Taufkirchen/Winkl:Im letzten Winkel

Zwölf Flüchtlinge aus Eritrea leben in Winkl - einem Ort mitten im Niemandsland zwischen Ober- und Niederbayern. Zwei Fahrräder haben sie. Ansonsten hocken sie viel aufeinander und reden

Von Alexandra Maier, Taufkirchen/Winkl

Der Landkreis hat zwölf weitere Flüchtlinge aus Eritrea aufgenommen. Untergebracht sind sie in Winkl, im Gemeindebereich Taufkirchen. Die Unterkunft ist "in Ordnung", sagt Maria Brand, "aber leider völlig ab vom Schuss." Zudem befürchtet die Vorsitzende des Aktionskreises Asyl, dass einige der frisch angekommenen Flüchtlinge nicht in Deutschland bleiben können.

Das Wohnhaus liegt in Hanglage, ruhig, mit großem hübsch bepflanzten Garten und schattiger Terrasse. Von außen würde man nicht auf die Idee kommen, dass es sich bei dem geräumigen Haus um eine neue Flüchtlingsunterkunft handelt. Es ist mittlerweile die zwölfte im Landkreis. Aber die Menschen, die dort leben, sind die ersten Flüchtlinge, die aus Eritrea kommen. Das kleine Land am Horn von Afrika ist gebeutelt vom Krieg mit seinem Nachbarland Äthiopien. Menschenrechte und andere grundlegende Rechte, wie etwa die Presse- oder Meinungsfreiheit, werden dort kaum geachtet. So nimmt Eritrea laut einem Bericht der Organisation "Reporter ohne Grenzen" seit Jahren den Schlussrang ein, wenn es um die Ausübung der Pressefreiheit geht. Seit 2012 gibt es eine Sonderberichterstatterin, Sheila Keetharuth, die seitens der EU über die Situation der Menschenrechte in Eritrea berichtet. In ihrem Bericht vom Mai 2013 stellt sie schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen fest: willkürliche Tötungen, Verhaftungen und Folter.

Vor etwa zehn Tagen kamen nun die ersten Eritreer in Winkl an. Es sollen noch mehr werden. "Ich weiß von einem Ehepaar aus Eritrea, das momentan noch in Erding untergebracht ist, das aber Ende dieser Woche noch nach Winkl umziehen soll", sagt Brand. Aktuell wohnt in Winkl eine Frau mit ihrer jugendlichen Tochter, der Rest sind Männer. Winkl liegt - man möchte das Wortspiel eigentlich gar nicht benutzen, aber es trifft die Situation schlicht am Besten - im fast schon letzten Winkel des Landkreises Erding. Der Ort gehört zur Gemeinde Taufkirchen, ist aber deutlich näher am Markt Velden, der bereits zum Landkreis Landshut gehört. In Winkl gibt es nichts: keine Möglichkeit zum Einkaufen, keine Schule, keine Gemeinschaftsräume. Noch nicht mal gescheiten Handyempfang. Die Asylbewerber laufen durch den Weiler, meistens ein bisschen den nächsten Hang hinauf, um telefonieren zu können. "Hier oben geht es wenigstens ein bisschen, beim Haus gar nicht", sagt ein Flüchtling.

Taufkirchen/Winkl: Zwei Frauen und zehn Männer leben in dem weißen Haus. Nur zweimal am Tag fährt ein Bus nach Winkl. "Alles ist so weit weg", bedauert ein Flüchtling.

Zwei Frauen und zehn Männer leben in dem weißen Haus. Nur zweimal am Tag fährt ein Bus nach Winkl. "Alles ist so weit weg", bedauert ein Flüchtling.

(Foto: Renate Schmidt)

Für Brand ist die neue Unterkunft praktisch gesehen eine denkbar ungünstige Lösung: "Die Flüchtlinge sind vollkommen isoliert", sagt sie und hadert vor allem mit der verkehrstechnischen Lage: "Wie das mit Schule und Deutschkursen funktionieren soll, weiß ich nicht." Nur zwei, drei Mal am Tag fährt ein Bus nach Taufkirchen und Dorfen in der Nähe von Winkl vorbei. Zur nächsten Bushaltestelle sind es einige hudert Meter. Im Moment gibt es für die zwölf Asylbewerber zwei Fahrräder. Die sind im Dauereinsatz. "Aber das ist einfach zu wenig."

Und doch: Ganz isoliert sind die Flüchtlinge im Moment nicht. Denn erste Kontakte zu den Einwohnern von Winkl habe es bereits gegeben, erzählt ein junger Flüchtling. Ein Nachbar sei vorbeigekommen und habe sich erkundigt. "Die Leute hier sind sehr freundlich", sagt er. Nur die einsame Lage, die macht auch ihm etwas Sorgen: "Alles ist so weit weg."

In der Unterkunft gibt es zwei Küchen, die Zimmer sind möbliert. "Das passt schon. Besser als jeder Container", sagt Brand. Manche Zimmer haben einen Balkon, den Flüchtlingen steht ein Garten sowie eine Terrasse zur Verfügung. Es fehlt noch an Stühlen und anderen Kleinigkeiten, sagt Brand: "Aber ich hoffe, dass die bald nachgeliefert werden."

Taufkirchen/Winkl: Ländliche Idylle: Noch im Landkreis Erding, aber fast schon in Velden liegt der Ort Winkl. Viel kann man hier nicht erleben.

Ländliche Idylle: Noch im Landkreis Erding, aber fast schon in Velden liegt der Ort Winkl. Viel kann man hier nicht erleben.

(Foto: Renate Schmidt)

Fragt man die Flüchtlinge, was sie den ganzen Tag in der Abgeschiedenheit in Winkl machen, hört man stets eine Antwort: reden. Wer nicht gerade mit einem der Fahrräder unterwegs ist, sitzt mit anderen zusammen - bei schönem Wetter meistens auf der Terrasse. Alle zwölf haben ihre ganz eigene Geschichte. Noch müssen sie sich kennenlernen, haben sich viel zu erzählen. "Am Anfang geht das fast immer gut", sagt Brand. Aber irgendwann, wenn man sich alles gesagt hat, was man preisgeben will, "dann beginnt man, sich gegenseitig zu nerven". Für die Flüchtlinge in Winkl eine besondere Problemstellung, denn sie sind in ihrem Handlungsspielraum noch mehr eingeschränkt als diejenigen in den größeren Städten und Gemeinden.

Maria Brand lobt dieses Mal zwar die Wahl der Flüchtlingsunterkunft - zumindest was Räumlichkeiten und Ausstattung betrifft -, ist aber dennoch sauer auf das Landratsamt, "weil man die Ehrenamtlichen wieder nicht eingebunden hat". Sie selbst hat durch Zufall davon erfahren, dass die Flüchtlinge bereits in Winkl sind. Jetzt will sie versuchen, möglichst schnell eine kleine Gruppe von Helfern vor Ort zu mobilisieren. Das wird nicht einfach werden, sagt sie, denn auch viele Ehrenamtliche sind jetzt in den Ferien. "Aber die Flüchtlinge brauchen dringend Beschäftigung. Deutschkurse zum Beispiel und andere Aktivitäten, damit ihnen nicht die Decke auf den Kopf fällt", sagt Brand.

Aktuell leben im Landkreis Erding etwa 350 Asylbewerber sowie anerkannte Flüchtlinge. Brand befürchtet, dass einige von den Neuankömmlingen aus Eritrea nicht bleiben dürfen. Denn nach dem Dublin-Abkommen ist das Land, wo ein Flüchtling zum ersten Mal europäischen Boden betritt, für ihn zuständig. Brand glaubt, dass einige der Flüchtlinge in Winkl von Schleusern über Italien nach Deutschland gebracht wurden. Falls sie bereits bei den italienischen Behörden registriert worden sind, dann müssen sie zurück. Langwierige Rücküberstellungen wären die Folge. Davor hat Maria Brand Angst. Das Flüchtlingsmanagement in Italien sei alles andere als gut und professionell, sagt sie. Das Land sei mit dem Zustrom überfordert. In Deutschland hätten es Flüchtlinge weitaus besser.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: