Evakuierung:Teufel im Sperrbezirk

Ein 250-Kilogramm-Sprengsatz, knapp 700 Helfer und 4500 Bürger, die aus ihren Häusern müssen: Die Entschärfung der Bombe am Nordfriedhof legt ein paar Stunden lang ein ganzes Viertel lahm - und verläuft doch erstaunlich reibungslos

Von Thomas Anlauf und Viktoria Spinrad

Wieder ein Teufel weniger", sagt Roger Flakowski. Der Sprengmeister meint mit dem "Teufel" eine tückische Bombe, die im Zweiten Weltkrieg US-Streitkräfte über München abgeworfen haben. Sie schlug gegenüber dem Eingang zum Nordfriedhof ein - aber detonierte nicht. Um exakt 13.18 Uhr am vergangenen Samstag gibt Flakowski Entwarnung: Die teuflische 250-Kilogramm-Fliegerbombe ist entschärft. 4500 Menschen, die in einer groß angelegten Aktion mit 700 Einsatzkräften am Morgen ihre Wohnungen verlassen mussten, dürfen in ihre Häuser in Schwabing zurückkehren.

Fliegerbomben, die bei Bauarbeiten in München entdeckt und von Kampfmittelexperten entschärft werden müssen, sind keine Seltenheit. Neben der Altstadt, die am Ende des Zweiten Weltkriegs in Trümmern lag, wurden vor allem der Münchner Norden und der Westen bombardiert, weil dort entweder wichtige Versorgungsachsen lagen oder große Industriebetriebe. Doch die Evakuierung in Schwabing am Wochenende ist dennoch bemerkenswert: Innerhalb kürzester Zeit gelingt es den Einsatzkräften, Tausende Menschen aus dem Sperrgebiet zu bringen, das vom Sprengkommando und dem Kreisverwaltungsreferat in einem Umkreis von etwa 500 Meter rund um die Bombe festgelegt worden war.

Im Minutentakt rollten am Samstagmorgen Konvois durch die Straßen von Schwabing: Mannschaftswagen der Polizei, der Feuerwehr, der Rettungsdienste. Vor der großen Aussegnungshalle des Nordfriedhofs an der Ungererstraße parkten schwere Einsatzfahrzeuge der Branddirektion. Genau auf der anderen Straßenseite befand sich die Ursache für das Großaufgebot: die 250 Kilogramm schwere Fliegerbombe, die Bauarbeiter am Donnerstagnachmittag entdeckt hatten. Von 8 Uhr früh an wurden Hunderte Gebäude evakuiert - 25 Straßen lagen in der unmittelbaren Gefahrenzone, 320 Adressen mit etwa 4500 Menschen waren betroffen.

Um 9 Uhr wurde der Bereich nördlich und südlich des Mittleren Rings zum Sperrgebiet, auch die U-Bahnlinie 6 war betroffen. Die Züge fuhren an den Bahnhöfen Nordfriedhof und Alte Heide ohne Halt durch, während der 50-minütigen Entschärfung der Fliegerbombe war die Strecke zwischen Dietlindenstraße und Studentenstadt für U-Bahnen gesperrt. Mitarbeiter des Rettungsdienstes halfen am Morgen bettlägerigen 23 Bewohnern beim Verlassen ihrer Wohnungen. In den eingerichteten Betreuungsstellen im Willi-Graf-Gymnasium und der Berufsschule an der Riesstraße mussten nicht einmal 50 Schwabinger betreut werden. Bereits am Freitag wurden die Anwohner des betroffenen Gebiets über die Evakuierung informiert. Die meisten nutzten am Samstag die Zeit der Bombenentschärfung, um Ausflüge zu unternehmen und die Sonne zu genießen.

Liliana Franco-Bauer und ihr Mann Robert Bauer zum Beispiel: Schon am Morgen setzen sie sich auf ihre Räder und fuhren in die Innenstadt. "Wir nutzen die Zeit für ein Weißwurstfrühstück", sagte die 60-jährige Betreiberin einer Wäscherei. Die beiden fanden, dass die Evakuierung "gut organisiert" war. Das sagte auch Christine Dehner. Die 68-Jährige war am Morgen auf dem Weg in den Englischen Garten. "Wunderbar organisiert" sei das alles, fand die Schwabingerin und lief aus der Sperrzone.

Die wurde von Hunderten Einsatzkräften abgesucht und dann abgeriegelt. 200 Helfer der Freiwilligen Feuerwehr, 50 Kollegen von der Berufsfeuerwehr waren im Einsatz, dazu kamen 75 Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks THW, 44 Kräfte des Münchner Krankentransports MKT, dazu 295 Polizeibeamte, Rotkreuz-Helfer und MVG-Mitarbeiter. Diese sicherten unter anderem die von der Sperrung betroffenen U-Bahnhöfe. Vor der großen Baugrube an der Ungererstraße 141 stand Erzpriester Apostolos Malamoussis schon um Viertel nach acht und blickte auf den Bagger, dessen Schaufel mit einer schwarzen Plane bedeckt war. Darunter lag die Bombe. Malamoussis kam von der Griechisch-orthodoxen Kirche Allerheiligen herüber, die nur wenige Schritte vom Einsatzort entfernt liegt. Er musste am Samstag den Gottesdienst in der Kirche absagen - an diesem Tag feierten die Griechen nicht nur Maria Verkündung, der 25. März ist auch griechischer Nationalfeiertag. Also schaute Malamoussis zur Baugrube und unterhielt sich mit Sprengmeister Flakowski.

Dessen heikle Arbeit begann um 12.32 Uhr. Gemeinsam mit seinem Kollegen Martin Radons musste er die 250-Kilogramm-Bombe entschärfen. Dabei stellte sich heraus, dass der Kopfzünder durch den Aufprall deformiert war und sich nur schwer herausdrehen ließ. Um 13.18 Uhr gab Flakowski das erlösende Zeichen: Die Bombe ist entschärft - ein Teufel weniger. Nur Minuten später rollten bereits wieder U-Bahnen durch die Röhre und Autos durch Schwabing. Als wenn nichts gewesen wäre an diesem sonnigen Samstag.

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