Erinnerungen an Schwabing:Bilder einer versunkenen Stadt

Im Keller wiederentdeckt: Fotos von 1958 und ein großartiger Erinnerungsband über ein Schwabing, das es gar nicht mehr gibt.

Christiane Schlötzer

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In Schwabing

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Im Keller wiederentdeckt: Fotos von 1958 und ein großartiger Erinnerungsband über ein Schwabing, das es gar nicht mehr gibt.

Auf der Leopoldstraße gab es noch Trümmergrundstücke; da wo heute die Mensa der Ludwig-Maximilians-Universität steht, wuchsen Holunderbüsche, als München sein 800-jähriges Jubiläum feierte. Ein auf den ersten Blick schlichter Beitrag zu den Festlichkeiten von 1958 war ein Fotoband, der Schwabing präsentierte wie Isar-Paris. Die Süddeutsche Zeitung schrieb damals, dem Fotografen Ernst Grasser sei es gelungen, "härter, realistischer, als wir es in diesem Genre gewohnt waren" auf das Nachkriegs-Schwabing zu blicken.

Text: Christiane Schlötzer Fotos: Ernst Grasser

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Ernst Grasser hat den Zeitungsausschnitt bis heute aufgehoben, und 97 andere dazu. So oft wurde sein kleiner Schwabing-Band von den Medien damals in aller Welt besprochen - und dann doch vergessen. Die Restauflage des Bilderbuches verstaubte in ungeöffneten Kartons bei Grasser im Keller.

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Jetzt hat er sie wieder hervorgeholt. 50 Jahre später sind die Schwabing-Erinnerungen erneut zu sehen, weil ein Schwabinger Nachbar und Freund sie entdeckte, und zur Eröffnung der kleinen Ausstellung in der Galerie im "Freudenhaus" am Odeonsplatz kamen Menschen, die dieses Schwabing-Büchlein auch fünf Jahrzehnte lang aufgehoben haben, in ihren Büchernschränken, dort meist an einem Lieblingsplatz; oder sie haben ganz oft darin geblättert, so zerlesen waren einige Exemplare, die sie nun dem Fotografen zum Signieren hinhielten. Einem Fotografen, von dem die Buchbesitzer wohl nie gedacht hätten, dass sie ihn eines Tages finden könnten.

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Für den damals 24-jährigen Ernst Grasser, als Lichtbildner 1958 noch ein Autodidakt, war der Fotoband mit dem Titel "In Schwabing" ein Erstlingswerk, ein kleiner, genialer Wurf. Richard R. Roth, der die traumtänzerischen Texte schrieb, ist bald darauf gestorben. "Unter ungeklärten Umständen", wie Grasser erzählt. Die beiden Freunde kannten fast alle der vielen Schwabinger Kneipen. Grasser zählt sie noch ohne langes Grübeln auf: Die "Nachteule", wo "die Garderobenfrau Mutti hieß, weil alle bei ihr das Herz ausschütten konnten", das "Europa-Espresso", in das die Franzosen und die Griechen strömten, das "Studio 15", "für die etwas gehobenere Gesellschaft".

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Grasser ließ sein Bier meist im "Siegesgarten" stehen, da war es am billigsten. Dann streifte er durch die Gassen und die Lokale, fotografierte und ging wieder zurück zu seinem Bier. Die Bilder zeigen eine versunkene, von Gaslaternen ausgeleuchtete Stadt, fast schwarze Fassaden, die heute fast alle viel zu bunt übersaniert sind. So gelassen wirkt dieses Schwabing, wie ein Wartesaal, in dem man vom nahenden Wirtschaftswunder noch wenig weiß.

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Die Wiederentdeckung der Schwabing-Bilder ist ein unerwartetes Geschenk zum 850-jährigen Stadtgeburtstag. Der Stadtteil ist sowieso viel älter als die Stadt, und nicht ganz so alt, aber irgendwie doch überzeitlich ist auch die Diskussion darüber, ob dieses Schwabing nicht ewig schon tot sei. Der Spötter Richard R. Roth hat es in dem Fotobüchlein so formuliert: "Aha. Das sind die Schwabinger. Diese Menschen werden im Fasching von der Wochenschau gefilmt."

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So war das, und nachts, wenn die anderen mit den Kameras und den Scheinwerfern wieder weg waren, da war Grasser unterwegs, auch wenn es schon fast gar kein Licht mehr gab: "Wo er jetzt ist, scheint die Sonne immer." Dichtete sein Co-Autor zu dem Foto einer jungen Frau in schwarzer Schwabinger Nacht. Schöner kann man sich nicht erinnern.

Die Originalfotos sind zu sehen im "Freudenhaus", Odeonsplatz 15, bis 29. November. Montag bis Freitag 10:30 bis 20 Uhr, Samstag bis 18 Uhr. Dort gibt es auch Restexemplare der Auflage von "In Schwabing", 96 Seiten, 15 Euro.

(sueddeutsche.de/af)

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