Wirtschaftsserie "Vater, Mutter, Firma":Von wegen auf dem Holzweg

Zimmerer Sebastian Haindl arbeitet im Gegensatz zum Vater vor allem vom Büro aus - und hat den Umsatz so verdoppelt.

Von Sebastian Fischer, Grucking

Die Sonne ist fast am Horizont verschwunden und wirft ein dämmriges Licht auf den Hof, als Sebastian Haindl junior seinem Vater aufs linke Ohr schaut und die Geschichte vom goldenen Ring erzählt, der dort baumelt. Es war der Vormittag an Heiligabend 1994: Vater und Sohn fuhren aus Grucking die sieben Kilometer nach Erding, sie brauchten noch Weihnachtsgeschenke. Sie hielten vor einem Juwelier: Zimmerer tragen ja aus alter Tradition im linken Ohr eine Kreole. Also ließen sich die Haindls jeweils ein Ohrloch stechen.

Wirtschaftsserie "Vater, Mutter, Firma": Drei Generationen, ein Kleidungsstil, ein Name: Sebastian Haindl (links) hat die Zimmerei 1964 aufgebaut und an seinen Sohn (rechts) weitergegeben. Mit dem neunjährigen Enkel steht schon der nächste Nachfolger bereit.

Drei Generationen, ein Kleidungsstil, ein Name: Sebastian Haindl (links) hat die Zimmerei 1964 aufgebaut und an seinen Sohn (rechts) weitergegeben. Mit dem neunjährigen Enkel steht schon der nächste Nachfolger bereit.

(Foto: Renate Schmidt)

In der Kirche hätten sie sich am nächsten Sonntag gewundert, erzählt der Senior: "Ja, spinnt der Haindl jetzt völlig?" Die Anekdote vom Ohrring verrät vor allem eines über die Haindls: Sie schätzen die Tradition und sind stolz auf ihren Beruf. Und wenn sie von Ideen überzeugt sind, ist es ihnen egal, was die Leute darüber denken. Das scheint aber auch einige Mitmenschen zu beeindrucken. So sagt Hans Wiesmaier, der Bürgermeister der Gemeinde Fraunberg: "Wir sind sehr froh, dass wir sie haben."

Als der Abend naht, haben die Haindls Zeit für ein Gespräch. Die Sonne scheint auf die Holzfassade des Elternhauses aus Lärchenholz. Davor steht ein Haus aus Douglasienholz, in dem Haindl junior mit seiner Frau und seinen drei Kindern wohnt, dahinter zwei Fichtenholzhallen, das Lager und die Werkstatt. Und daneben das Bürogebäude, wieder aus Lärchenholz.

Es ist keine Überraschung, dass es im Gebäude wohlig süß nach Holz duftet, wenn der 45-Jährige in seiner Zimmererkluft dort Gäste empfängt. Holz, das wird hier überall sichtbar, spielt im Leben der Haindls eine zentrale Rolle - bis hinein ins Privatleben. Umgekehrt scheint dieses voll mit dem Beruf verwoben. Stolz führt Haindl junior Besucher durch seine Zimmerei und über den Hof und erzählt, dass hier 1964 noch gar nichts stand, als der Vater begann, die Werkstatt zu bauen. 1969 errichtete er das Elternhaus daneben; seitdem wohnen die Haindls, wo sie arbeiten.

Der Junior war da gerade neun Jahre alt, mit zehn hat er sein erstes Baumhaus in eine Birke gebaut. Er blieb auch in Grucking, als er sein Ingenieurstudium in München begann. Selbst als er in einem Münchner Büro arbeitete, half er nebenbei in der Zimmerei. 2000 übernahm er sie. "Man muss auch mal loslassen", sagt der Senior, aber natürlich mischt er sich noch ein. 2009 etwa, als sein Sohn das Büro zu bauen begann, war er zunächst dagegen, fragte: Wozu? Er selbst hat jeden Tag auf der Baustelle gestanden. Haindl junior arbeitet und plant indes fast nur noch vom Schreibtisch aus, unter einem Porträt des Vaters.

Die Entwürfe, nach denen die Aufträge gefertigt werden, fertigt Sebastian Haindls Baumeister an. Die einzelnen Teile werden in der Werkstatt gefertigt, bis zu drei Monate lang, je nach Größe. Auf der Baustelle sind Haindls Mitarbeiter - insgesamt neun - dann nur noch ein paar Tage. Ein Vorteil von Holzbauten ist, dass es schnell geht, erklärt Haindl junior. Der Umsatz hat sich seit seiner Übernahme verdoppelt: von 700 000 Euro auf 1,5 Millionen. Sein Vater reicht mittlerweile stolz die Fotos vom Büro des Juniors herum - etwa auf den Klassentreffen der Zimmerer.

Sebastian Haindl junior klopft auf einen festen Holztisch. Den, so sagt er, hat er ausnahmsweise fertig gekauft und nicht selbst gemacht. Er legt eine dicke Mappe auf die Tischplatte, das Portfolio der Zimmerei. Haindl kümmert sich um alles. Meistens wollen seine Kunden - in der Regel aus Erding und Freising - Anbauten, Ausbauten, Modernisierungen. Die Familie nervt es schon, wenn sie durch Ortschaften fahren und er immer wieder sagt: "Das haben wir gebaut." Bürgermeister Hans Wiesmaier sagt: "Die Haindls machen das, was wir uns von den Familien wünschen: Sie arbeiten und leben hier." Und engagieren sich für die Gemeinde: Auf dem Dorfplatz wird in jedem Winter eine Plane ausgelegt und mit Wasser geflutet zum Eislaufen. Die Idee dazu hatten die Haindls.

Ihre Geschichte wäre so schon besonders genug: eine Familie, die mit ihrem Handwerk den Ort prägt. Doch dann setzen sich die Schwestern Gabriele, Lisa, Annemarie und Veronika zu Sebastian an den Tisch. Zwei- bis dreimal im Monat sind die Fünf unterwegs: als Geigenmusi Haindl. Auf der Zugspitze haben sie gespielt, im Fasching, auf Hochzeiten.

Und hin und wieder auch vor der Kamera im Bayerischen Rundfunk wie im Oktober 2014. Dort standen sie in einem Wirtshaus im Halbkreis in der Mitte, alle in Tracht, drei Geigen, ein Cello, Sebastian mit Kontrabass, das Video kann man im Internet sehen. Sie spielen einen schnellen Zwiefachen, grinsen schon, weil sie ja wissen, was gleich kommt: "Brauch ma ned, brauch ma ned. No a Startbahn, braucht's bei uns ned!", singen sie. Ein Protest gegen den Ausbau am Münchner Flughafen.

Die Haindls und die Politik, das ist die nächste Geschichte. Haindl junior war immer der, zu dem die Mitschüler sagten: "Jetzt sag du halt was." Er hatte noch nie ein Problem damit aufzufallen. In der Schule kannte ihn der Hausmeister, er rief, wenn er ihn sah: "Da kommt wieder der mit dem Hut!" Auch in seinem Büro trägt er den Zimmererhut mit langer Krempe.

Irgendwann landete Haindl junior dann in der Politik. Schon der Senior saß im Gemeinderat. Seinem Sohn sagte er: "Wenn man was ändern will, dann muss man sich engagieren." Der Junior zog für die CSU in den Kreistag ein, dort stimmte er auch mal für einen Vorschlag der Grünen, wenn er den wichtig fand. Und als die CSU den Ausbau der dritten Startbahn unterstützte, ohne das intern abzustimmen, da trat er aus. "Zwei reichen", sagt er. Ihm geht es um Nachhaltigkeit, Heimatpflege - und ums Prinzip.

Als die Sonne an diesem warmen Sommerabend untergegangen ist, verabschiedet sich Haindl junior. Nachdem er jeden Winkel seiner Zimmerei gezeigt und erklärt hat, geht es auf zehn Uhr zu. Eigentlich will er jeden Abend spätestens um sechs Uhr Schluss machen, um für die Familie da zu sein, seine Frau Renate, Katharina, 11, Sebastian, 9, und Maximilian, 7. Die drei lernen auch schon Instrumente und basteln mit Holz. Sie sollen irgendwann die Familientradition fortführen.

Haindl senior geht, nachdem die Geschichte mit dem Ohrring erzählt ist, noch mal raus - zu den Bienen, die gibt es auch noch. Und wenn er nach den Bienen gesehen hat, es mittlerweile finster ist am Hof, dann hat er noch eine Aufgabe zu erledigen. Darauf hat er sich mit seinem Sohn geeinigt. Ein wenig mithelfen will der Senior schon noch, solange er noch kann. Als eine Art Hausmeister, wie er sagt. Und so lautet die Abmachung: Sebastian Haindl junior macht morgens die Türen auf. Und Haindl senior macht sie abends zu.

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