Erfolgsgeschichte:Vorwärts im Orient-Express

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Mit Schlafwagen wie diesem, der um 1883 von Rathgeber gebaut wurde, fuhr der Orient-Express von Paris über Wien und Budapest bis nach Konstantinopel.

(Foto: Rathgeber)

Josef Rathgeber setzte im rechten Moment auf die Produktion von Eisenbahn-Waggons

Josef Rathgeber hatte Pioniergeist - und auch das Gespür für die Zeichen der Zeit. Der 1810 in Ering am Inn geborene gelernte Huf- und Wagenschmied errichtete schon als 20-Jähriger eine Werkstatt an der Marstallstraße, die vom Hufnagel bis zum fahrbereiten Postwagen alles herstellte, was mit Mobilität zu tun hatte. Als der Verkehr wenige Jahre später durch die Eisenbahn revolutioniert wurde, sprang er rechtzeitig auf und gründete 1852 in der Marsstraße die Waggonfabrik Jos. Rathgeber. Es war eine der ersten in Deutschland.

Das Unternehmen wurde zur Münchner Erfolgsgeschichte. Bald produzierte es die ersten vierachsigen Eisenbahnwaggons, und es wuchs so rasant wie das Schienennetz. Als Rathgeber 1865 starb, hinterließ er seinem damals 19-jährigen Sohn Josef einen Betrieb mit 250 Angestellten. Der führte die Geschäfte mit Erfolg weiter, auch im Ausland. So bestellten etwa die oberitalienischen Eisenbahnen 1879 in München 200 gedeckte Güterwagen, und von 1882 bis 1910 baute Rathgeber Waggons für den Pariser Orient-Express. Weil die Fabrik an der Marsstraße zu klein wurde, erwirbt Rathgeber junior 1900 ein Areal am Moosacher Bahnhof. Er starb aber drei Jahre später und erlebte den Umzug und den Börsengang des Unternehmens 1911 nicht mehr.

Krisen widerstand die Firma lange. Im Ersten Weltkrieg machten Heeresaufträge ausbleibende Exporte wett, in Moosach wurden sogar Flugzeuge produziert. Auch im Zweiten Weltkrieg bestimmte die Rüstung die Produktion der erweiterten Fabrik, die 1944 ein eigenes Lager für Zwangsarbeiter unterhielt.

Im Krieg wurde ein Großteil des Werks zerstört, doch der Wiederaufbau gelang rasant: Schon 1950 beschäftigte Rathgeber mit 1806 Angestellten mehr Arbeiter als je zuvor. Die produzierten unter anderem Güter- und Personenwagen, Omnibusse und Bäckereimaschinen. Bis 1968 wurden hier zudem alle 332 Straßenbahntriebwagen und 233 Beiwagen für München gefertigt, später der Prototyp für die neue U-Bahn. Doch dann blieben die Aufträge aus. Die Firma reagierte flexibel: Die Produktion verlagerte sich auf Rolltreppen, dann auf Aufzugtüren. Doch die Anstrengungen reichten nicht: 1986 wurde Rathgeber von der für ihre Kippbrücken bekannten Firma F. X. Meiller, die seit 1956 die Aktienmehrheit hielt, vollständig übernommen. Das frühere Werk an der Untermenzinger Straße ist heute Stammsitz von Meiller.

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