Gut bürgerliches Restaurant Schwabing "Esszimmer":Zweites Wohnzimmer

Zuflucht für faule Tage: Das "Esszimmer" in Schwabing ist ein unaufdringlicher, behaglicher Ort, der nicht nur Bodenständiges zu bieten hat.

Camilla Cotta

Liebe Leser, das "Esszimmer" existiert leider nicht mehr. Aktuelle Restaurant-Kritiken finden Sie hier.

Gut bürgerliches Restaurant Schwabing "Esszimmer": Gemütlich und unaufdringlich: Wohnzimmeratmosphäre im Esszimmer.

Gemütlich und unaufdringlich: Wohnzimmeratmosphäre im Esszimmer.

(Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

Im tadschikischen Duschanbe hat man sich erst kürzlich dazu entschlossen, in Eisleben und Berlin-Friedrichshain sind sie dagegen schon vor 17 Jahren zur Tat geschritten - und haben die örtlichen Lenin-Statuen abgebaut. Kolossal war jene in Friedrichshain, 19 Meter hoch, dreieinhalb Tonnen schwer allein der Kopf. Im Film Good Bye Lenin sieht man, wie die Statue per Hubschrauber wegfliegt, ihre Zeit war wirklich vorbei. Aber in allen möglichen Winkeln der Welt gibt es noch Lenin-Abbilder, wenn auch längst nicht alle so gewaltig, auf Capri etwa oder im indischen Kolkata. Und in Schwabing. Dort handelt es sich genauer gesagt um eine gut lebensgroße Büste, platziert zwischen zwei Gemälden, die Frauen in historischer Tracht zeigen, in einem Lokal namens Esszimmer.

Das ist nicht etwa so, weil dort ganz hartgesottene Kommunisten speisen würden, sondern weil Wladimir Iljitsch Uljanow während seines Schwabinger Exils in diesem Haus zeitweise Quartier genommen haben soll. Die Zeiten als Viertel der Künstler, Anarchisten und Wirrköpfe sind lange vorbei, und so ist nichts zu fürchten im Esszimmer, das beliebt zu sein scheint bei Menschen, die in der Nachbarschaft wohnen oder arbeiten.

Kein Wunder, wenn es dort zum Beispiel montags bis freitags neben der normalen Karte ein wechselndes Mittagsmenü für sechs Euro gibt. Das sah zum Beispiel so aus: Vorweg eine Tasse cremige Basilikumrahmsuppe, dann Kalbsrahmgulasch mit Knödel. Das Fleisch war zart, die Sauce mildwürzig und der Knödel nur ein wenig zu weich. Ebenfalls für sechs Euro gibt es mittags auch ein vegetarisches Gericht, vom Wirsinggemüse mit Spiegelei und Kartoffeln lässt sich sagen, dass alles sorgfältig zubereitet war, wie es sich gehört. Das würde sich mancher auch gern zu Hause kochen, wäre er nicht zu bequem oder die Zeit zu knapp.

Münchner Tapas

Wer gerne herumprobiert, findet hier als Spezialität des Hauses "Münchner Tapas". Tapas sind jene vielfältigen Appetithäppchen, die in spanischen Bars ein Muss sind. Das Esszimmer hat 16 verschiedene auf der Karte, und interpretiert sie keineswegs nur spanisch. In kleinen Schälchen gibt es da zum Beispiel marinierten Tafelspitz mit Kürbiskernöl, gegrillten Ziegenkäse auf Reiberdatschi, Kalbfleischpflanzerl mit Senf und Cornichons, Pflaumen und Aprikosen im Speckmantel gebraten, aber auch einen Curry-Kokos-Truthahnspieß mit Koriander-Joghurt-Sauce. Drei Tapas kosten 9,80 Euro, sechs 18,50. Wer alles probieren will, könnte sich zur "Tapa Orgie" hinreißen lassen, das sind alle 16 für 45 Euro. Bei so einem Gelage werden drei bis vier Leute durchaus satt. Bei allen Tapas, die Camilla und ihre Begleitung versuchten, waren die Zutaten gekonnt und manchmal überraschend kombiniert, alle waren auf ihre Art gelungen.

Sieht man lieber einen großen statt mehrerer kleiner Teller vor sich, könnte man es mit einer "Portion frischer Bauernente aus dem Cherry-Valley" versuchen, zu der es Apfelblaukraut und einen Kartoffelknödel gab. Unter Cherry Valley muss man sich nicht direkt ein romantisches Tal voller Kirschbäume vorstellen, vielmehr heißt so ein bekanntes britisches Zuchtunternehmen für Qualitätsenten. Es gibt im Esszimmer die Wahl zwischen einer Viertel-Ente (10,50) oder einer halben (14,50), letztere war eine mächtige Portion. Die Ente war fleischig und von schönem Eigengeschmack, nicht sehr fett, dafür ein wenig fest. Die angenehmerweise ebenfalls nicht fette Bratensauce hätte etwas entschlossener gewürzt sein dürfen, so wie es beim aromatischen Apfelblaukraut gelungen war.

Nicht bereut hat Camilla auch, die Miesmuscheln (9,80) gewählt zu haben. Sie waren in einem pikanten Weißweinsud gegart, der auf Wunsch mit Tomatensauce ergänzt wird, und tadellos frisch. Dazu gibt es Knoblauch-Baguette, das sich ausgezeichnet in die Sauce stippen lässt. Burger haben dank Fastfood-Ketten ja einen verheerenden Ruf, zumindest bei volljährigen Menschen. Der Cheeseburger (9,60) im Esszimmer könnte manchen versöhnlicher stimmen. Die laut Karte 160 Gramm reinen Rindfleischs waren saftig gegrillt, und mit dem geschmolzenem Käse und den frischen Salatblättern, Tomaten, Gurken und Zwiebeln ein herzhaftes Gericht, dazu gab's knusprige Pommes Frites.

Breite Palette und moderate Preise

Die Küche bietet also eine breite Palette keineswegs nur bodenständiger Kost, sondern auch Pasta und anderes Mediterranes sowie Asiatisches und bemüht sich sichtlich, frische Produkte zu verwenden. Zu moderaten Preisen. Dazu sind diverse Hacker-Pschorr-Biere im Angebot, die Halbe Helles vom Fass kostet 3,60 Euro. Offene Weine liegen um die fünf Euro (0,2l), Flaschenweine (0,75 l) ab circa 30 Euro, auf der Karte finden sich auch einige Cocktails und Longdrinks.

"Esszimmer. Wirtshaus. Bar.", so nennt sich das Lokal mit vollem Titel, und alles stimmt. Es ist ein unaufdringlicher, behaglicher Ort, an dem man im Sommer auch draußen sitzen kann, und der Zuflucht bietet für Tage, an denen man weder zu Hause kochen mag, noch Lust hat, groß auszugehen, aber trotzdem anständig essen möchte. Für manche hätte es vielleicht das Zeug zum zweiten Wohnzimmer.

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