Wirtschaftsserie: Folge 13: "Vater, Mutter, Firma":Der Duft ist geblieben

Das "Drohgespenst Persil" brachte der Tölzer Seifensiederei Wiedemann das Aus, ließ aber die Parfümeriekette entstehen

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Es ist ein Foto, das man geradezu riechen kann: Zwei Männer in langen, weißen Arbeitsmänteln stehen an einem großen Bottich, aus dem Dampf aufsteigt. Der Jüngere rührt mit einer großen Holzkelle in dem Sudkessel herum, der außen halb mit Seifenschaum bedeckt ist, der Ältere schaut prüfend auf die pflanzlichen Öle und tierischen Fette, die darin schwimmen. Die Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt Anton Wiedemann, den späteren Landrat von Bad Tölz, und seinen Sohn Anton in den Fünfzigerjahren beim Seifensieden - einem Handwerk, das es mittlerweile allenfalls noch als Liebhaberei gibt. Auch Enkel Peter hat es nicht mehr gelernt und erinnert sich kaum daran, wie Kernseife hergestellt wurde und wie das damals gerochen hat. Aus seinen Kindheitstagen weiß er nur mehr, dass es in dem Raum einen roten Kamin gab, "so einen Schlot, der noch länger stand". Das alles ist längst passé.

Der 159 Jahre alte Familienbetrieb der Wiedemanns ist heute eine mittelständische Parfümerie-Kette mit 2o Filialen, sieben davon in München, der Rest verteilt aufs Oberland zwischen Starnberg und Garmisch-Partenkirchen, Murnau und Mittenwald. Geblieben ist der Stammsitz in der Tölzer Marktstraße, "das Herzstück des Unternehmens", wie Peter Wiedemann sagt. Dort hat er ein Büro, in dem es sich aushalten lässt. Der Blick geht vom Erker aus auf die Fußgängerzone und die prächtige Fassade des Stadtmuseums, drinnen hängt ein fast mannshohes Kruzifix an der Wand, schräg gegenüber befindet sich ein Flachbildschirm in Kopfhöhe, die Mitte des Raums durchzieht ein großer Schreibtisch. Von hier aus leitet er zusammen mit seiner Frau Monika und seinem Sohn Christian die Parfümerie Wiedemann, die sich in fünfter Generation in Familienhand befindet und heuer den Wirtschaftspreis des Landkreises erhielt. Darüber hat sich Wiedemann gefreut: "Das ist eine Anerkennung für mich und für unsere Mitarbeiter."

Wirtschaftsserie: Folge 13: "Vater, Mutter, Firma": Die Parfümerie Wiedemann unterhält heute 20 Filialen, wie hier an der Tölzer Marktstraße.

Die Parfümerie Wiedemann unterhält heute 20 Filialen, wie hier an der Tölzer Marktstraße.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Von der langen Geschichte des Unternehmens zeugen viele historische Fotos, die der Firmenchef in einer Präsentationsmappe zusammengestellt hat. Eines davon zeigt sogar noch den Gründer Joseph Anton Wiedemann mit Hut, Rucksack und Spazierstock. Er war 1856 nach Tölz gekommen, übernahm eine Firma und richtete darin eine Seifensiederei und Talgschmelze ein. Allzu lange konnte er sie nicht führen: Nur zehn Jahre später starb er im Alter von 41 Jahren. Das Geschäft lief so durch das 19. Jahrhundert hindurch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, 1905 kam noch ein Fabrikgebäude hinzu, 1930 wechselte die Firma ihren Sitz in der Marktstraße und zog hinauf zum Pflegerhaus am oberen Ende der Fußgängerzone.

In den Fünfzigerjahren begann dann allerdings die industrielle Fertigung von Seifen und Waschpulvern, wie sie die Wiedemanns anboten. Der Großvater von Peter Wiedemann und spätere Landrat schrieb voller Sorge um seine "Isarperle" genannten Produkte einen Brief an seinen Schwager, den Hochschullehrer und Designer Josef Hillerbrand. Darin warnte er eindringlich davor, dass "das Drohgespenst Persil" am Himmel heraufziehe. Geholfen hat es nichts: Aus dem handwerklichen Betrieb der Wiedemanns wurde zunächst ein Großhandel, später dann die Parfümerie. 1992 wurde die erste Filiale in Penzberg eröffnet, die anderen kamen bis 2006 hinzu. "Wir sind immer langsam gewachsen", sagt Wiedemann. Inzwischen hat der Familienbetrieb etwa 170 Mitarbeiter, darunter neun Auszubildende. Jedes Jahr werden zirka 523 000 Artikel an den 22 Standorten an etwa 292 000 Kunden verkauft. Der Umsatz beträgt um die 16 Millionen Euro brutto per annum.

Auf die Frage, wie sich ein Mittelständler im Handel mit Düften, Kosmetikartikeln, Gesichtspflege- und Wellnessprodukten gegen Konzerne wie Müller, Rossmann oder Douglas behaupten kann, stellt Peter Wiedemann zunächst eines klar: Anders als in Frankreich sei der Drogerie- und der Parfümeriemarkt in Deutschland geteilt. Seine Konkurrenten seien daher nicht Drogerieketten wie Rossmann, sondern Douglas, auch Müller, vor allem jedoch andere Privatfirmen und nicht zuletzt das Internet. Aber, sagt Wiedemann, "wir sind eine kleine Branche". Und dort sei man doch relativ schnell ein Großer.

Die zentrale Rolle in seiner Unternehmensphilosophie spielt der Wohlfühlfaktor im Geschäft. Für die Mitarbeiter, für die Kunden. "Der Kunde muss reingehen und sich wohlfühlen. Damit er sich wohlfühlt, muss sich der Mitarbeiter wohlfühlen", sagt er. Damit sich die Beschäftigten wohlfühlen, arbeitet er seit mehr als zwei Jahrzehnten mit einem Mental- und Persönlichkeitscoach zusammen. In diesem Training würden "Störungen im Betrieb bearbeitet" und "negative Gedankensätze gelöscht", sagt der Geschäftsführer. Zum Beispiel, wenn eine Verkäuferin glaubt, es komme ja sowieso niemand, weil sich vor der Filiale gerade eine Baustelle befindet. Oder weil sie vielleicht Ärger mit einer Kollegin hat. Nicht zum Wohlfühlangebot zählen in der Parfümerie Wiedemann irgendwelche Rabatt-Angebote. Da könne man im Internet auf billig.de gehen und bekomme alles, sagt Peter Wiedemann: "Wenn ich auf dieses Pferd setze, haben wir verloren."

Parfümerie Wiedemann

Angefangen hat der Betrieb als Seifensiederei.

(Foto: privat)

Im Stammsitz in Bad Tölz, den Wiedemann erst voriges Jahr für rund 100 000 Euro renoviert hat, gibt es auch einen Schulungsraum für die Azubis, zwei Ecken von seinem Büro entfernt. Drei Jahre lang lernen sie in dem Familienunternehmen, was sie über Düfte, Kosmetik, die Pflege von Haut, Haaren, Nägel oder Sonnenschutz wissen müssen. Überraschenderweise befindet sich unter ihnen auch ein junger Mann. "Die Duftwelt hat mich immer fasziniert", sagt Harun Erciyes. Für Jennifer Mühlberger ist der Lehrstoff überraschend umfangreich, "da sind so viel Aufgabengebiete, man lernt nie aus". Und Jennifer Jackson sagt: "Es war noch kein Tag, an dem es nicht Spaß gemacht hat."

Dieser Satz ist ganz nach dem Geschmack von Ausbilderin Marga Albrecht, die in ihrer gut aufgelegten Art so wirkt, als sei sie die Personifizierung der Wohlfühl-Philosophie bei Wiedemann. "Es muss Spaß machen, man muss ehrlich miteinander sein und hinterfragen dürfen", sagt sie. Dann zeigt sie Fotos von den Azubis, die zwei Wochen lang selbst mal eine Wiedemann-Filiale führen durften. Alle bestens gelaunt, wie es scheint. So soll es für Wiedemann sein. Kunden könnten in den schönsten Laden kommen und blockiert sein, weil etwas in der Luft liege, das für sie unangenehm sei, meint er: "Wir schauen, dass bei uns nichts in der Luft liegt."

In dem modernen Laden in Bad Tölz erinnert nichts mehr an die alte Seifensiederei. Aber so ganz stimmt das nicht. Noch immer lagerten dort alte Waschpulver und alten Seifen, wie Wiedemann erzählt. "Als Museumsstücke."

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