"Wir haben uns nicht blamiert":Einmal kneifen, bitte

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Der TSV Dorfen verteidigt sich im Toto-Pokal eine Halbzeit lang tapfer gegen 1860 München, verliert am Ende aber deutlich. Die euphorische Stimmung kann das 0:7 aber nicht trüben. Vielmehr präsentieren sich die Dorfener als gute Gastgeber

Von Max Ferstl, Dorfen

Als alles vorbei war, stand Gerhard Thalmaier an einem der Stehtische vor dem Vereinsheim des TSV Dorfen. In der Hand ein kühles Bier, im Gesicht einen Ausdruck, der sich am ehesten mit ungläubiger Glückseligkeit beschreiben lässt. Ab und zu klopfte ihm jemand anerkennend auf die Schulter. "Einfach unglaublich", staunte Thalmaier. Er, der Stürmer, sah nicht aus wie ein Spieler, der soeben ein Pflichtspiel 0:7 verloren hatte.

Eine Stunde nach dem Schlusspfiff war das Ergebnis nicht mehr besonders wichtig. Der TSV 1860 München hatte die Pflicht erfüllt, und in der zweiten Runde des Toto-Pokals den Bezirksligisten Dorfen souverän besiegt. Aber für Dorfen ging es dabei ohnehin um etwas Größeres. Im Vorfeld hatten Spieler Anfragen von Journalisten bekommen, es hatte einen regelrechten Ansturm auf die 2 500 Tickets gegeben. Am Abend wurden ein paar davon vor dem Dorfener Sportgelände für das Doppelte des Kaufpreises angeboten. Fast wie bei den Profis. "Wir mussten uns in den letzten Tagen immer mal wieder kneifen", gab Thalmaier zu.

Die Partie gegen die Löwen war schließlich ein richtiges Pflichtspiel, kein belangloser Test-Kick, wie ihn große Klubs in der Vorbereitung gerne gegen unterklassige Gegner bestreiten. Im Toto-Pokal spielen bayerische Mannschaften über mehrere Runden einen wertvollen Startplatz im DFB-Pokal aus. Es ging also um etwas, auch für die Löwen. Trainer Daniel Bierofka hatte nicht die beste, aber immer noch eine sehr gute Mannschaft aufgeboten. Vorne stürmte zum Beispiel Sascha Mölders, der einst in der Bundesliga für Augsburg Tore geschossen hatte.

Am Dienstag, auf dem engen Platz in Dorfen, sah man Mölders zunächst vor allem: schimpfen. Er hob die Arme, gestikulierte wild, diskutierte mit dem Schiedsrichter. Zwischenzeitlich köpfelte er die Löwen in Führung, aber ansonsten gelang dem Favoriten wenig. "Du hast gemerkt, dass es bei ihnen nicht gelaufen ist", sagte Thalmaier sichtlich stolz, und vertrat damit keine Einzelmeinung. "Dorfen hat uns das Leben in der ersten Halbzeit richtig schwer gemacht", gab Bierofka zu.

Sich der eigenen spielerischen Unterlegenheit bewusst errichtete der Bezirksligist eine Festung vor dem eigenen Tor, verengte die Räume und verteidigte mit großer Leidenschaft. Der Kampfgeist reichte allerdings nur für eine Halbzeit. "Irgendwann haben die Kräfte nachgelassen, dann sind die Tore gefallen", erklärte Dorfens Trainer Michael Kostner. Für seinen Geschmack etwas zu viele, nicht mehr als fünf Gegentore war schließlich das Ziel. "Ein bissl weh tut's schon", gab Thalmaier zu. Er erweckte allerdings nicht den Eindruck, als würde sich seine Stimmung dadurch nachhaltig trüben. Warum auch?

"Wir haben uns nicht blamiert", fand Präsident Bernd Schmidbauer. Er hätte allerdings genauso gut behaupten können: Wir haben das Ganze richtig gut hinbekommen. Keiner würde widersprechen. Der Verein hat innerhalb weniger Tage aus dem Nichts ein praktikables Sicherheitskonzept ausgetüftelt. Auf dem Sportgelände ging es zwar eng, aber nicht chaotisch zu. Obendrein präsentierte sich der TSV als freundlicher Gastgeber, was vermutlich auch damit zu tun hat, dass es in der Stadt und im Verein viele 1860-Fans gibt.

Als der Stadionsprecher vor der Partie die Mannschaftsaufstellung der Löwen verlas, nannte er nur den Vornamen eines Spielers, damit die Löwen-Fans den Nachnamen im Chor ergänzen konnten - ein Privileg, das üblicherweise nur der Heimmannschaft gebührt. Nach dem Schlusspfiff mussten die Spieler des TSV 1860 eine große Ehrenrunde drehen, und nicht nur mit dem eigenen Fanblock abklatschen, der sich hinter einer Eckfahne formiert hatte. Auch viele Dorfener waren in weiß-blauen Trikots gekommen. "Es kommt ganz selten vor, dass man auswärts spielt und eigentlich ein Heimspiel hat", staunte Löwen-Stürmer Markus Ziereis, der zwei Mal traf.

Hätte Thalmaier nicht spielen müssen, er wäre vermutlich auch in Blau gekommen. Fünf Jahre lang stand er bei jedem Heimspiel der Löwen in der Kurve. Am Dienstag, seinem 26. Geburtstag, durfte er, sonst Ersatzkapitän, seine Mannschaft als Kapitän aufs Feld führen. Vor der Partie gab es sogar eine kleine Durchsage samt Glückwunsch. Später erinnerte sich Sascha Mölders, als ihn Thalmaier um sein Trikot bat. Die Übergabe erfolgte in der Kabine, dabei fiel Mölders Blick auf das Bier, das Thalmaier hielt: "Er meinte, so eins hätte er jetzt auch gerne", grinste Thalmaier: "Er durfte aber nicht." Gewisse Privilegien genießt man eben öfter in der Bezirksliga.

© SZ vom 24.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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