Ungewöhnliche Verteidigungsstrategie:Auf der Suche nach dem Diebesgut

Hat der Angeklagte verschwundene Laptops gestohlen oder nicht? Eine Verhandlung kann das nicht klären

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Ab wann ist ein Diebstahl zweifelsfrei bewiesen? Erst, wenn man den Dieb sozusagen mit dem gestohlenen Gut in der Hand ertappt, oder reicht es, wenn der potenzielle Täter zur Tatzeit am Ort gewesen ist? Richterin Sabine Schmaunz konnte sich darüber in der Verhandlung wegen eines besonders schweren Falles des Diebstahls letztlich noch kein abschließendes Bild machen, da der Hauptbelastungszeuge, der Chef einer Transportlogistikfirma, wegen Krankheit nicht befragt werden konnte und deshalb jetzt ein weiterer Verhandlungstermin notwendig ist. Das Einzige, was sicher war laut dem Forensischen Sachverständigen, ist, dass der 26-jährige Angeklagte unerlaubt nachts in der Firma war und mit einem Gabelstapler etwas in einen Lastwagen verlud. Das gab auch der Verteidiger des Angeklagten zu. Seiner Meinung nach gibt es aber keinerlei Beweise, dass es sich um die abhanden gekommenen 30 Laptops im Wert von rund 14 501 Euro handelt. Und nur deswegen sei sein Mandant angeklagt.

Der Angeklagte arbeitet zur Tatzeit, dem Donnerstag, 14. Juli 2016, in einer Firma, die Fracht umschlägt. Von deutschen Firmen über den Flughafen ins Ausland (Export) und umgekehrt (Import) oder vom Inland ins Inland. Nach Zeugenaussagen können in der Lagerhalle schon mal um die 1000 Paletten stehen und weiter verschickt werden am Tag. Die Arbeitszeiten sind entsprechend: von 6 Uhr an bis oft nach 23 Uhr oder später. Am Vortag, 13. Juli, wurden unter anderem fünf Paletten für einen deutschen Kunden angeliefert. Laut Eingangspapieren und Zeugen war der Angeklagte für sie zuständig. In den Papieren vermerkte er, dass eine "offen" beziehungsweise bei dreien die Verpackung "aufgerissen" waren. Auf den Aufzeichnungen der installierten Videokameras ist zu sehen, dass die letzten vier Arbeiter - darunter der 26-Jährige - um 23.33 Uhr die Firma über ein großes Rolltor zu den Verladerampen verlassen und es dunkel wird. Um 23.48 Uhr wird dann eine der Kameras mit einem Tuch abgedeckt - bis 0.41 Uhr. Eine andere Kamera lieferte aber noch Bilder. Darauf öffnet sich später das Rolltor wieder und jemand fährt mit einem Gabelstapler eine Palette in einen Lastwagen, der an der Rampe steht.

Bei der Kriminalpolizei wurden die Videos so aufgearbeitet, dass trotz geringem Licht in der Halle die Person gut erkennbar war, wie die Staatsanwältin sagte und ihr vom Gutachter bestätigt wurde. Der Forensiker identifizierte den Mann anhand von anderem Vergleichsvideomaterial an Größe, Gang, Kopfform, Kleidung und weiteren charakteristischen Merkmalmen als den Angeklagten. Der Firmenchef hatte zuvor bei der Polizei in der Person seinen 26-jährigen Mitarbeiter erkannt, der daraufhin angeklagt wurde. Dass er die Tat nicht alleine verübt haben kann, bestätigte der Sachverständige, der sich alle 79 vorhandenen Videos vom Tag und der Nacht angesehen hatte, denn in die Firma kommt man nur mit codiertem Chipschlüssel und es wurde nach dem Weggang aller Mitarbeiter von Außen keine Tür geöffnet - also musste eine bisher noch unbekannte Person in der Firma gewesen sein und die Kamera abgedeckt und das Rolltor geöffnet haben.

Nachdem die Tatsache, dass sein Angeklagter als einer der Täter identifiziert wurde, nicht zu widerlegen war, konzentrierte sich der Verteidiger darauf in Frage zu stellen, dass der 26-Jährige ausgerechnet die fehlenden 30 Laptops aus der Halle transportiert haben soll. Wiederholt fragte er die Zeugen, Kollegen des Angeklagten, ob denn auch die Vollständigkeit von Lieferungen kontrolliert werde. Dies sei in der Regel nur der Fall, wenn deutlich zu sehen sei, dass zum Beispiel Kartons offen seien.

Aufgefallen sind die fehlenden Laptops erst beim Endkunden, weshalb der Verteidiger die Frage in den Raum stellte, ob denn nachgewiesen werden könne, dass die Laptops überhaupt in der Lagerhalle angekommen seien. Außerdem könne es auch sein, dass sie auf dem Weg zum Kunden verschwunden sind. Gegen seinen Mandanten werde explizit wegen der Laptops ermittelt und nicht wegen etwas anderem. Und er sei auch nicht wegen Hausfriedensbruch oder Einbruch in diesem Fall angeklagt. Und ersteres könne man nicht nachweisen, da man nicht sehen und beweisen könne, dass der 26-Jährige in dieser Nacht exakt diese Geräte gestohlen habe. Dass der Angeklagte ab dem darauffolgenden Montag nicht mehr zur Arbeit erschienen sei, habe mit dem Fall nichts zu tun.

Entscheidend könnte nun die Aussage des Firmenchefs werden. Der gab bei der Polizei nach Aussage des ermittelnden Oberkommissars nicht nur an, dass er den Angeklagten erkannt habe, sondern auch, dass die verladene Palette in der Höhe den gestohlenen Laptopverpackungen entspreche. Nächste Woche soll er nun - falls er bis dahin wieder gesund ist - darüber vor Gericht aussagen.

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