Essen à la carte:Eine Frage des Geschmacks

Erst speisen, dann schreiben: Bianca Murthy gibt ihre Erlebnisse mit der Gastronomie per Internet weiter - sie ist nicht die einzige

Von Franz Kotteder

Eigentlich ist das fast kein Hobby mehr, was Bianca Murthy da so treibt. "Bis zu zweimal am Tag" geht sie mittlerweile essen. Das hat sich so entwickelt mit ihrem Blog. Der heißt "Essengehenistaucheinhobby.de" und hat mittlerweile um die 35 000 Leser monatlich, die alle erfahren wollen, wie und wo sich die 29-Jährige so verpflegt hat in München. "Mittlerweile nimmt das eigentlich meine ganze Freizeit in Anspruch", sagt Bianca Murthy, "aber es macht mir nach wie vor großen Spaß." Es geht ja nicht ums Sattwerden, sondern um ein Erlebnis. "Es gibt ja nichts Schöneres, als einen Abend mit Freunden an einem Tisch zu sitzen, zu plaudern und dabei auch noch gut zu essen, ohne nachher die Küche aufräumen zu müssen." Essen gehen habe sie immer schon geliebt, sagt sie. Andere Hobbys habe sie nicht - kein Sport, keine anderen teuren Leidenschaft. Zum Blog und seinem etwas trotzig klingenden Namen wurde das Hobby dann vor zwei Jahren. Sie arbeitete damals in einer Werbeagentur, und wenn sie gefragt wurde, welches Hobby sie betreibe, sagte sie immer: Essengehen. "Bianca!", sagten die Kolleginnen und Kollegen dann belustigt, "Essen gehen ist doch kein Hobby!"

Ist es eben doch. Wenn man vor 30 Jahren auswärts essen ging, dann brauchte man dafür schon einen handfesten Grund. Kommunion oder Firmung beispielsweise, oder den runden Geburtstag eines Altvorderen. Oder man ging zum Italiener oder Griechen, um Urlaubserinnerungen aufzufrischen. Das mögen auch heute noch Gründe fürs Ausgehen sein, aber es sind längst Ausnahmen. Wer's nicht glaubt, möge versuchen, an einem x-beliebigen Samstag einen freien Tisch in einem besseren Restaurant in München zu bekommen. Mindestens fünf Anrufe wird man brauchen, um fündig zu werden.

Kir Royal

Für Mario Adorf als Kleberfabrikant in der Kultserie Kir Royal zählt das Dabeisein.

(Foto: Davids)

"Ja", sagt Conrad Mayer, "das Ausgehverhalten hat sich sehr verändert, das können wir nur bestätigen." Der Vorsitzende des Münchner Hotel- und Gaststättenverbands ist darüber natürlich froh, das tut der Branche gut, auch wenn der Wechsel rege ist: "Jedes Jahr machen in München 1500 Lokale dicht, aber es werden auch ungefähr genau so viele neu eröffnet." Eine genaue Zahl gibt es nicht, aber das Kreisverwaltungsreferat, das für Genehmigungen und Kontrollen zuständig ist, spricht von 7000 bis 8000 Gaststätten im Stadtgebiet. Eine Zahl, die das Tantris ebenso berücksichtigt wie die Boazn am Eck, in der es bestenfalls Wiener Würstl gibt.

Letztere kommt für Bianca Murthy zwar weniger in Frage, ansonsten aber hat sie keinen allzu elitären Anspruch, was vielleicht auch den Erfolg ihres Blogs ausmacht. Man wird nicht traktiert mit französischen Fachbegriffen aus der Küchensprache, die man erst einmal nachschlagen muss, sondern Murthy schreibt frank und frei, wie sie das Lokal empfunden hat und wie ihr das Essen schmeckte. Gut 300 Restaurants von der Pizzeria bis zum Sternelokal hat sie so im Laufe der vergangenen zwei Jahre bewertet und mit eigenen Fotos der jeweiligen Gerichte bebildert.

1500 Lokale

Jedes Jahr schließen in München etwa so viele gastronomische Betriebe, gleichzeitig aber werden ungefähr genau so viele neu eröffnet. Eine genauere Zahl darüber ist nicht zu erfahren. Das Münchner Kreisverwaltungsreferat, das für Genehmigungen und Kontrollen zuständig ist, spricht von etwa 7000 bis 8000 Gaststätten, die es im Stadtgebiet gibt. Das heißt: Bei einer Bevölkerung von 1,5 Millionen kommt auf je 200 Münchner theoretisch ein eigenes Lokal. Die Spannbreite reicht vom Sterne-Restaurant bis zur kleinen Stehkneipe. Viele davon haben am Sonntag geschlossen, eine Reservierung empfiehlt sich.

Murthy deckt ein breites Spektrum ab mit ihrem Hobby, Dorothee Beil ist da eher das andere Extrem. "Mein Mann und ich gehen so um die fünfmal im Monat essen", sagt sie, "und eigentlich fast immer in Restaurants der Spitzengastronomie." Die bei einer Versicherung angestellte Unternehmensberaterin wollte eigentlich selbst Köchin werden, "aber leider sitzen bei mir wohl die Kniescheiben an der falschen Stelle, ich kann nicht so lange stehen". Dabei wäre sie familiär vorgeprägt gewesen: Der Urgroßvater war Gastronom und Metzgermeister in Landshut, wie sie erzählt. Sie selbst hat schon zahlreiche Kochkurse belegt und viele Spitzenköche kennengelernt, und das hat ihr Interesse und ihre Leidenschaft fürs Essengehen sehr befördert: "Man will ja wissen, wie wird da gekocht, welcher Stil ist das, wie werden bestimmte Gerichte neu interpretiert?" Einem Menü analytisch auf den Grund zu gehen, das findet sie höchst spannend. "Man hat es da nicht mehr nur mit dem Handwerk zu tun, das ist dann schon Kunsthandwerk."

Auch Beil hat einen eigenen Blog (www.bushcook.de); überhaupt neigen Gourmets offenbar dazu, ihre Erfahrungen auch schriftlich mitzuteilen. Petra Hammerstein etwa (www.dermutanderer.de) liebt die neuen Erfahrungen, die sich mit dem Essen verbinden. "Andere gehen Drachenfliegen oder kaufen teure Mode", sagt sie, "ich gehe halt lieber mal für 300 Euro bei Paul Bocuse essen." Die Münchnerin hat von ihren Eltern nicht nur das Antiquariat in der Türkenstraße geerbt, sondern auch den Spaß an gutem Essen. Auch sie kocht gerne, "das erweitert den Horizont", und Urlaubsziele werden auch danach ausgesucht, wo sich gute Restaurants finden lassen. Da lässt sie sich dann oft anregen und experimentiert zu Hause manchmal lange, bis sie zum Beispiel eine polnische Spezialität fast originalgetreu nachkochen kann.

Bar "Helene" in München, 2015

Essen gehen als Hobby: Neben den Gaumenfreuden zählen auch die Qualität und Herkunft der Zutaten.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Dass Essengehen ein Hobby sein kann, ist Laien manchmal gar nicht so leicht zu vermitteln, wie das Beispiel der Kollegen von Murthy zeigt. Schließlich ist so ein Abend nach ein paar Stunden vorbei, und man kann nichts davon mit nach Hause nehmen. Falls man nicht um ein "Doggy Bag" gebeten hat, und das ist ja auch nicht in jedem Restaurant ratsam. Jedenfalls kann man sich keine Pokale in eine Vitrine stellen, und man kann auch schwerlich ein Album anlegen.

Katharina Zangl ist das egal. Die 36-jährige Texterin in einer Agentur für Social Media sagt: "Leuten, die gerne Konzerte besuchen, geht es doch auch nicht anders, oder? Die bringen ja ebenfalls nichts Materielles mit nach Hause." Für sie zählen vor allem die neuen Geschmackserlebnisse: "Ich habe keine Scheu vor Innereien, Entenfüßen oder Heuschrecken." So wird auch im Urlaub gerne ausprobiert, was andere Küchen zu bieten haben, obwohl Zangl zu Hause die bayerische liebt. Auch sie kocht oft selbst und mit Leidenschaft. "Zum Ausgleich mache ich viel Sport, sonst würde man mir das arg ansehen."

Essen à la carte: Bianca Murthy aber geht es um Atmosphäre und Speisen in Münchens Restaurants.

Bianca Murthy aber geht es um Atmosphäre und Speisen in Münchens Restaurants.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Kochen und Essen gehen ist auch für Gudrun Mittermeier nicht zu trennen. Die Sängerin, bekannt geworden mit ihrem Projekt Somersault, ist Vegetarierin, anders als ihr Mann, der Comedian Michael Mittermeier. Der macht zwar schon von Berufs wegen jeden Spaß mit, könnte man kalauern, "aber eigentlich ist der Michi mehr auf der Suche nach dem besten Schweinsbraten von München, während ich das beste vegetarische Menü will". Ein- bis zweimal die Woche schaffen es die beiden, zusammen essen zu gehen. Besonders zufrieden sind die beiden mit dem Sterne-Restaurant Schweiger 2: "Die gehen hervorragend auf meine Bedürfnisse ein."

Und wie sieht's bei Bianca Murthy mit dem Kochen aus? Kommt sie da überhaupt dazu? "Ich kann nicht kochen", sagt sie, "ich hab da kein Talent dafür, anscheinend. Backen geht aber ganz gut." Das ist dann doch einigermaßen überraschend, ändert aber nichts am Erfolg ihres Blogs. Wenn es ihn nicht sogar ausmacht, denn viele wollen wohl weniger letzte Küchengeheimnisse gelüftet haben als einfach nur wissen, ob es in einem Restaurant gut schmeckt und warum. "Essen gehen ist schon auch ein Statussymbol geworden", sagt Murthy. Dafür braucht man keine Kochlehre, man muss vielmehr wissen, wo der Trend hingeht. Murthy: "Zurzeit ist die indische Küche total hip."

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