Erster Tag im NS-Dokuzentrum:Andrang und Stille

"Wir wollen sehen, wie es war in München": Am ersten Tag erkunden Tausende Besucher die Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum.

Von Bernd Kastner

Drinnen, linker Hand von der Drehtür, liegen die Schirme am Boden, gelb und blau und schwarz. Draußen, im Regen, steht ein Paar. Der Mann umarmt die Frau, ganz fest, ihr laufen Tränen über die Wangen, sie ist erschüttert. Gerade eben waren sie noch in dem weißen Kubus, haben gesehen und gelesen, wie der Nationalsozialismus in München gediehen ist, was er später angerichtet hat. Nur langsam fängt sich die Frau wieder.

Erster Tag im NS-Dokuzentrum: Seit Freitag können Besucher auch die Ausstellung im Inneren des NS-Dokumentationszentrums sehen.

Seit Freitag können Besucher auch die Ausstellung im Inneren des NS-Dokumentationszentrums sehen.

(Foto: Robert Haas)

Sie ist 37 Jahre alt und erzählt, dass sie die Künstlerbilder in der Sonderausstellung im ersten Stock so berührt hätten, sie sind in jener Zeit entstanden. "Krieg ist immer grausam", stellt sie fest und man erwartet, dass sie jetzt vielleicht von ihrem Großvater erzählt, der gegen Hitler gekämpft hat. Sie aber sagt: Überall auf der Welt gebe es Krieg, doch nur Deutschland lade sich diese Schuld auf, nur Deutschland könne und wolle nicht vergessen. Das sei ungerecht.

Die große Frage: Warum wurde Hitler in München groß?

Es wird nicht viele Besucher am Eröffnungstag des NS-Dokumentationszentrums geben, die so denken und fühlen. Aber vielleicht sind die Tränen dieser Frau ein Beleg dafür, wie wichtig eben dieses Zentrum ist, auch jetzt noch, 70 Jahre nach Kriegsende. Es versucht nicht, die Schuld am Nationalsozialismus neu zu verteilen, es versucht, Fragen zu diesem Menschheitsverbrechen zu beantworten: Warum ist Hitler in München groß geworden?

Der Andrang ist enorm an diesem ersten Tag. Um halb zehn stehen die Ersten vor der Tür, um zehn öffnet sie sich. Gerhard und Martine Winzer, er Berliner, sie Französin, warten dicht an der Glasfassade, um nicht noch nässer zu werden, es gibt keinen Unterstand. "Wir wollen sehen, wie es war in München", sagt sie. Und er, der acht Jahre alt war bei Kriegende und in Berlin aufgewachsen ist, erzählt, dass er seine alten Freunde zum Klassentreffen nach München eingeladen habe.

Da wollen sie sich den Königsplatz anschauen und natürlich führe er sie auch durchs Dokuzentrum. Also will er wissen, wie es ist. Die Kundigen wissen, dass sie zunächst den Aufzug besteigen müssen, im vierten Stock beginnt der Rundgang. Wenn sich die Aufzugtür öffnet, steht man vor dem Foto eines Schlachtfelds voller Toten. Die Gräuel des Ersten Weltkriegs sind der Nährboden für Hitlers Bewegung.

Peter Grandl ist einer der ersten Besucher: "Wir erwarten uns Neues", sagt er und spricht auch für Leopold, seinen Sohn. Der ist zwölf und besucht die sechste Klasse, da haben sie gerade die Antike in Geschichte durchgenommen. Er wollte den Papa unbedingt begleiten. Der ist Autor und Regisseur, arbeitet gerade über Neonazis, und rede daheim beim Essen immer von denen, erzählt Leopold. "Ich will es mal ganz genau wissen, wie das entstanden ist." Das - die Nazi-Bewegung.

Eine Frau will schauen, wer so alles kommt. Rechte etwa?

Eröffnung NS Dokumentationszentrum

Der weiße Kubus des NS-Dokumentationszentrums ragt in den Himmel.

(Foto: Lukas Barth)

Es ist still hier oben, auch später noch, als die Luft schon stickig ist, trotz offener Fenster, und an den großen Tischen mit den vielen Texten, den vielen Bilder und Grafiken, kaum mehr ein Stehplatz frei ist, um die Informationen zu studieren. Nur der ankommende Aufzug unterbricht die Stille, bling, bling macht er. Manchmal kommen die Neuankommenden kaum raus, so voll ist es vor dem Weltkriegsfoto. Manch einer kommt an diesem Tag auch nur, um sich die Architektur des Gebäudes anzuschauen, endlich auch mal von innen. "Ein toller Bau", sagt Ursula Seebach und lobt die Fensterfronten, die den Blick nach draußen auf die original Nazi-Bauten zulassen. Ach ja, sie habe auch schauen wollen, wer so alles komme. Rechte etwa? Frau Seebach ist beruhigt: "Alles normale, kultivierte Leute."

Manch einer fängt von unten an, nimmt gegen die Richtung die Treppe in den ersten Stock und steht dann gleich vor der Videowand mit den Schlagzeilen aus der Gegenwart: "Rechtspopulistische Kundgebung in München", "Musik als Propagandamittel", "Stadtrat stärkt Kampf gegen Rechtsextremismus". Diese Worte schweben über die Tafel, um zu zeigen, dass Hitler zwar seit 70 Jahren tot ist, seine Gedanken aber weiterleben. Deshalb auch das Foto mit einer großen Blutlache. Oktoberfest, 26. September 1980, 13 Tote.

Engpässe seien ganz normal am Anfang, sagt der Direktor

Winfried Nerdinger, Sohn eines Widerstandskämpfers aus Augsburg, emeritierter Architekturhistoriker, Direktor des Dokuzentrums, macht einen ruhigen Eindruck an dem für ihn so wichtigen Tag. Er ist sich seiner Sache, sprich: seines Konzepts sicher. 1600 Besucher dürfen sich maximal in dem Gebäude aufhalten, das wären an die 10 000 am Tag, weil ein durchschnittlicher Besucher eineinhalb Stunden verweile. Es ist eng, es ist laut, unten im Eingangsbereich. Engpässe seien ganz normal am Anfang, sagt Nerdinger, man könne so eine Ausstellung ja nicht für den Maximalandrang auslegen. Und natürlich sei noch nicht alles perfekt, man wolle lernen, Details nachbessern. Einen besseren Platz für die Schirme suchen zum Beispiel, und ein Gästebuch auslegen.

Zweieinhalb Stunden haben Peter Grandl und sein Sohn in der Ausstellung verbracht - und sind begeistert: "Ich bin sehr positiv angetan", sagt der Vater. Gut strukturiert, ansprechend gestaltet, umfassend informierend. Er habe ja die Sorge gehabt, dass zu sehr auf die Tränendrüse gedrückt werde, aber nein, überhaupt nicht. Sachlich und neutral werde präsentiert. Sein Sohn habe nur einen Kritikpunkt. "Ich fand die Ausstellung ziemlich interessant", sagt Leopold, der Sechstklässler, vor allem den vierten Stock, wo erklärt wird, wie alles begonnen hat. Bloß das mit dem Hinsetzen, das sei "ein bisschen doof". Er habe zwischendurch mal pausieren wollen, aber zum Hinsetzen habe er nichts entdeckt in den Etagen der Ausstellung.

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