Exkursion:Mit der Taschenlampe Technik entdecken

Seit fast 20 Jahren können Kinder durch die Abteilungen des Deutschen Museums streifen, wenn alle anderen Besucher schon gegangen sind. Höhepunkt des besonderen Angebots ist die Übernachtung im Matratzenlager

Von Franziska Gerlach

Clara kommt gerade von einer großen Reise zurück. Sie war bei den Sternen und ist mit den Pionieren des Flugwesens durch die Lüfte geschwebt, sie hat ein Schiff in den Hamburger Hafen gesteuert und ist im Dunkeln durch ein riesengroßes Haus geschlichen. Was ihr am besten gefallen hat? "Die anderen Kinder", sagt das kleine Mädchen im geblümten Schlafanzug. Obwohl es schon 22 Uhr ist, wirkt Clara noch kein bisschen müde. Kein Wunder, nach so vielen Eindrücken. Und jetzt komme gleich auch noch ein Märchenerzähler, erklärt sie und hüpft auf der Luftmatratze umher, die ihr Vater im Zentrum für Neue Technologien (ZNT) im Deutschen Museum aufgeblasen hat.

Sechs Stunden zuvor: In der Eingangshalle des Deutschen Museums stehen 70 Kinder und Eltern in der Schlange. Schlafsäcke und Teddybären klemmen unter ihren Armen, ein wenig erinnert das Bild an einen Check-in-Schalter am Flughafen - mit dem Unterschied, dass hier Namenssticker verteilt werden und keine Bordkarten. Seit 1996 veranstaltet das Deutsche Museum die Aktion "Übernachten im Museum" gemeinsam mit dem Kreisjugendring München-Stadt, mitmachen dürfen Kinder von sechs Jahren an. Die Veranstaltung ist Teil eines museumspädagogischen Konzeptes, das Kinder und Jugendliche für Technik begeistern soll. Man achte bei den Workshops und Programmen darauf, Verbindungen zwischen den verschiedenen Disziplinen und Abteilungen herzustellen, sagt Gabriele Kramer, die im Deutschen Museum für Kinder-, Jugend- und Familienprogramme zuständig ist. "Wichtig ist, dass sie eigene Gedanken einbringen und sich die Welt selbst erschließen."

Bei Camilla, der Schwester von Clara, scheint das zu klappen. Als die Kinder später Papierschiffe falten, erinnert ihr Werk zunächst doch sehr an die Drachen, die sie zuvor bei einer Führung durch die Luftfahrtabteilung gesehen hat. Macht aber nichts: Noch drei, vier Mal muss das dünne Papier an den Ecken geknickt werden, dann schwimmt ihr Schiffchen einwandfrei auf dem Versuchskanal im Untergeschoss. Andere hingegen kentern: "Kescher!", ruft der neunjährige Julien und lacht, als sein Boot gegen die blauen Kacheln driftet.

Vor allem aber reizt Julien, Clara und die anderen Kinder die Vorstellung, an einem Ort zu schlafen, wo nicht das eigene Bett steht. Schon bei einem Klassenkameraden zu übernachten ist spannend, im Zeltlager sowieso, wie muss es dann erst im Deutschen Museum sein, umgeben von alten Mauern und dem Geist der Erfinder? "Das wird cool", sagt Julien. Seine Mutter Svenja Rüger und er haben ihre Isomatten gerade ausgerollt, da bittet eine Frauenstimme aus dem Lautsprecher die Besucher auch schon zum Ausgang. Es ist 17 Uhr - von nun an haben die Kinder, Eltern und Mitarbeiter des Deutschen Museums und des Kreisjugendringes den im Jahr 1925 errichteten Bau für sich. Und mit einem Mal ist alles anders: Ohne das Gemurmel der anderen Besucher hallt die Stimme von den hohen Wänden. Aus der Abteilung für Schifffahrt dringt das Geschrei der Möwen. Und jedes Mal, wenn der Zeiger der Wanduhr eine Minute nach vorne springt, ertönt ein klackendes Geräusch.

Dem achtjährigen Ben imponiert die Kulisse, die das leere Museum bietet. "Das Beste ist, dass hier niemand ist außer uns", sagt der Junge, der mit seiner Großmutter aus Niederbayern angereist ist. Mit roten Wangen springt er neben Julien her, die frischgebackenen Freunde lachen, als die Gruppe Kurs auf das neue Planetarium nimmt. Dort oben, im mittleren Turm, umfängt die Gäste die unendliche Weite des Universums, aber auch die aufgestaute Hitze eines warmen Sommertages. Eine Projektionsanlage aus sechs hochauflösenden Beamern lässt die Zuschauer durch das Weltall fliegen, erst durch den diffusen Nebel der Milchstraße, dann immer weiter weg in Galaxien jenseits der Vorstellungskraft. Ein Mädchen hält nach seinem Sternbild Ausschau: "Wo ist denn der Skorpion?", flüstert es in die Dunkelheit. Und während so mancher Erwachsener anschließend auf der Terrasse nach dem Jupiter sucht, der über dem Turm des Deutschen Museums am Abendhimmel blinkt, springen die Kinder zwischen den roten Punkten umher, die die Lichter ihrer Taschenlampen auf den Terrassenboden malen. Spaßig? Ja. Gruselig? Nicht wirklich. Das findet zumindest Julien. Auch dann fürchtet er sich nicht, als sich die Kinder den Weg durch die dunklen Abteilungen leuchten müssen. Das mag daran liegen, dass seine Gruppe die Strecke vom Planetarium im Turm bis zum Matratzenlager im ZNT im Eiltempo zurückgelegt hat. Angst hat er jedenfalls keine. "Ich weiß ja, dass es ein ganz normales Museum ist."

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