"Wie alle jungen Männer wollen sie die Welt erobern.":Zwei Welten, eine Wohngemeinschaft

In Taufkirchen lebt seit kurzem ein schwererziehbarer deutscher Jugendlicher mit minderjährigen Flüchtlingen unter einem Dach. Beide Seiten profitierten von der ungewöhnlichen WG, sagt der Trägerverein Condrobs

Von Regina Bluhme, Taufkirchen

Ein deutscher Jugendlicher, der als schwererziehbar gilt, zieht in ein Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Kann das gut gehen? Es kann, sagen die Verantwortlichen von Condrobs. Der Verein betreibt in Taufkirchen eine Einrichtung für Asylbewerber im Alter von 14 bis 18 Jahren. Dort lebt seit kurzem auch ein einheimischer junger Mann aus dem Landkreis Erding. Die Pädagogen von Condrobs sehen bislang nur Vorteile für beide Seiten: Jenseits aller kulturellen Unterschiede verstehen sich die Flüchtlinge und der neue Mitbewohner. Der junge Deutsche will in der Einrichtung bleiben.

Die Idee ist aus der Not heraus entstanden, gibt der Verein mit Sitz in München offen zu. Es kommen immer weniger unbegleitete Flüchtlinge im Landkreis an. Um eine Unterbelegung oder schlimmstenfalls die Schließung von Einrichtungen für Flüchtlinge zu verhindern und trotz allem doch Plätze vorhalten zu können, öffnet Condrobs die Häuser nun auch für einheimische, schwererziehbare Jugendliche, die sich in einer schwierigen Lebenslage befinden, schreibt Condrobs-Pressereferentin Beate Zornig. Erfahrung mit dieser neuen Form des Zusammenlebens hat der Verein in Pegnitz und Bayreuth gesammelt. "Es läuft gut", lautet das Resultat von Karin Wiggenhauser, Bereichs-Geschäftsführerin Regionale Angebote Bayern. In Pegnitz zum Beispiel wurden die neuen einheimischen Mitbewohner von den jungen Flüchtlingen gleich mit selbstgebackenem Kuchen empfangen.

Seit einigen Wochen lebt in Taufkirchen auf Vermittlung des Jugendamts Erding ein deutscher Jugendlicher im ehemaligen Gasthof zur Post mit derzeit 13 Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan, Irak oder Somalia. Aus Datenschutzgründen will Wiggenhauser keine zusätzlichen Angaben zu dem einheimischen Minderjährigen machen. Aber es sei klar, dass schwererziehbare Jugendliche sich in einer Krise befänden. Oft hätten die Eltern mit Suchtproblemen zu kämpfen. Oder der Jugendliche droht, auf die schiefe Bahn zu geraten. "Manche haben einen Diebstahl begangen oder verweigern den Schulbesuch", sagt Wiggenhauser.

Wohnheim ConDrobs

"Puerto", Hafen, heißt das Betreuungsprinzip in der Taufkirchener Jugend-WG des Trägervereins Condrobs. Seit kurzem steht das Haus minderjährigen Flüchtlingen und deutschen Jugendlichen gleichermaßen offen.

(Foto: Stephan Goerlich)

In der Wohngemeinschaft treffen deutsche Schulverweigerer auf Jugendliche, "die sehr motiviert sind, Deutsch zu lernen und zur Schule zu gehen", weiß die Bereichsgeschäftsführerin. Schwererziehbare Minderjährige, die mit ihren Eltern nichts mehr zu tun haben wollen, lernen Gleichaltrige kennen, "die sich ihre Eltern so sehr herbeiwünschen". Jugendliche, für die Flucht zuvor kein Thema war, würden "so sensibilisiert für die Probleme anderer", Pressesprecherin Beate Zornig überzeugt. Sie könnten "persönliche Werte und Chancen erkennen" und womöglich eine Perspektive für sich finden, die sie auch zurück in Schule und Familie führe. Die Flüchtlinge wiederum freuten sich, dass sie Muttersprachler zum Deutschüben haben und lernten so nebenbei auch noch deutsche Kultur, zum Beispiel angesagte Musik, kennen.

Wie sich nun herausgestellt hat, fühlt sich der junge Deutsche wohl in der Einrichtung in Taufkirchen. "Er hat gesagt, dass er bleiben will", berichtet Wiggenhauser.

Die Jugendlichen teilten viele Gemeinsamkeiten, erklärt die Bereichs-Geschäftsführerin. "Wie alle jungen Männer wollen sie die Welt erobern." Wichtig ist das Handy, schicke Frisur, Kleidung und Fitness. Und egal, ob aus Erding oder Kabul: "Sie träumen von einem tollen Auto." Hier müssten die Betreuer beide Seiten oft von unrealistischen Vorstellungen abbringen. "Denn ein Auto kann sich nicht jeder leisten und dafür muss auch hart arbeiten."

Wichtig sei, "dass die Jugendlichen bei uns zur Ruhe kommen und durch die pädagogische und psychologische Begleitung neue Struktur und Stabilität finden", sagt Wiggenhauser. Darüber hinaus werden die Jugendlichen für den Alltag fit gemacht: Wäschemachen, Putzen, Aufräumen, Kochen, gehört dazu. Gerade ist in der Einrichtung in Taufkirchen ein Kochbuch in Vorbereitung. Streitereien blieben natürlich nicht aus, "wenn zum Beispiel die Küche nicht richtig aufgeräumt ist". Mit dem Einzug in die Einrichtung lösten sich die Probleme und Krisen der Jugendlichen nicht in Luft auf, fügt Wiggenhauser hinzu.

Wohnheim ConDrobs

Seit 2015 wohnen im ehemaligen Gasthof zur Post in Taufkirchen minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Ihnen stehen Sozial- und Heilpädogen zur Seite.

(Foto: Stephan Goerlich)

"Puerto", also Hafen, heißt das Konzept, das Condrobs in Taufkirchen eingeführt hat. Seit der Eröffnung 2015 wurden die minderjährigen Flüchtlinge ausschließlich sozialpädagogisch betreut mit den Schwerpunkten Spracherwerb, Schulbesuch und Integration. Nun stehen zusätzlich zehn heilpädagogische Plätze zur Verfügung. Hier erhalten die Bewohner Hilfe bei persönlichen Schwierigkeiten wie Ängsten oder Schlafstörungen. Für akute Fälle wird ein sogenannter Inobhutnahmeplatz freigehalten. "Es ist immer ein Betreuer im Haus, rund um die Uhr auch am Wochenende", berichtet Wiggenhauser. Zudem gibt es einen psychologischen Fachdienst.

In beiden Fachbereichen sind Plätze frei. "Wenn möglich, würden wir gern noch mehr deutsche Jugendliche aufnehmen", sagt Wiggenhauser. Sie kann sich langfristig noch eine ganz andere Nutzung vorstellen, je nachdem wie sich die Zahlen entwickelten: Vielleicht könnte der ehemalige Gasthof zur Post auch als Azubi-Wohnheim genutzt werden. Für Auszubildende, die nicht aus der Region stammen, und die von Condrobs-Pädagogen bei der Integration in die Arbeitswelt unterstützt werden.

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