Ermittlungen zum Isarmord:Psychisch Kranke sollen zum Gentest

Ermittlungen zum Isarmord: Blumen und Botschaften liegen beim Tatort, an dem der Radfahrer erstochen worden ist. Am Baumstamm hängen ein Zeitungsartikel und das Fahndungsplakat.

Blumen und Botschaften liegen beim Tatort, an dem der Radfahrer erstochen worden ist. Am Baumstamm hängen ein Zeitungsartikel und das Fahndungsplakat.

(Foto: Stephan Rumpf)

Bitte eine Speichelprobe: Polizei und Staatsanwaltschaft fordern Einrichtungen, in denen psychisch Kranke betreut werden, auf, Namen und Daten von Männern preiszugeben. Ihr Profil soll zur Beschreibung des Unbekannten passen, der an der Isar einen 31-Jährigen erstochen hat. Doch die Ermittlungen sind nicht unproblematisch.

Von Markus C. Schulte von Drach

Bei den Ermittlungen zum Mord an der Isar geht die Polizei jetzt auch intensiv dem Verdacht nach, dass der Täter psychisch gestört sein könnte. Seit mehreren Tagen suchen die Ermittler in München Männer im passenden Alter mit einer psychiatrischen Krankengeschichte auf, um sie um eine freiwillige Speichelprobe zu bitten. Betroffen sind Personen, die unter Wahnvorstellungen leiden oder gelitten haben, unabhängig davon, ob sie vorbestraft sind oder in der Vergangenheit zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen wurden.

Überprüft werden auch Personen mit psychischen Störungen, die in der Vergangenheit ein auffälliges, tendenziell aggressives Verhalten gezeigt haben. Dazu gehört auch das Anspucken von Fremden. Schließlich hatte der Täter vor dem Mord der Freundin seines Opfers ohne Grund ins Gesicht gespuckt.

Sollte der Tatverdächtige tatsächlich unter solchen offiziell als "Zeugen" befragten Personen sein, könnte ein Vergleich der DNA-Fingerabdrücke mit den Spuren vom Tatort schnell zu einer Identifizierung führen.

Männlich, psychisch krank, verdächtig

Um möglichst viele Personen zu erreichen, haben sich Polizei und Staatsanwalt München telefonisch und schriftlich an eine Reihe von Einrichtungen gewandt, in denen psychisch kranke Menschen behandelt oder betreut werden, und um die Mitteilung der Personendaten der männlichen Bewohner oder Patienten gebeten.

Auch in den Wohnprojekten für psychisch kranke Obdachlose in der Münchner Gravelottestraße wurden die Ermittler vorstellig. "Daten mussten wir nicht herausgeben", sagte Holger Steckermaier, der eines der Projekte dort leitet. "Die Beamten hatten schon eine Liste dabei, auf der einige Bewohner aufgeführt waren. Wir haben die vielleicht zehn Betroffenen dann auf den Besuch der Polizei vorbereitet und die Beamten begleitet, die dann Speichelproben genommen haben."

Bitte stößt auf Verständnis und Skepsis

Auch die Sozialpsychiatrischen Dienste in München haben den Brief der Staatsanwaltschaft bekommen. Dort wird noch diskutiert, ob der Bitte nachgekommen werden soll. Dass die Ermittler nach einem Täter suchen, der eine schwere psychische Störung haben könnte, stößt zwar bei Fachleuten auf ein gewisses Verständnis.

So habe die Polizei natürlich die Pflicht, den Täter zu finden um so vielleicht eine Wiederholungstat zu verhindern, räumt Josef Bäuml von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums rechts der Isar ein. Die Patienten dürften aber nicht unter Generalverdacht geraten. Überdies halten Fachleute wie Bäuml und Steckermaier es für wahrscheinlich, dass ein solcher Täter gerade nicht in den betreuten Einrichtungen lebt, sondern derzeit eher keine Hilfe in Anspruch nimmt.

Fachleute mahnen sensibles Vorgehen an

Besonders wichtig sei auch, dass die Ermittler sensibel vorgehen. Dass Polizeibeamte einen Zeugen am Samstagmorgen aus dem Bett klingeln - so beschreibt es ein Betroffener -, ist nach Bäumls Einschätzung problematisch. "Es müsste behutsam vorgegangen werden. Wenn jemand unter einem akuten psychotischen Schub leidet und sowieso das Gefühl hat, die ganze Welt habe sich gegen ihn verschworen - und dann steht völlig überraschend die Polizei vor der Tür? Es ist nicht ganz auszuschließen, dass ein solcher Patient zu einer Gefahr für sich oder die Beamten werden könnte und es ihn selbst in eine weitere Krise stürzt."

Es sei deshalb wichtig, dass jemand dabei wäre, der sich gut mit solchen Menschen auskennt. Dazu gehören etwa die Mitarbeiter der Sozialpsychiatrischen Dienste oder des Krisendienstes Psychiatrie. Auch Heinrich Berger, Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes München Giesing, sagte der SZ, es sei nur vorstellbar, Daten herauszugeben, wenn sichergestellt sei, dass vorbereitende Gespräche mit den Betroffenen geführt wurden.

Probleme mit der Schweigepflicht

Für besonders problematisch halten die Vertreter einiger Einrichtungen das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft auch deshalb, weil das ärztliche Personal, die Betreuer und die Verwaltungen, die mit psychisch gestörten oder kranken Patienten zu tun haben, der Schweigepflicht unterliegen. Doch in diesem Fall hält die Staatsanwaltschaft es für legitim, das Schweigen zu brechen: "Angesichts des Tatvorwurfs Mord ist die erbetene Auskunft verhältnismäßig und zulässig. Es besteht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben anderer Personen", heißt es in dem Schreiben der Behörde.

Auf Nachfrage der SZ erklärte Oberstaatsanwalt Thomas Steinkrauss-Koch: "Aus den Umständen der Tat muss geschlossen werden, dass die Hemmschwelle, einen Menschen zu töten, bei dem Täter (bereits) sehr niedrig liegt. Insoweit spricht eine gewisse kriminalistische Erfahrung für eine erhebliche Gefährlichkeit eines solchen Täters." Demnach würden die Berufsgeheimnisträger nicht "unbefugt" handeln, wenn sie den Ermittlern entsprechende Informationen zur Verfügung stellen.

Nicht alle Träger der betroffenen Wohneinrichtungen haben den Brief der Staatsanwaltschaft erhalten. In mindestens einem Fall gab es lediglich einen Anruf der Polizei mit der Bitte, die Daten aller betreuten Bewohner herauszugeben. Das wurde von der Geschäftsführung abgelehnt, nachdem sie bei ihrem Anwalt und dem Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht nachgefragt hatte. Ein Verdacht gegen die Bewohner der Einrichtungen müsste schon konkret genug sein, um einen richterlichen Beschluss zu rechtfertigen.

Eine Wohngemeinschaft der Organisation wurde trotzdem von der Polizei aufgesucht, um von den Bewohnern eine Speichelprobe zu erbitten. Freiwillig.

Nachtrag: Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft München eine Nachfrage der SZ beantwortet: Man gehe bei den Ermittlungen davon aus, dass "der unbekannte männliche Täter möglicherweise mit einer ambulanten oder stationären psychiatrischen Behandlung in Erscheinung getreten sein könnte oder aktuell dort behandelt wird." Daher habe das Amtsgericht München einen Beschluss erlassen, nachdem in entsprechenden Institutionen Patienten auf freiwilliger Basis eine DNA-Probe entnommen werden kann. Bei einem negativen Vergleich mit der mutmaßlichen Täter-DNA werde das Material vernichtet. "Wie mit Personen verfahren wird, die eine Entnahme verweigern, muss dann erst in der Folgezeit durch weitere Abgleiche und Ermittlungen geklärt werden." Das heißt, verdichtet sich der Verdacht gegen eine bestimmte Person, so kann eine DNA-Probe mit einem Gerichtsbeschluss erzwungen werden.

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