Wartenberg:Ein Lächeln ist der schönste Lohn

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Jahrelang hat Roza Angelovski zwischen Tür und Angel zweifelnde Menschen getröstet und motiviert. Auch als offiziell bestellte Integrationsbeauftragte der Klinik Wartenberg hält sie nichts davon, irgendwo im bequemen Sessel zu sitzen und darauf zu warten, dass jemand zu ihr kommt

Von Wolfgang Schmidt, Wartenberg

Das Sofa im noblen Empfangsbereich der Wartenberger Klinik ist nicht der Platz, auf dem sich die Frau wohl fühlt. Das verrät gleich der erste Blick. Sie sei ein bisschen nervös, sagt sie, wegen der Presse - und dann rauscht der Reporter gleich auch noch mit Fotografin an. Sie zeigt auf ihre Straßenkleidung, sagt, "so arbeite ich doch nicht". Dass sie heute einen Urlaubstag hat, hat sie "glatt vergessen". Roza Angelovski bittet um Entschuldigung - und als sie im schneeweißen Kittel zurückkommt, ist sie ein verwandelter Mensch. Jetzt ist sie nicht mehr das unsichere Persönchen, jetzt ist sie die Integrationsbeauftragte für den Pflegebereich der Klinik Wartenberg. Den Titel hat sie erst seit eineinhalb Monaten, aber "inoffiziell habe ich das schon immer gemacht. Seit ich da bin".

Roza Angelovski stammt aus der Woiwodina in Serbien, der Heimat der ungarischen Minderheit. "Da" ist sie seit 1990. In Deutschland gab es Pflegekräftemangel, im ehemaligen Jugoslawien Pflegekräfte ohne Perspektive. Roza Angelovski hatte "brauchbare Deutschkenntnisse" und deswegen wurde sie im zweiten Anlauf auch genommen - obwohl sie schon drei Kinder hatte und die Werber unschlüssig waren, ob sie flexibel genug für die Aufgabe sei. Sie machte sich mit den drei Kleinen auf den Weg in die Fremde, ihr Mann blieb vorerst in der Woiwodina zurück.

Züge voller Krankenschwestern fuhren damals vom Balkan zum Münchner Hauptbahnhof, Vertreter der jeweiligen Krankenhäuser standen zum Empfang an den Gleisen. Die erste Arbeitsstation war die Klinik in Erding - wo sie "wirklich gefördert" wurde. Als Gruppenleiterin im Erdinger Krankenhaus gehörte es zu ihren Aufgaben, bosnische Pflegekräfte zur Probearbeit nach Wartenberg zu vermitteln. Das wiederum war mit einigen Telefonaten mit Christiane Selmair, der Gattin des Klinikchefs, verbunden. Die beiden Frauen fanden einen guten Draht zueinander. Bosnische Flüchtlinge konnte Roza Angelovski nicht vermitteln, aber die Wertschätzung auf der anderen Seite der Leitung verblüffte sie. "Wenn Sie selbst einmal Arbeit suchen, Sie dürfen jederzeit kommen", hörte sie. Als ihr Zwei-Jahres-Kontrakt in Erding auslief, wurde sie in Wartenberg vorstellig - und "der Arbeitsvertrag war innerhalb einer halben Stunde auf dem Tisch". Von sofort an hatte Roza Angelovski eine neue Heimat gefunden.

Dalija Mustafagic, Ferenc Borbas und Dino Rastoder (von links) haben gerade Pause und sind somit willkommene Opfer für Roza Angelovski (rechts). (Foto: Renate Schmidt)

Zu tun gab es für die gelernte Krankenschwester mit der zusätzlichen Ausbildung zur Lehrerin für Pflegeberufe genug. Da waren die ungarischen Krankenschwestern, die Rat suchten. "Sie kamen zu mir - heimlich haben sie sich von ihrer Station geschlichen". Egal, ob es sich um Probleme mit der Telekom handelte oder die Antwort auf einen Brief ausstand, das Heimweh gar zu groß wurde, Roza Angelovski war da. Sie musste es einfach tun - aus der eigenen Erfahrung heraus. "Ich weiß, wie das ist. Ich habe auch viel Hilfe erfahren, als ich gekommen bin. Deswegen mache ich das", sagt sie. Sie schaut den Reporter dabei mit großen Augen an, als müsste sie sich für ihr großes Herz entschuldigen.

Jahrelang hat sie zwischen Tür und Angel zweifelnde Menschen getröstet und motiviert. Auch als offiziell bestellte Integrationsbeauftragte hält sie nichts davon, irgendwo im bequemen Sessel zu sitzen und darauf zu warten, dass jemand zu ihr kommt. "Integration findet nicht im Büro statt" - Roza Angelovski geht dahin, wo Hilfe direkt gefragt ist. Eine Pflegesituation muss für sie an Ort und Stelle geklärt werden, von Mensch zu Mensch. Die neuen Mitarbeiter seien medizinisch hervorragend ausgebildet, richtig gut beim Blutabnehmen oder beim Infusionen legen, aber das "brauchen wir hier nicht, hier ist die Pflege die Hauptarbeit", weiß sie. Gut sind die ausländischen Kräfte auch in der Zuwendung. Sie seien beliebt beim Patienten, weil sie zuhören könnten, auch wenn es mit der Sprache hapern sollte.

Die 57-Jährige hat 32 Jahre Pflegeerfahrung, war selbst Stationsleiterin, da kennt man beide Seiten bestens. Sie ist das Bindeglied und kann in serbisch, kroatisch oder ungarisch direkt übersetzen, wenn die Stationsleitung den Eindruck hat, nicht verstanden worden zu sein. Kommunikation ist etwas ganz Wichtiges in Pflegeberufen, davon ist Roza Angelovski überzeugt. Wenn der Stress zu viel werde, gebe auch die geduldigste deutsche Krankenschwester das Anleiten der ausländischen Kräfte auf. Roza Angelovski versteht ihre Arbeit auch als Entlastung der Praxisanleiter. Ab und zu gebe es das "Anfangsmisstrauen", ein "Ich bin eigentlich zuständig" - aber das gibt sich. Weil ihre Arbeit ja für alle etwas bringt. Praxisanleiter haben sieben bis zehn Patienten, dazu kommen drei bis vier ausländische Mitarbeiter. "Sie können nicht die Zeit haben, die ich habe". Die Integrationsberaterin arbeitet eigentlich auf 15-Stunden-Basis, aber derzeit ist der Bedarf in Wartenberg so groß, dass Überstunden die Regel sind.

Die neuen Mitarbeiter haben weiß Gott viele Probleme, nicht nur die Sprache. Der eine hat Heimweh, der andere fühlt sich nicht verstanden von den Kollegen, der dritte ist frustriert, weil das Deutschlernen nicht schnell genug geht. Der Vierte möchte von Anfang an mehr Anerkennung. Und grundsätzlich gilt, dass das Pflegeverständnis in Deutschland "vielleicht" ein anderes ist als in Serbien oder Kroatien. Neben aufmunternden Worten findet die Integrationsbeauftragte dann durchaus auch fordernde Töne. Die jungen Leute müssten es lernen, Kritik nicht persönlich zu nehmen und sich nicht allzu schnell ins Schneckenhaus zurückzuziehen, wenn es nicht so läuft wie erhofft. Sie müssten selbst aktiv werden, mehr fragen. Roza Angelovski sagt ihnen, der Aufenthalt in der Fremde sei immer auch eine Bereicherung. Sie könnten kostenlos eine neue Sprache lernen, sich mit fremden Sitten in einem fremden Land vertraut machen. Nicht zuletzt hätten sie einen guten und sicheren Arbeitsplatz sowie ein gutes Gehalt. Und es könne alles noch besser werden. Schließlich hätten sie gleich am Einstellungstag das Angebot ihrer beruflichen Anerkennung bekommen. Es ist eine Menge, was auf die jungen Männer und Frauen täglich einprasselt, bis sie tatsächlich zur Prüfung zugelassen werden. "Die lernen jeden Tag so viel, wenn die schlafen gehen, haben sie so einen Kopf", sagt Roza Angelovski und zeichnet mit den Händen einen ziemlich großen Kreis. Manche, sagt sie, müsse sie nur in den Arm nehmen, "dann lächeln sie wieder".

Wir gehen auf Station IV und treffen dort Dalija Mustafagic, Ferenc Borbas und Dino Rastoder. Sie haben gerade Pause, sind somit willkommene Opfer und machen bestimmt nicht zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem "blauen Zauberkasten". So nennt Roza Angelovski die kleine Box, die sie überall dabei hat. Die Magie steckt darin, dass darin Kärtchen mit Fragen zu Pflegethemen enthalten sind - mit den dazugehörigen Antworten auf der Rückseite. "Das weckt Neugier auch bei deutschen Mitarbeitern", hat die Integrationsbeauftragte festgestellt. Die Eingeborenen dürfen das Spiel auch gerne mitmachen und stellen beim Umdrehen oft genug fest, dass ihre Antwort vielleicht gar nicht so gut war. Das lockere die Atmosphäre und zeige Ausländern wie Deutschen auf der Station, dass niemand perfekt ist. "Man kann nicht alles wissen, aber man kann es lernen." Roza Angelovski nickt mit dem Kopf - und das soll heißen, man muss es auch wollen.

Der Wille ist es, der die inzwischen dreifache Oma ihr Leben lang angetrieben hat.

2010 war sie an Krebs erkrankt. Sie wurde operiert, es folgte eine Chemotherapie. Nach sieben Monaten stand sie wieder "hier im Dienst". Sie sagt, in neun Jahren werde sie wohl in Rente gehen. Das ist weit weg, der Gedanke daran beschäftigt sie aber schon heute. "Sie haben es ja gesehen, die sind dankbar für jede Hilfe." Roza Angelovski wird noch viele Menschen in den Arm nehmen, damit sie danach wieder lächeln.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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