Rechter Terror:München erinnert an die Opfer des NSU

Gedenken an NSU-Opfer in München

Gedenken an das NSU-Opfer Theodoros Boulgarides am Tatort in der Trappentreustraße.

(Foto: Tobias Hase/dpa)
  • Zehn Jahre nach dem Mord an Theodoros Boulgarides gedenkt die griechisch-orthodoxe Kirche der Opfer des NSU-Terrors.
  • Am Sonntag gab es bereits eine Messe in der Auferstehungskirche an der Gollierstraße im Westend. Am Tatort legten Angehörige Kränze nieder.
  • Zur Gedenkfeier am Montag erscheinen zahlreiche Politiker in der Salvatorkirche, darunter Bayerns Innenminister Herrmann und Münchens Oberbürgermeister Reiter.

Von Jakob Wetzel

Es geht nicht nur um den Toten, sondern auch um die Hinterbliebenen. An diesem Montag begeht die griechisch-orthodoxe Kirche in der Salvatorkirche in der Altstadt den zehnten Todestag von Theodoros Boulgarides, der am 15. Juni 2005 von Mitgliedern der rechtsextremen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) ermordet worden ist. Sie will an ihn und an Habil Kılıç erinnern, das zweite Münchner Mordopfer.

So viel Aufmerksamkeit für die beiden Toten und auch für die übrigen Ermordeten des NSU gab es in München lange nicht. An zwei Tagen wird an die Opfer erinnert. Schon am Sonntag ist eine Seelenmesse der griechisch-orthodoxen Kirchengemeinde Hl. Georg in der evangelisch-lutherischen Auferstehungskirche an der Gollierstraße im Westend gefeiert worden. Im Anschluss haben Angehörige und griechische, bayerische sowie Münchner Repräsentanten am Tatort, dem ehemaligen Schlüsselladen von Boulgarides an der Trappentreustraße im Westend, Kränze niedergelegt. Am Nachmittag wurde im Griechischen Haus an der Bergmannstraße 46 eine Ausstellung über den Ermordeten eröffnet.

Und die Gedenkfeier am Montag erinnert mit ihrer Rednerliste an einen Staatsakt: Ein Vertreter des griechischen Außenministeriums wird sprechen, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und Oberbürgermeister Dieter Reiter. Die katholische und die evangelische Kirche wollen Vertreter entsenden, und auch Barbara John wird kommen, die Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der Opfer des NSU.

Auswirkungen auf die Hinterbliebenen

"Bei der Feier geht es auch um Wiedergutmachung für die Angehörigen", sagt Erzpriester Apostolos Malamoussis, der die Gedenkfeier organisiert hat. "Es wird Zeit, dass man auch für die Familien etwas tut." Er erinnert daran, wie die Hinterbliebenen nicht nur unter den Morden zu leiden hatten, sondern auch unter falschen Verdächtigungen durch die Behörden. Die Ermittler hielten die Taten des NSU jahrelang für Auftragsmorde der türkischen Mafia.

Die Angehörigen mussten nicht nur polizeiliche Verhöre über sich ergehen lassen, sie standen auch noch so da, als seien ihre Familien in Drogen- oder Schutzgeldgeschäfte verstrickt. Bekannte wandten sich ab, vereinzelt verloren Hinterbliebene ihre Arbeit, einige mussten umziehen.

Erst 2011 wird klar, dass für den Tod von Kılıç, Boulgarides und acht weiterer Opfer keine Killer der Mafia, sondern Rechtsextreme verantwortlich sind. Doch was danach geschieht, empfindet die Witwe von Boulgarides als erneute Missachtung der Hinterbliebenen.

Wie München auf die Taten reagiert

Stadtrat und Landtag reagieren zunächst betreten, sie entschuldigen sich öffentlich für das Versagen der Behörden. Im Februar 2012 gibt es eine bundesweite Schweigeminute, kurz darauf einigen sich die sieben Städte, in denen der NSU gemordet hat, auf einen Wortlaut für die geplanten Gedenktafeln. Und dann geschieht in München lange vor allem eins: Es wird diskutiert.

Soll man den beiden Toten tatsächlich Gedenktafeln widmen? Und wenn ja, wo? Jeweils an den Tatorten oder eine im Zentrum, wo sie besser auffallen würde - etwa im Rathaus-Durchgang? Und was ist mit den anderen Opfern rechter Gewalt? Gerieten die so nicht aus dem Blick?

Monate vergehen, ein Jahr. In Dortmund und Heilbronn hängen bereits Gedenktafeln, in Nürnberg wird ein Gedenkort mit Gingko-Bäumen eingeweiht, in Kassel ein Platz nach dem dort ermordeten Halit Yozgat benannt. In München? Wird immer noch diskutiert. Es gehe nicht um einen Schnelligkeitswettbewerb, verteidigt Oberbürgermeister Christian Ude im April 2013 die Stadt.

Was Angehörige kritisieren

Wie das langsame Vorgehen auf die Angehörigen wirken muss, bedenkt er offenbar nicht. Ihnen drängt sich der Eindruck auf, der Stadt sei das Gedenken nicht so wichtig - als wäre der NSU ein rein ostdeutsches, kein Münchner Problem. Als im November 2013 endlich die beiden Gedenktafeln an den Münchner Tatorten eingeweiht werden, bleibt die Witwe des ermordeten Theodoros Boulgarides dem Gedenkakt fern. Warum, das erklärt ihre Anwältin Angelika Lex, die Boulgarides im NSU-Prozess vertritt. Selbst öffentlich äußern will sich die Witwe nicht.

Die Tafel sei nicht nur "extrem spät" aufgehängt worden, sagt Lex. Die Angehörigen seien in die langen Diskussionen auch erst eingebunden worden, als Ort und Gestaltung der Tafeln bereits festgelegt waren. "Dass alles über ihren Kopf hinweg entschieden wurde", habe der Witwe besonders zugesetzt, sagt Lex. Und auch mit dem Ergebnis sei die Frau unzufrieden: An den beiden Münchner Tatorten auf der Schwanthalerhöhe und an der Bad-Schachener-Straße in Ramersdorf hängen weitgehend identische, quadratische Tafeln, ihre Seitenlänge beträgt keinen halben Meter.

Für ein würdiges Gedenken sei das zu unauffällig. Noch dazu hängen die Tafeln abseits. Die Schrift ist weiß auf grau und nur lesbar, wenn man unmittelbar vor der Tafel steht.

Zur Gedenkveranstaltung an diesem Montag dagegen wollten die Angehörigen alle kommen, sagt Erzpriester Malamoussis - die Familien von Theodoros Boulgarides und von Habil Kılıç. Während des Gottesdienstes in der Salvatorkirche werden auf dem Tisch Fotografien von beiden Ermordeten stehen. Die Feier ist nur für geladene Gäste. Es geht um die Hinterbliebenen: Sie sollen der Toten in Ruhe gedenken dürfen.

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