Tauschring Erding:"Geld spielt bei uns keine Rolle"

Seit zehn Jahren gibt es den Erdinger Tauschring - das System funktioniert

Von Jan-Hendrik Maier, Erding

Ich helfe dir und du hilfst mir: Ob es um den Transport eines schweren Schranks, die Übernahme von Handwerksarbeiten oder echtes venezolanisches Essen geht - der Erdinger Tauschring macht es möglich. In dem Netzwerk bieten sich die Teilnehmer gegenseitig kleinere Dienstleistungen an, verschenken Spielzeug und Pflanzen und verleihen Haushaltsgegenstände. Die Besonderheit: Alles funktioniert ohne Geld.

Seit zehn Jahren gibt es den Tauschring in Erding. Die Idee dahinter ist schnell erklärt: Die Mitglieder tauschen Zeit gegen Zeit. Für jede Stunde, die sie investieren, erhalten sie auf einem virtuellen Konto 20 Punkte. Der gleiche Betrag wird für eine Stunde Hilfe fällig. Jedes Neumitglied erhält 100 Punkte frei Haus, sodass es sofort losgehen kann. Das Angebot in Erding reicht von Kinderbetreuung über Bürodienste und Wellness bis zum Niederländischkurs. Wer in den lokalen Inseraten nicht fündig wird, kann über das Internetportal Obelio in den "Marktzeitungen" - so nennen die bundesweit knapp 350 Ringe ihre frei zugänglichen, anonymisierten Anzeigenforen - stöbern oder ein eigenes Gesuch aufgeben, immer in der Hoffnung, dass jemand weiterhelfen kann. Auf die persönliche Daten können nur registrierte Benutzer zugreifen.

Derzeit zählt man in Erding 48 Mitglieder, fast doppelt so viele wie noch vor zwei Jahren. Knapp ein Drittel beteilige sich an den monatlichen Treffen, sagt Organisator Alois Höllinger. Das Netzwerk will unkompliziert sein und steht allen offen, ganz gleich ob man bereits mit einer konkreten Idee in petto kommt oder nur mal schauen möchte. Die meisten sind Rentner, es beteiligen sich aber auch eine Konditorin, eine Friseurin, eine Krankenschwester und ein Heilpraktiker. Manche Interessenten wüssten nicht, was sie anbieten sollen. Ihnen empfiehlt Höllinger, auf ihre Hobbys oder ihren Beruf zurückzugreifen. "Was macht mir Spaß? Was kann ich gut?" Es gehe nicht ausschließlich um praktische Hilfe. Manchmal würde es schon reichen, sein Wissen mit anderen zu teilen.

Gerlinde Gowdy ist seit 2011 dabei. Die Rentnerin unterstützt beim Verfassen von Briefen an Versicherungen oder Behörden und übernimmt für kranke Menschen den wöchentlichen Einkauf. Im Gegenzug lässt sie sich die Haare schneiden. Für die 69-Jährige ist es eine Win-win-Situation. Das Motto "Tauschen statt bezahlen" ist ein Anliegen des Rings. Eng damit verknüpft ist der soziale Austausch. "Die Treffen sind eine Chance, mit interessanten Leuten in Kontakt zu kommen", sagt Gowdy. Gleichzeitig sollen sich auch Menschen mit wenig Geld etwas leisten können, was unter normalen Umständen vielleicht nicht möglich wäre. "Geld spielt bei uns keine Rolle", sagt Höllinger. Lediglich bei Fahrdiensten, zum Beispiel zum Flughafen, oder wenn Materialkosten anfallen, vereinbaren die Partner im Voraus eine geringe Summe in bar.

Der Zusammenschluss sieht sich als Vermittler von Dienstleistungen. "Das ist wie die Hilfe unter Nachbarn." Eine Garantie auf Qualität gibt es daher nicht. Weil nicht alles in Erding angeboten wird, steht man in Kontakt mit den ehrenamtlichen Kollegen in Taufkirchen, Ebersberg, Grafing und München. Findet man dort ein Angebot, kann es auf Obelio gebucht werden. Über die gemeinsame Plattform erfolgt auch die Abrechnung; direkt zwischen zwei Ringen wäre das nicht ohne Weiteres möglich, denn jede Gruppe hat eine eigene imaginäre Währung, vom Vilstaler über das Talent bis zum Crossy.

Der Tauschring ist stets auf der Suche nach neuen Mitstreitern. Jeden 3. Montag im Monat treffen sich die Mitglieder von 19 Uhr 30 an im "Gasthof zum Lindenwirt". Fest Entschlossene können vorab eine Teilnehmerschaft auf www.obelio.com beantragen. Weitere Informationen sowie einen Überblick der Inserate finden sich auf der Internetseite www.erdinger-tauschring.de

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