Ethik des Essens:Gewissensbissen für die Stadt

Rinderfilet auf einem Grill, 2011

Rinderfilet auf einem Grill

(Foto: Florian Peljak)

Die Macher des Tollwood-Festivals fordern ein Totalverbot für Fleisch aus Massenbetrieben - in allen städtischen Kantinen, auf den Christkindlmärkten und sogar auf der Wiesn.

Von Andreas Glas

Wäre der Münchner Stadtrat eine Schweinefarm, er wäre wohl ein Fall fürs Veterinäramt. 80 Stadträte sitzen auf 300 Quadratmetern. Dicht an dicht, kaum Ellbogenfreiheit, kaum Auslaufmöglichkeiten. Ein Stadtrat weiß, wie sich ein Tier in zu engen Mastboxen fühlt. Kein Wunder, dass im Weißwurstzimmer nur Brezn serviert werden und keine Weißwürste, wie das früher der Fall war im Brotzeitraum neben dem Sitzungssaal. Kein Wunder auch, dass in der Rathauskantine nur noch Fleisch aus artgerechter Haltung auf der Karte steht. Ein Stadtrat sorgt sich eben um das Wohl des Tieres, das er isst. Und um seine eigene Ernährung.

Doch sorgen sich die Stadträte auch um die Ernährung ihrer fast 1,4 Millionen Bürger? Und um die zwölf Hühner, das halbe Schwein, und das Zwanzigstel Kuh, das jeder Münchner geschätzt im Jahr isst? Nicht genug, finden die Organisatoren des Tollwood-Festivals. Sie fordern ein Totalverbot für Fleisch aus Massenbetrieben - und zwar in allen städtischen Kantinen, auf den Christkindlmärkten, sogar auf der Wiesn. Sie wollen, dass es in jeder Einrichtung und auf jeder Veranstaltung der Stadt nur noch Fleisch aus artgerechter Haltung gibt - eben genau so, wie es auf dem Tollwood-Festival die Regel ist.

Würden Sie für ethisch korrektes Fleisch mehr zahlen?

Eine ehrenwerte Idee, aber: Interessiert die Münchner überhaupt, wo ihr Fleisch herkommt? Sind sie bereit, für ethisch korrektes Fleisch mehr Geld zu bezahlen? Glaubt man einer von Tollwood in Auftrag gegebenen Umfrage, lautet die Antwort: ja.

Zwei von drei Münchnern geben an, beim Einkaufen darauf zu achten, dass ihr Fleisch nicht aus Massentierhaltung kommt. Drei von vier wollen, dass die Stadt in ihren Kantinen und bei ihren Veranstaltungen nur noch Fleisch aus artgerechter Haltung duldet. Und noch mehr Münchner, 85 Prozent von 1001 Befragten, würden dafür mehr zahlen. Was also spricht gegen eine Artgerecht-Pflicht?

Wer dagegen ist

Entscheidend dafür, dass es eine solche Pflicht bislang nicht gibt, ist aber nicht, was dagegen spricht, sondern wer dagegen spricht: die Stadträte, insbesondere diejenigen, die zum rot-schwarzen Regierungsbündnis gehören. Es sei eben ein Unterschied, "wenn man gefragt wird, ob man angeblich bereit ist, mehr zu zahlen, und wenn man dann im Laden steht und wirklich mehr Geld dafür ausgeben muss", sagt Bettina Messinger, tierschutzpolitische Sprecherin der SPD, zu den Umfrageergebnissen. Sie selbst dagegen versichert, ihr Fleisch auf dem Wochenmarkt zu kaufen, wo sie wisse, dass es aus artgerechter Haltung komme.

Auch Manuel Pretzl, gesundheitspolitischer Sprecher der CSU-Fraktion, sagt, er kaufe sein Fleisch beim Bio-Metzger - der Mehrheit der Bürger traut Pretzl so viel ethisches Bewusstsein aber nicht zu: "Es gibt die Studie, aber wenn man sich das tatsächliche Kaufverhalten der Münchner anschaut, sind es keine 68 Prozent, die in den Biomarkt gehen."

Wahrnehmung und Wahrheit klaffen auseinander

Halten sich die Stadträte also beim Thema Fleisch für verantwortungsbewusster als die meisten der Bürger, die sie vertreten? Nein, ziemlich sicher nicht. Es ist eher so, dass die Stadträte der beste Beweis dafür sind, dass man die Umfrage tatsächlich vorsichtig bewerten muss.

Denn fragt man die Stadträte nach ihrem Fleischkonsum, sagt zwar so gut wie jeder, dass er auf artgerechte Erzeugung achte. In den Mittagspausen treffe man sie dann aber trotzdem auch mal im Fastfood-Laden. Und auf der Wiesn fieseln auch die meisten von ihnen am Hendl aus der Massenzucht. Bei den Befragten der Studie ist das wohl ähnlich. Wahrnehmung und Wahrheit klaffen oft auseinander, so ist der Mensch eben.

Und trotzdem: Die Umfrage zeigt, dass die Münchner offen sind für verantwortungsbewussten Fleischkonsum. Wäre es da nicht angebracht, wenigstens über die Idee der Tollwood-Macher nachzudenken? Nein, sagt CSU-Stadtrat Pretzl. Er wolle "niemanden per Verordnung dazu zwingen", nur noch Fleisch aus artgerechter Haltung zu essen. Die Leute müssten das aus eigener Überzeugung wollen. Genauso argumentiert die SPD: "Es muss immer eine Auswahl geben, so dass die Leute selbst entscheiden können und zu nichts gezwungen werden", sagt Bettina Messinger.

Angst vor dem Veggie-Day-Effekt

Es gibt Gründe, dass sich weder SPD noch CSU an dieses Totalverbot wagen. Die Stadträte konnten ja schon mal beobachten, was passiert, wenn man versucht, den Menschen vorzuschreiben, was sie essen sollen. Dass die Grünen vor zwei Jahren durchsetzen konnten, dass es in der Kantine des Baureferats und in der Rathauskantine einmal pro Woche nur vegetarisches Essen gibt, erwies sich als Schnapsidee. Die Leute sind einfach woanders hingegangen, der Versuch scheiterte. Seitdem stehen Wammerl und Würstl wieder täglich auf dem Speiseplan.

Und als die Bundes-Grünen die Idee hatten, einen deutschlandweiten Veggie-Day in öffentlichen Kantinen einzuführen, ernteten sie Spott, Häme und ein miserables Wahlergebnis. Außerdem, findet Manuel Pretzl, dass die Ernährungspolitik der Stadt "im nationalen Vergleich vorbildlich und durchaus ausreichend" sei.

Wo die Stadt Vorgaben macht

Tatsächlich aber ist es so, dass es nur in Kindertagesstätten die Verpflichtung gibt, dass das Fleisch, das die Kinder essen, zu hundert Prozent aus artgerechter Haltung kommt und Fisch aus ökologischer Aquakultur oder Wildfang. Auf der Wiesn, den Christkindlmärkten oder bei Empfängen der Stadt gibt es diese Selbstverpflichtung nicht.

Zwar heißt es aus dem Wirtschaftsreferat, Wirte und Standlbesitzer würden "beraten und ermutigt, Bio-Lebensmittel auf dem Oktoberfest in ihr Angebot aufzunehmen", doch gibt es weder auf der Wiesn noch bei anderen Veranstaltungen Auflagen oder Qualitätsstandards bezüglich artgerechter Tierhaltung. Und wenn einzelne Kantinen Wert darauf legen, ist das eher eine freiwillige Sache der Pächter. Der Versuch, eine Verpflichtung in die Pachtverträge aufzunehmen, hat der Stadtrat vor drei Jahren abgelehnt - aus wirtschaftlichen Gründen.

Keine Zeit für ethische Fragen

Am Ende landet man also immer wieder bei wirtschaftlichen Gründen, die verantwortungsvollerem Fleischkonsum im Weg stehen. Vielleicht haben eben auch die Gegenstudien ein bisschen recht, wonach die Deutschen nur elf Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben - so wenig wie kaum ein anderes Land in Europa. Wer dauernd nur ans Sparen denkt, hat halt keine Zeit mehr, sich mit ethischen Fragen zu beschäftigen. Und ethisch-korrekt produziertes Fleisch kostet nun mal mehr Geld. Wenn auch nicht so viel, wie die meisten denken, sagt Grünen-Stadträtin Sabine Krieger.

Ihre Fraktion wolle deshalb prüfen, ob die Tollwood-Idee vielleicht doch umsetzbar ist. Allerdings nicht in Form eines Totalverbots, das haben die Grünen aus dem Veggie-Day-Reinfall gelernt. "Es geht nicht ums Vorschreiben, sondern um Wahlfreiheit zwischen artgerechtem und anderem Fleisch", sagt Krieger. Und dann, sagt sie, werde man ja sehen, wie die Leute entscheiden - und wie wichtig den Münchnern das Wohl der Tiere tatsächlich ist.

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