"Wer zahlt den Preis für unseren Wohlstand?":Nachhaltig aktiv

"Wer zahlt den Preis für unseren Wohlstand?": Stephan Lessenich ist seit 2014 Lehrstuhlinhaber an der Ludwig-Maximilians-Universität München, als Nachfolger von Ulrich Beck.

Stephan Lessenich ist seit 2014 Lehrstuhlinhaber an der Ludwig-Maximilians-Universität München, als Nachfolger von Ulrich Beck.

(Foto: Robert Haas)

Die Agenda 21-Gruppe in Dorfen engagiert sich seit 20 Jahren nach dem Motto "Global denken - lokal handeln". Zum runden Jubiläum hält der Soziologe und Globalisierungskritiker Stephan Lessenich einen Festvortrag

Von Florian Tempel, Dorfen

Ein nachhaltiger Erfolg der Dorfener Agenda 21-Gruppe ist, dass es sie immer noch gibt. Andernorts haben sich die Agenda-Gruppen aufgelöst, sind friedlich eingeschlafen oder von neueren, moderneren Initiativen abgelöst worden. Zum Beispiel von der Transition Town-Bewegung, die vor allem in Großstädten mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsgruppen präsent ist und die prinzipiell ganz ähnliche Ansätze wie die Agenda 21 hat. In Dorfen aber gibt es noch das Original und das seit 20 Jahren. Die Feier des runden Jubiläums ist natürlich eine ernste Angelegenheit. Der Soziologe Stephan Lessenich, Lehrstuhlinhaber in München und Autor des viel beachteten Buches "Neben uns die Sintflut", kommt am Mittwochabend als Festredner zu einem Vortrag in den Jakobmayersaal. Beginn ist um 19.30 Uhr, Einlass ab 19 Uhr. Lessenichs Vortrag hat den Titel: "Wer zahlt den Preis für unseren Wohlstand?"

Die Agenda 21 wurde 1992 in Rio des Janeiro bei der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung formuliert. Es ist ein von 172 Staaten gemeinsam beschlossenes Aktionsprogramm, in dem Leitlinien für eine Entwicklung im 21. Jahrhundert stehen. Es geht um soziale, ökonomische und ökologische Themen, die immer unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit gedacht werden sollten. Die Regierungen der Unterzeichnerstaaten verpflichteten sich zum Handeln, unter dem Motto "Global denken - lokal handeln!" wurden aber auch und vor allem alle Kommunen aufgerufen, sich mit einer lokalen Agenda 21 zu befassen.

In Dorfen gab es seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl die Gruppe der "Mütter gegen Atomkraft". Der nukleare Super-GAU lag 1997 aber bereits elf Jahre zurück und die Kinder der Anti-Atomkraft-Mütter waren schon so herangewachsen, erinnert sich Hanna Ermann, dass ein gewissermaßen stellvertretendes Engagement ihrer Mamas nicht mehr ganz passend war. Dorette Sprengel, wie Ermann Grünen-Stadträtin, war damals Dorfener Umweltreferentin und trieb die Formierung der lokalen Agenda 21-Gruppe voran. Im Sommer 1997 ging es los, mit vielen weiteren Frauen, einigen Männern und zahlreichen Ideen.

Rückblickend gesehen standen die ersten zehn Jahren der Dorfener Agenda 21 im Zeichen der angestrebten Energiewende. In diesem Punkt leistete man Pionierarbeit. Die Agenda-Gruppe informierte zum Beispiel über Photovoltaik und Bürgersolarkraftwerke oder machte Baustellenführungen durch Passivhäuser. Es ging um Wärmedämmung, moderne Holzheizungen und Car-Sharing. Die Agenda 21-Gruppe holte Pedelecs und E-Bikes nach Dorfen, damit sie auf dem Unteren Markt jeder einmal ausprobieren konnte. Heute ist vieles, was damals neu und nicht bekannt war, alltäglich oder Allgemeinwissen.

In der zweiten Phase, die bis jetzt andauert, wandte sich das Dorfener Agenda 21-Team immer stärker dem Thema "nachhaltiger Konsum" zu. Ein Beispiel, bei dem es wieder vor allem um Aufklärung und Information ging, war, wie sehr die Lebensmittelproduktion zum Ausstoß klimaschädliche Gase beiträgt. Mit den Dorfener Kleidertauschpartys und dem Repair-Café wurden zwei Veranstaltungsreihen initiiert, die ganz konkretes nachhaltiges Handeln auf lokaler Ebene sind.

Wenn am Mittwoch Stephan Lessenich seinen Vortrag hält, wird das Publikum eine ziemlich ernüchternde Analyse dazu bekommen, wie wenig Erfolge die Agenda 21 seit ihrer Formulierung vor 25 Jahren global gesehen gezeitigt hat. Lessenich legt in deutlicher und überzeugender Weise dar, wie sehr der breite Wohlstand, zum Beispiel in Dorfen, auf der Ausbeutung von Menschen im globalen Süden aufbaut. Lessenich ist in seiner Analyse ein scharfer Globalisierungskritiker: Der Kapitalismus verlagert Ausbeutung, Abfall und Naturzerstörung in andere Länder. Dazu führt er viele Beispiel an: Wie die industrielle Landwirtschaft in Europa mit dem zerstörerischen Sojaanbau in Südamerika zusammenhängt; dass die Mangrovenwälder in Südostasien vernichtet würden, weil wir noch mehr Garnelen essen wollen; was vergiftete Flüsse damit zu tun haben, dass wir Kapsel-Kaffee trinken.

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