Erst Milch, dann Gemälde:Pate und Pater

Lesezeit: 4 min

Rudolf Neumeister trotzte den Nazis und knüpfte schon als Bub Kontakte, die ihm beim Aufstieg zu einem der renommiertesten Auktionatoren des Landes halfen. An diesem Mittwoch wird er 90

Von Philipp Crone

Ohne Mohnzöpfe würde der Mann jetzt nicht in einem Hinterhof der Maxvorstadt über Spitzwegs Kanonier sprechen. Er würde wahrscheinlich auch nicht hier sitzen, in der Barer Straße 37, wo Münchens renommiertestes Auktionshaus Neumeister beheimatet ist.

Rudolf Neumeister könnte auf seinen so geschätzten Gemälden des 19. Jahrhunderts einen wunderbaren Dorfsenior auf einer Bank neben der Mühle darstellen. Vom Alter leicht gebeugt, aber Blicke wie ein Lateinlehrer, gütig und gnadenlos zugleich. Noch immer wirkt dieser Mann mit dem grauen kurzen Haar wie eine Gestalt gewordene Autorität. Was er sagt, das gilt. Vielleicht spricht er auch deshalb so langsam, weil er weiß, dass ihm niemand widerspricht. Gleichzeitig sehen ihn die Mitarbeiter, denen er im Foyer begegnet, so an, als wäre er nicht der penible Patriarch, sondern der geliebte Großvater. Das macht einen Auktionator aus: mit Härte die Überzeugung vertreten und vermitteln, dass ein Werk das wert ist, was er sagt. Gleichzeitig muss er aber auch eine fast freundschaftliche Nähe herstellen können zu seinen Kunden, in der sie ihm dann von ihren Vorlieben und finanziellen Möglichkeiten berichten. Alles zusammen setzt er später ein, um auf Auktionen die richtigen Interessenten im passenden Moment anzusprechen. Mit seinem Blick, halb Pate, halb Pater.

Neumeister sitzt am Montagnachmittag in seinem Büro an der Barer Straße, die beiden Gehstöcke hat er in eine Ecke gelehnt, und schaut durch die offene Tür auf einen der Ausstellungsräume seines Auktionshauses. Gemälde lehnen an den Wänden, der Saal ist mehr Garage als Galerie. Dutzende Ausstellungen werden hier jährlich präsentiert, bis zu 20 000 Werke gehandelt. Und das alles, weil Neumeister, als er vor 80 Jahren seinen Eltern im Milchgeschäft in der Tengstraße aushalf, schon die Menschen kennenlernte, mit denen er später Geschäfte machen sollte.

"Gerade bei uns im Eck lebten viele Juden", sagt Neumeister. Denen brachte er regelmäßig Milch. Oder Mohnzöpfe. "Auch noch nach der Pogromnacht 1938", als es verboten war, an Juden zu verkaufen. "Meine Mutter sagte nur: Bring das zu den Schüleins hin, und aus." Das Resolute ist eine bei den Neumeistern verbreitete Charaktereigenschaft. Und die Schüleins zum Beispiel, die haben das nicht vergessen, dass der 13-jährige Rudolf nun nach Einbruch der Dunkelheit Mohnzöpfe brachte. Hermann Schülein, der Kunst sammelte und später die Löwenbrauerei führte, den traf Neumeister nach dem Krieg in New York wieder. Es war die offene Tür in den Kunsthandel, durch die er da trat. Und durch die er beinahe nicht getreten wäre.

Mit 17 wurde Neumeister eingezogen, zwei Jahre vor Kriegsende, "Militärausbildung, Fliegerschule, versetzt nach Fürstenwalde bei Berlin, dann aber einen Monat vor Kriegsende verlegt nach Salzburg." Verlegt von russischer in amerikanische Kriegsgefangenschaft. "Aus der habe ich mich dann selbst entlassen, bin über die Salzach gerudert und nach Hause gelaufen." Zeit, sich Gedanken zu machen über seine Zukunft. Milch? Kunst. "Mein Vater hatte mich schon als Bub zu Auktionen mitgenommen, und ich bin auch schon immer gerne ins Haus der Kunst gegangen." Neumeister begann ein Jura-Studium und finanzierte es sich auf der gegenüberlegenden Straßenseite der Uni, bei der Kunsthandlung Binder. 1945 fuhr er bereits das erste Mal nach Berlin und kaufte günstige Kunstwerke ein. Studium, Kunsthandel, Kaufreisen. Neumeister sagt: "Ich war schon immer eingespannt mit Arbeit."

Neumeister ist noch immer jede Woche einmal in seinem Büro. (Foto: Catherina Hess)

Noch heute ist Neumeister jede Woche im Büro, wird aus dem Chiemgau nach München gefahren und arbeitet in einem Raum ohne ein einziges Bild an der Wand. Für Ablenkungen ist keine Zeit. Bis vor kurzem notierte er bei allen Auktionen des Hauses ganz hinten im Saal die Zahlen der Lose mit. Als Neumeister als Auktionator anfing, "das war die Blütezeit". In den Fünfzigerjahren traf er Schülein in New York. Der junge Mann, der so überzeugend und sympathisch zugleich sein konnte, wurde bald weiterempfohlen, und so konnte er 1958 sein eigenes Kunstgeschäft eröffnen. Er übernahm das Auktionshaus des in dem Jahr verstorbenen Auktionators Adolf Weinmüller. Der hatte während des Nazi-Regimes einen wundersamen Aufstieg erlebt, was Neumeister und vor allem seine Tochter Katrin Stoll, die seit 2008 das Haus leitet, später noch beschäftigen sollte.

"Schon damals war München ein Zentrum der Kunst", sagt Neumeister. Denn Künstler unternahmen zu der Zeit häufig Reisen in die Alpen, nach Oberbayern, nach Italien, malten Landschaftsstudien, und immer kamen sie an München vorbei.

Neumeister hatte die Fähigkeit entwickelt, Werke bewerten zu können. Noten zu vergeben: gelungen, durchschnittlich, sehr gelungen. "Die Kunst ist es, den Sinn hinter einem Bild zu sehen." Etwa hinter dem Bild des Kanoniers von Carl Spitzweg aus der Münchner Schule. Neumeister spricht nun schneller. "Ein Kanonier, der Wäsche aufhängt. Was ist der Sinn dahinter?" Lehrerpause. "Er zeigt das Zeitlose, das Sinnlose im Krieg."

Tochter Katrin Stoll führt seit 2008 auf 12 000 Quadratmetern Geschäftsfläche das Auktionshaus Neumeister. (Foto: Catherina Hess)

Neumeister schlägt den Katalog zu einer der nächsten Auktionen auf. Die faltigen Finger seiner rechten Hand streichen über die rechte obere Seitenecke, der Mittelfinger lupft die Seite an und fährt darunter durch. Eine Bewegung voller Respekt. Für die gezeigten Werke, für die Arbeit um eine Auktion. Neumeister sagt: "In meinem Beruf muss man die Dinge in die Hand nehmen."

Neumeister versteigerte in den Sechzigerjahren den Nachlass des Kunsthändlers Otto Bernheimer, er beriet bedeutende Sammler wie Georg Schäfer, erzielte Spitzenpreise für Spitzweg, weitete das Geschäft 1970 auf Moderne Kunst aus, zog von der Brienner in die Barer Straße. Nach vier Jahren Um- und Neubau residierte das Familienunternehmen auf 1200 Quadratmeter, und Neumeister vernetzte sich immer weiter. Milliardär Friedrich Karl Flick und Franz Josef Strauß gehörten zu seinem Freunden, alle waren sie Liebhaber der bajuwarischen Lebensweise - man trinkt zusammen Selbstgebrannten und geht zur Jagd. Galerist Hubertus Reygers sagt: "Er hatte zu seinen aktiven Zeiten schon etwas patenmäßiges in der Kunstszene. Es gab keinen zweiten mit so einer Power in München. Der haute auch mal mit der Faust auf den Tisch."

Konrad Bernheimer, ebenfalls Galerist, nennt den Mann, der den Nachlass seines Großvaters versteigerte, eine "beeindruckende Persönlichkeit, der viel für die Münchner Kunstszene getan hat". Und für Marie-Christine Gräfin Huyn vom Auktionshaus Christie's ist er "eine markante Figur, die den bayerischen Kunstmarkt geprägt hat, ein Franz Josef Strauß der Kunstszene." Einer, der sagt, was er meint, und tut, was er für richtig hält. Wie seine Mutter, und wie seine Tochter Katrin Stoll. Sie war es, die vor zwei Jahren bis dahin unbekannte Akten aus einem Kellerraum des Haus an die Öffentlichkeit brachte. Akten, die den steilen Aufstieg der Auktionsvorgängers Weinmüller erklärten. Er profitierte von Raubkunst. Die Gestapo etwa hatte Bilder bei ihm eingeliefert. Stoll setzte eine Kunsthistorikerin darauf an, ein einmaliger Vorgang in der Kunstbranche, die zu dem Ergebnis kam, dass Weinmüllers Erfolg auf Beschlagnahmungen und Verwertungen jüdischen Kunstbesitzes basierte.

Stoll führt die Geschäfte heute, so wie ihr Vater das tat, resolut und herzlich. Die anderen beiden Töchter arbeiten ebenfalls in der Kunstbranche, auch Enkelinnen. Sie alle werden Neumeister feiern, und ihm etwas schenken? "Bloß kein Bild!", sagt der. Lieber einen dampfend frischen Mohnzopf.

© SZ vom 14.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: