Erstaufnahme:Schutz statt Angst

Im Haus Rosamunde lernen Mädchen, die alleine geflüchtet sind, sich in ihrer neuen Umgebung zurechtzufinden

Von Viktoria Spinrad

Wenn die Mädchen das Haus Rosamunde in Trudering zum ersten Mal betreten, haben sie manchmal Angst. So wie das 16 Jahre alte Mädchen aus dem Irak mit den langen Wimpern und den dunkelbraunen Augen. In ihrer ersten Woche hatten sie und ihre 13-jährige Schwester noch die Betten zusammengestellt, sagt eine Betreuerin. "Ich hatte Angst. Ich habe nichts verstanden", sagt die junge Frau selbst. Wie sie Deutschland sehe? "Hier ist Essen besser. Kein IS, kein Terrorismus. Polizei hier ist besser, im Irak macht sie nichts", sagt sie. Zusammen mit ihrer Schwester wartet sie seit einem Jahr auf die Familienzusammenführung mit ihrer Mutter, die noch in Niedersachsen ist. "Mein Traum? Wohnung mit Familie zusammen in München. Mama soll kommen."

Die Inobhutnahmestelle Rosamunde des Internationalen Bundes (IB) ist eine Erstaufnahmeeinrichtung: In München war sie im März 2015 die erste von zwei reinen Clearingstellen für unbegleitete, minderjährige geflüchtete Mädchen. 57 Mädchen waren dort in den vergangenen zwei Jahren. Verena Wolf ist Bereichsleiterin der stationären Erziehungshilfen, sie erzählt von Zwangsheirat, Genitalverstümmlung, Menschenhandel. "Unsere Bewohnerinnen benötigen wirklich ganz besonderen Schutz", sagt sie. Die Einrichtung soll helfen, die Mädchen und jungen Frauen zu stabilisieren und klären, welche Hilfe darüber hinaus notwendig ist. Sind sie gesund? Welche Sprachkenntnisse besitzen sie? Haben sie alltagspraktische Fähigkeiten? Was ist ihre Fluchtgeschichte?

Gerecht werden möchten die Betreuerinnen den Mädchen mit viel Vertrauensarbeit und einem strukturierten Alltag. Jeden Tag von 9.15 Uhr bis 12.30 Uhr gibt es Deutschunterricht im Wohnzimmer, später dann in der Mittelschule. Jedes Mädchen bekommt zudem eine feste Bezugsperson zugewiesen. "Gerade am Anfang begleiten wir die Mädchen viel ", sagt die Einrichtungsleiterin Michaela Bröring, schließlich seien manche zuvor noch nie mit einer U-Bahn gefahren. In der Freizeit macht die Gruppe Ausflüge zu kulturellen Einrichtungen oder einfach in die Natur, einmal in der Woche kommt eine Traumatherapeutin, an den Wochenenden ist Hausputz angesagt. "Es gibt schon eine Mitwirkungspflicht", so Wolf. Es gebe ein Punktesystem, das Pünktlichkeit und gutes Verhalten belohnt, sowie feste Ausgangszeiten. Die Mädchen sollen sich nicht entziehen, sagt Wolf. "Sich mit anderen auseinandersetzen, das ist das Leben."

Das Leben und der Alltag, dazu gehören auch viele neue und auch ambivalente Situationen. Was kann ich unbedarft auf Facebook stellen? Was tue ich, wenn mich jemand anmacht oder gar bis zur Haustür verfolgt? Themenabende sollen helfen, Zivilcourage und Verständnis für solche Situationen zu entwickeln. "Es geht darum, dass die Mädchen sich schützen können und dass Akzeptanz herrscht", sagt Wolf. Die Mädchen müssten gewisse Alltagssituationen einordnen können. "Zum Beispiel müssen wir den Mädchen erst erklären, dass die Polizei hierzulande nett ist und einem im Notfall hilft", sagt Bröring.

Ein 16-jähriges Mädchen

"Hier ist Essen besser. Kein IS, kein Terrorismus. Polizei hier ist besser, im Irak macht sie nichts."

Zu solchen Alltagsfragen gehört auch, wie der eigene Körper funktioniert. Für ihr zusammen mit den anderen IB-Einrichtungen entwickeltes Konzept für Sexualpädagogik hat Rosamunde im Mai einen Preis des Vereins für Prävention Amyna gewonnen. Die Mädchen sollen lernen, wie sie mit Erfahrungen von sexueller Ausbeutung umgehen können, aber auch "im bejahenden Sinne" mit ihrer eigenen Sexualität, mit dem eigenen Körper. Das Preisgeld von 3000 Euro soll dazu dienen, das Repertoire auszuweiten.

Aufgrund ihrer Traumata neigen manche der Mädchen zu Panikattacken, Selbstverletzung. "Wir können hier keine Dinge ungeschehen machen", sagt Wolf. Mißtrauern helfe nicht, nur gemeinsam nach vorne schauen. "Das ist das Schöne an der Arbeit", sagt Bröring. Zum Beispiel, wenn ein Mädchen mit Schleier ankommt und sich nach ein paar Wochen sicher genug fühlt, ohne Kopftuch und in Dreiviertelhose unbeschwert Fernsehen zu schauen.

Richtige Beziehungsarbeit sei aber schwierig, räumt Bröring ein. Denn drei bis sechs Monate Aufenthalt sind regulär vorgesehen, danach müssen die Betreuerinnen entscheiden, welche nächste Station sie für das jeweilige Mädchen empfehlen. Das kann eine Wohngruppe, eine Pflegefamilie oder eine Mutter-Kind-Einrichtung sein. "Abschiede sind schwierig für die Mädchen, sie haben schon viel loslassen müssen", sagt Wolf. Ein Ritual mit Vorabbesuch der jeweiligen neuen Einrichtung und einem Abschiedsessen soll helfen, einen sanften Übergang zu gewähren. "Manchmal werden sie zum Ende sehr kratzbürstig und ablehnend", so Bröring - eine Selbstschutz-Reaktion der Mädchen, mit der Betreuerinnen auch umzugehen wissen müssen.

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