Es ist der 18. August, kurz vor Mittag, als bei Haya von L. in Gräfelfing das Telefon klingelt. "Hallo, Tante, rate mal, wer dran ist . . .", sagt der Anrufer. "Du wirst doch nicht der A. sein?" gibt die 71-jährige ehemalige Krankenschwester zurück. Sie tut also das, was man bei derartigen Fanganrufen eigentlich nie machen sollte - dem Betrüger einen Namen liefern, als der er sich dann ausgeben kann.
Denn das ist die Masche: Ein falscher Enkel oder - in diesem Fall - Neffe bittet telefonisch um eine große Summe Geld und kündigt an, einen Abholer vorbeizuschicken. Doch Haya von L. geht dem Betrüger nicht auf den Leim, sie hat die Masche sofort durchschaut. Und spielt geistesgegenwärtig zum Schein mit, um die Betrüger in Sicherheit zu wiegen und Zeit zu gewinnen.
Denn Haya von L. fährt nicht zur Bank, wie sie das dem angeblichen Neffen versprochen hat, um die verlangten 56 000 Euro abzuheben. Sie ruft die 110 und alarmiert die Kriminalpolizisten von der 2012 gegründeten Ermittlungsgruppe Enkeltrick. Auf so einen Anruf haben die 14 Beamten gewartet. Sie starten die Aktion mit dem Codewort "Luftmatratze".
Mit dieser Parole nämlich weisen sich die beiden Polizisten, die kurz darauf durch die Hintertür kommen und das weitere Vorgehen absprechen, als echte Kriminaler aus. Sie haben einen braunen Umschlag mit falschen Geldscheinen dabei, den die Rentnerin übergeben soll.
"089" ist keine gute Vorwahl für diese Art von Verbrechen
Am Nachmittag schnappt die Falle zu. Die Abholerin, eine blonde Frau, die hochdeutsch spricht, wird festgenommen. Die Polin ist erst 17 Jahre alt und sie ist schwanger. Das Kalkül ihrer Hintermänner: Im Fall der Fälle kommt sie damit vor Gericht gut weg. Doch sie haben die Rechnung diesmal ohne Staatsanwaltschaft und Gericht gemacht. Die Jugendliche muss für zwei Jahre und drei Monate ins Gefängnis.
Wachsame Opfer wie die 71-jährige Rentnerin und aufmerksame Bankangestellte haben der Polizei dabei geholfen, die Erfolgsquote von Enkeltrickbetrügern im ersten Quartal 2016 in München auf Null zu drücken. In diesem Zweig der organisierten Kriminalität hat es sich herumgesprochen, dass "089" keine gute Vorwahl für diese Art von Verbrechen ist.
Die Betrügerbanden wissen spätestens seit Dezember, was Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä am Montag bei einer Pressekonferenz zum Fahndungserfolg einer gemeinsamen deutsch-polnischen Ermittlungsgruppe sagte: "Wir wissen, wo ihr eure Büros habt." Im Dezember nämlich machte sich ein Abkommen bezahlt, das die Staatsanwaltschaft München I und die Warschauer Generalstaatsanwaltschaft im Mai abgeschlossen haben.
Das Ziel des vereinbarten "Joint Investigation Teams" (JIT) erläutert Florian Weinzierl, Sprecher der Staatsanwaltschaft: die grenzüberschreitende Jagd auf Enkeltrickbetrüger, die - oft von Polen aus operierend - in den beiden vergangenen Jahren 500 000 und 600 000 Euro erbeutet haben. Die durchschnittliche Schadensumme pro Fall: 30 000 Euro. "Wir wussten früh, dass unser Weg nach Polen führen würde", sagte Kriminaldirektor Clemens Merkl.
700 Lockanrufe von Breslau nach Deutschland
Im Dezember informierte eine Kundenbetreuerin der Hypo-Vereinsbank die Polizei, die mit dem Geldinstitut eine Kooperationspartnerschaft hat. Der Abhebewunsch eines Kunden war der Frau merkwürdig vorgekommen. Jetzt war die Stunde der Ermittler gekommen, die den kurzen Dienstweg zwischen München und Polen nutzten.
In München wurde ein Geldabholer geschnappt, in Breslau hob die Kriminalpolizei kurz darauf ein Call-Center im 212 Meter hohen Sky Tower aus. Allein von dort waren mindestens 700 Lockanrufe nach Deutschland erfolgt, in zehn Fällen hatte die Bande Erfolg.
Zwei Wochen später gelang der nächste Schlag, diesmal in Posen. Erneut war ein Bankmitarbeiter stutzig geworden, bei der Sparkasse. Der dritte "Familienclan" (Kriminaldirektor Merkl) flog am 6. April auf. Diesmal saßen die Hintermänner in Danzig. Die Bilanz der deutsch-polnischen Ermittlungsgruppe bisher: 15 Festnahmen in Polen, 20 Tatverdächtige ermittelt, sechs Personen in Haft, zwei Auslieferungen. Bei den Razzien wurden 100 Sim-Karten, 50 Mobiltelefone, neun Tablets, hochwertige Uhren, Schmuckstücke und jede Menge Bargeld sichergestellt.
Für Münchens Polizeipräsidenten Andrä ist mit dem grenzüberschreitenden Schlag gegen die organisierte Kriminalität ein "Herzenswunsch" in Erfüllung gegangen, wie er am Montag betonte. "Am liebsten würde ich einen von diesen Betrügern persönlich festnehmen", sagte er. Denn was - wie bei Haya von L. - mit einem scheinbar harmlosen Anruf beginnt, endet oft im wirtschaftlichen Ruin des Opfers.