietradnetz aufgezogen; ähnlich ist es in weiteren Städten.

Marco Völklein

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Quelle: Catherina Hess

Die Münchner gelten ja seit dem Herbst 2015 als vorbildlich beim Empfang und im Umgang mit Menschen auf der Flucht. Doch nicht alle Flüchtlinge finden hier ihre neue Heimat. Deshalb unterhält die Stadt seit 1996 ein eigenes "Büro für Rückkehrhilfen", das auch von der EU und vom Freistaat gefördert wird. Das Projekt Coming Home hat auch schon einen europäischen Preis als sogenanntes Best-Practice-Beispiel für das Arbeitsfeld "Rückkehrberatung und Reintegrationshilfen" bekommen. Die erste derartige Stelle fand bundesweit große Beachtung, seit 2003 gibt es ein flächendeckendes Netz an entsprechenden Beratungsstellen in Bayern. "Wir sind sehr praxiserfahren", beschreibt die stellvertretende Leiterin Sylvia Glaser die Qualifikation des Büros, das allein 2016 etwa 1000 Personen bei ihrer Rückkehr in die Heimat unterstützte. Das Münchner Know-how ist gefragt, Hospitanten und Praktikanten aus ganz Deutschland gehen ein und aus. Das Münchner Büro bietet inzwischen auch Weiterbildungskurse für Fachkräfte an.

Günther Knoll

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Regeln in Schwimmbädern

Info-Kampagne der Münchner Bäder

Quelle: dpa

Der große Ansturm kam mit drei Jahren Verzögerung. Im Jahr 2013 begannen die Stadtwerke, Baderegeln mit Bildchen in ihren 18 Hallen- und Freibädern aufzuhängen. Selbst für Analphabeten sollen die Regeln, die auch den Respekt vor Frauen thematisieren, verständlich sein. Die Texte gibt es auf Deutsch und Englisch, aber auch auf Arabisch, Somali, Dari, Paschtu und Französisch. Die Stadtwerke reagierten damit auf eine Häufung von Vorfällen mit Migranten, die nicht schwimmen konnten. Viele wussten offenbar nicht, wie gefährlich Wasser sein kann, und sprangen einfach hinein. Dann kam es 2016 im nordrhein-westfälischen Bornheim zu sexuellen Übergriffen von Migranten auf andere Badegäste; männliche Flüchtlinge bekamen vorübergehend ein Schwimmbadverbot. Seither wird in vielen Städten diskutiert, wie man solche Vorfälle verhindern kann - und schnell sprachen sich die Münchner Plakate herum. Sie hängen inzwischen in Berlin und Nürnberg, in Norderstedt und Plattling, in Potsdam, Gladbeck, Bad Harzburg und vielen weiteren Städten.

Silke Lode

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Hilfe für Eltern kranker Kinder

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Quelle: Catherina Hess

Was tun, wenn das Kind zu Hause krank im Bett liegt, die Eltern aber nicht der Arbeit fernbleiben können oder wollen? In München gibt es dafür den Verein "Zu Hause gesund werden". 1989 startete er sein gleichnamiges Projekt. Inzwischen kommt er auf mehr als 1500 Einsätze und 10 000 Stunden jährlich, die mehr als 50 ehrenamtliche Helferinnen in der Stadt und im Landkreis leisten. Das Beispiel hat längst Schule gemacht, wie die Leiterin Marlies Tremmel berichtet: Zum Beispiel in Poing, in Gräfelfing aber auch in Garmisch, in Landsberg oder in Stuttgart Möhringen, wo Tremmel es selbst der Kirchengemeinde vorstellte. Genau zu recherchieren, wo man überall imitiert werde, dafür bleibe aber keine Zeit, sagt Tremmel. In vielen Großstädten gebe es inzwischen auch die "Notfallmamas", die nach dem gleichen Prinzip funktionierten, allerdings auf kommerzieller Basis. Tremmel findet noch eines nachahmenswert: Die Stadt unterstütze nicht nur den Verein, sondern auch ihre Bediensteten, wenn diese den Betreuungsdienst in Anspruch nehmen.

Günther Knoll

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Berufsschulen

Jeder dritte in MV wirft die Ausbildung hin

Quelle: Andreas Gebert/dpa

Die Geschichte der Schulstadt München wäre nicht denkbar ohne den einstigen Stadtschulrat Georg Kerschensteiner, der das Amt von 1885 bis 1919 bekleidete. Er setzte sich nicht nur für die Frauenbildung ein, sondern reformierte auch das berufliche Schulwesen, denn das sogenannte Fortbildungsschulwesen war seiner Ansicht nach viel zu sehr auf Allgemeinbildung ausgerichtet. Kerschensteiner schwebte ein neuer Schultyp vor, in dem der Beruf im Mittelpunkt des Unterrichts steht und alle Fächer nach beruflichen Erfordernissen ausgerichtet sind. Mit dieser Idee gewann er nicht nur den ersten Preis bei einem Wettbewerb der königlichen Akademie zu Erfurt. Im Schuljahr 1900/01 eröffnete er die ersten Berufsschulen für Metzger, Konditoren, Kaminkehrer und Bader (Frisöre). Bis 1906 folgten 52 weitere Berufsschulen. An bis zu zwei Tagen besuchten die Lehrlinge die Schule, sonst waren sie in der Arbeit. Große Teile der dualen Berufsausbildung in Deutschland sind bis heute so organisiert. Kerschensteiner gilt als deren Wegbereiter.

Melanie Staudinger

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Fassadenpreis

Münchner Fassadenpreis, 2011

Quelle: SZ Photo

Unsere Stadt soll immer noch schöner werden. Seit 1969 lobt die Landeshauptstadt München den Fassadenpreis aus. Denn frisch herausgeputzte Altbauten, bei denen womöglich noch Stuckverzierungen und historische Gliederungselemente neu und glänzend zur Geltung kommen, tragen wesentlich zu einem attraktiven Erscheinungsbild der Kommune bei. Tarek Kreitner, der in der Abteilung Denkmalschutz und Stadtgestaltung des Planungsreferats für die Organisation des Preises zuständig ist, spricht von einer Vorbildfunktion Münchens in Sachen Fassadenpreis. Denn solche Wettbewerbe gibt es inzwischen in zahlreichen Städten. An ihnen wirken beispielsweise auch Malerinnungen, Unternehmen wie etwa örtliche Banken oder Fremdenverkehrsverbände mit. Kreitner hat dazu einige Beispiele in seinen Unterlagen gefunden: Hamburg (seit 1998) Paderborn (seit 2002), Hannover, Bonn, Dortmund (seit 1973), Jena, Halberstadt (2006), Kassel, Saarbrücken, Apolda, Bamberg, Augsburg, Passau (seit 1976). Diese Aufzählung ließe sich durch viele weitere Kommunen ergänzen.

Alfred Dürr

© SZ vom 4./5.2.2017/imei
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