Schule:Schluss mit der Schlepperei

Alle Schuljahre wieder klagen Kinder und Eltern über zu viele schwere Bücher im Ranzen. Der Förderverein des Gymnasiums Dorfen hat dafür eine sehr erfolgreiche Lösung entwickelt

Von Thomas Daller, Taufkirchen

So ein Schulranzen voller Bücher ist eine schwere Last. Bei Kindern der 5. und 6. Klasse beträgt sie im Durchschnitt mindestens sieben Kilogramm. Bei einem Durchschnittsgewicht der Kinder von 35 Kilogramm ergibt das eine Belastung von etwa 20 Prozent des Körpergewichts. Das wären umgerechnet etwa 15 Kilogramm bei einem Erwachsenen von 75 Kilogramm, und das entspricht einem vollen Wasserträger mit Glasflaschen. Kein Erwachsener möchte jeden Tag eine solche Last an der Hand oder auf dem Rücken zur Arbeit tragen. Aber Kindern mutet man das zu. In der Realschule Taufkirchen gehen deswegen jetzt wieder die Beschwerden los. Am Gymnasium Dorfen hingegen hat man dafür eine tolle Lösung gefunden.

Es herrscht dicke Luft in der Klassenelternversammlung der Realschule, eine Mutter ist stocksauer. Ihr Kind ist eines dieser "Zwackerl", die in der sechsten Klasse nur so groß sind wie ein Viertklässler. Den Schulranzen mit den vielen Büchern für den Unterricht kann es kaum schleppen. Die Mutter war mit ihm schon beim Arzt, wegen der anhaltenden Rückenschmerzen. Aber der konnte auch nur raten, die Ursache abzustellen - diese schwere Schlepperei. Früher habe es in der Realschule Taufkirchen für Kinder mit Entwicklungsverzögerung "einfach so" einen zweiten Büchersatz gegeben, sagt die Mutter. Der blieb in der Schule. Im vergangenen Schuljahr gab es sie noch mit einem ärztlichen Attest. Und nun? Gar nichts mehr! Sie wird persönlich, schimpft auf den Schulleiter: "Der sollte mal jeden Tag mit einem 30 Kilo schweren Rucksack in die Schule kommen. Und nicht mit dem Auto, sondern mit öffentlichen Verkehrsmitteln." Eine zweite Mutter, deren Kind ebenfalls noch relativ klein ist, stimmt ihr zu. Warum man denn diese Regelung abgeschafft habe, erkundigt sie sich, das habe doch gut funktioniert. Die Lehrerin drückt ihr Bedauern und Mitgefühl aus; das habe das Landratsamt leider so verfügt. Es gebe nun mal nur den gesetzlichen Anspruch auf einen Büchersatz. Hat das Landratsamt tatsächlich ohne Not eine gut funktionierende interne Regelung der Schule ausgehebelt, die in solchen Härtefällen Erleichterung verschaffen kann? Ist man im Landkreis Erding so herzlos gegenüber kleinen Kindern? Das wäre eine Gemeinheit. Es ist aber keine.

Schulleiter Josef Hanslmaier kennt das Problem: "Wir haben versucht, diese Kinder zu unterstützen, und damit eine Lawine losgetreten." Die Schule verfüge über ein paar übrige Büchersätze, die von Klassen mit stärkeren Jahrgängen stammen. Es sind aber nicht viele und ein paar müsse er auch zurückbehalten, wenn man zum Halbjahr neue Schüler aufnehme, die vom Gymnasium kommen. Aber diese wenigen Büchersätze habe man in den vergangenen Jahren tatsächlich jenen Schülern gegeben, die ein Handicap hatten oder eine Entwicklungsverzögerung. Das war gut gemeint. "Aber dann kamen die Trittbrettfahrer", seufzt er. Die Schule sei mit Anträgen bezüglich eines zweiten Büchersatzes überschwemmt worden. Daraufhin habe man im vergangenen Schuljahr ein ärztliches Attest verlangt. Und wieder habe die Zahl der Anträge mit Attest die Zahl der vorhandenen Büchersätze weit überstiegen. Nach welchen Kriterien hätte die Schule entscheiden sollen? Nach Körpergewicht? Wer zuerst kommt, mahlt zuerst? Das wäre auch nicht gerecht gewesen. Ein Dilemma. Also hat sich Hanslmaier an den Sachaufwandsträger der Schule gewandt, das Landratsamt, und sich erkundigt, ob man denn noch ein paar Büchersätze haben könne. Aber das Landratsamt wollte keinen Präzedenzfall schaffen, weil der Gesetzgeber eben nur einen Büchersatz pro Kind vorsehe. Denn das hätte nicht nur finanzielle, sondern auch rechtliche Schwierigkeiten mit sich gebracht, weil die öffentliche Hand verpflichtet ist, sorgsam mit Steuergeldern umzugehen.

Nachdem das nicht geklappt hat, hat der Realschulleiter an die Eltern appelliert, sie könnten einen Förderverein nach dem Vorbild des Gymnasiums Dorfen gründen. Wenn die Eltern in diesem Verein Mitglied werden und 30 Euro Jahresbeitrag zahlen, erhält das Kind einen zweiten Büchersatz. Aber leider sei sein Anstoß bei den Eltern versandet. Niemand habe die Initiative ergriffen.

Schade, dass sich niemand eingehender mit diesem Vorschlag befasst hat, denn dieser zweite Büchersatz ist die beste Idee, die der Förderverein des Gymnasiums Dorfen je hatte. Bernd Weber, der Mitglied im "Arbeitskreis Schulranzen" des Fördervereins ist, erinnert sich, dass der Förderverein vor dieser Idee eine recht überschaubare Zahl von Mitgliedern hatte. Jetzt seien es mehrere 100. Sagenhafte 90 Prozent der Schüler in den 5. und 6. Klassen würden diesen Büchersatz nutzen. Für höhere Klassen biete man ihn nicht an, weil die Kinder dann meist schon kräftiger seien.

"Am Anfang kommen relativ schnell große Summen zustande", sagte Weber. Mit 20 000 Euro müsse man rechnen. Für diesen Preis könne man auch nicht alle Bücher kaufen, sondern die drei bis vier dicksten und schwersten. "Für die Anschubfinanzierung haben wir mit den lokalen Banken einen Deal gemacht", erklärte er. Über die Nutzungsdauer würden sich die Bücher dann weiter finanzieren: "Da kommt richtig Geld rein. Früher haben wir uns nur über die Einnahmen des Herbstfestes am Gymnasium Dorfen finanziert. Die Bücher sind jetzt unser zweites Standbein." Und die Mitgliederzahlen seien dadurch rasant nach oben geschnellt, weil fast alle Eltern ihren Kindern diese Schlepperei ersparen wollten. Weber: "Für den Förderverein war das ein Turbo." Somit ist das möglicherweise ein Modell, das auch an anderen Schulen funktionieren könnte.

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