Tag der offenen Tür beim Hospizverein:"Still, aber nicht unangenehm"

Ilona Stoisch begleitet sterbende Menschen. Für die Angehörigen sind ihre Besuche oft Momente zum Durchatmen

Interview von Jan-Hendrik Maier, Erding

Miteinander lachen, zuhören oder einfach nur die Hand halten. Es geht nicht nur ernst zu, wenn Ilona Stoisch ihre Patienten besucht. Menschen, die auf der Schwelle zum Tod stehen. Die Hospizbegleiterin erzählt im Interview mit der Süddeutschen Zeitung von ihren Erlebnissen, einem kleinen Jungen und ihrem ersten Fall - die eigene Schwester.

SZ: Warum haben Sie sich entschieden, Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten?

Ilona Stoisch: Ich habe eigentlich schon lange daran gedacht, die Ausbildung zu machen. Aber nicht immer ist der richtige Zeitpunkt dafür. Vor sechs Jahren ist dann ist meine Schwester sehr krank geworden, das war für mich ausschlaggebend.

Wie unterstützten Sie die Patienten?

Zuallererst durch Gespräche. Im Grunde genommen ist es zuhören, nachdenken, mitfühlen, da sein. Viele Patienten haben eine Hemmschwelle, weil sie meinen, dass Hospiz gleichbedeutend ist mit dem Ende. Plötzlich merken sie aber, es ist ganz locker, sehr frei. Wir lachen miteinander, hören Musik . . . bis zuletzt. Dasein ist das Wichtigste, auch wenn mal keine Worte möglich sind. Die Patienten merken das. Bei meiner ersten Begleitung im Krankenhaus war ich bis zuletzt mit dem Patienten im Zimmer, der sehr aufgewühlt war. Dann habe ich meine Hand in seine gelegt, und plötzlich schnaufte er ganz ruhig. Es ist im letzten Moment still, aber nicht unangenehm.

Tag der offenen Tür beim Hospizverein: Seit Jahren kümmert sich Ilona Stoisch in ihrer Freizeit um Menschen, die an einer unheilbaren Krankheit leiden.

Seit Jahren kümmert sich Ilona Stoisch in ihrer Freizeit um Menschen, die an einer unheilbaren Krankheit leiden.

(Foto: Renate Schmidt)

Ist Ihnen ein Erlebnis aus dem Hospiz in besonderer Erinnerung geblieben?

Ich kann mich an ganz viel erinnern, von einer Begleitung bleibt mehr hängen, von einer anderen weniger. Meist kommt es auf die Dauer an. Es ist ja schon so, dass man eine Beziehung zu dem Patienten aufbaut. Man sieht sich regelmäßig.

Verändert Sie das? Beeinflusst die Nähe zum Tod die Sicht auf Ihr eigenes Leben?

Es hat meine Sicht auf die Endlichkeit und den Tod gelassener gemacht. Es ist die Gewissheit, dass das letztlich uns alle eines Tages treffen wird.

Woher nehmen Sie die Kraft für Ihre Arbeit?

Aus meiner Familie und meiner Tätigkeit in einer Arztpraxis. Dorthin kommen auch schwerkranke Menschen, die zum Beispiel mit einer Chemotherapie zu tun haben. Da ist die Nähe ja schon da.

Wie hat es sich angefühlt, als Sie das erste Mal einen Patienten im Hospiz begleitet haben?

Das war doch tatsächlich schwer, denn es war meine Schwester. Ich wurde gefragt, ob ich sie begleiten möchte und wollte es auch wirklich machen. Natürlich war es schwieriger als mit jemanden, den man nicht kennt. Wir haben uns viel erinnert. Aber als Hospizbegleiter sind wir gut ausgebildet, sprechen in den Teamsitzungen viel über die Erlebnisse und werden durch Supervision abgefedert.

Tag der offenen Tür

Der Christophorus Hospizverein Erding lädt diesen Sonntag, 1. Mai, zum Tag der offenen Tür ein. Von 10 bis 17 Uhr kann man die Räume in der Roßmayrgasse 3a besuchen und sich ein Bild von der Hospizarbeit machen. Zu jeder halben Stunde gibt es einen Vortrag. Ehrenamtliche Helfer klären über rechtliche Themen wie die Patientenverfügung und verschiedene Formen der Palliativversorgung auf. Um 13.30 Uhr berichtet Ilona Stoisch von ihren Erlebnissen mit schwerkranken Patienten. Eine Stunde später werden die verschiedenen Angebote der Trauerbegleitung vorgestellt. Wie die Ausbildung zum Hospizbegleiter abläuft, wird um 15.30 Uhr geklärt. JHBD

Wie bereiten Sie sich auf den Besuch bei einem Patienten vor?

Ich kenne die jeweilige Diagnose und gehe ganz offen auf den Menschen zu. Man weiß nie, was passiert. Eine Woche kann einen Unterschied wie Tag und Nacht machen. Bei einer Begleitung hat mich der zehnjährige Enkel gefragt, ob die Omi noch leben wird, wenn die Tulpen blühen. Ich habe also im Februar einen Topf mit Tulpen an das Bett gestellt und dem Bub gesagt: "Wenn das Wetter so bleibt, erlebt die Omi vielleicht noch die Blüte im Garten." Es war nicht mehr so. Der Bub hatte sich gewünscht, dass ich ihn zur Beerdigung begleite. Wir standen also gemeinsam am Grab, er hat ein persönliches Gebet gesprochen und die Tulpen mit hineingeworfen. Vieles geschieht einfach aus dem Bauch raus.

Wie ziehen Sie eine Grenze zwischen Ihrem eigenen Leben und dem Schicksal der Patienten?

Ich versuche überall mit dem Rad hinzufahren. Diese Zeit brauche ich dann auch um den Kopf wieder frei zu bekommen.

Können Sie so alle Dinge loslassen?

Naja, über manches denkt man schon länger nach. Auch wir sind ja nicht ganz frei von Gedanken wie "Das ist doch nicht gerecht". Das Leben ist nicht immer so, wie wir es uns wünschen.

Begleiten Sie auch Angehörige?

Die meisten sind sehr involviert. Wenn ich da bin, können sie mal etwas anderes erledigen oder einfach einen Kaffee trinken.

Was sollte man als Hospizbegleiterin mitbringen?

(überlegt) Ich denke, es ist Lebenserfahrung und Zeit. Es ist wie etwas von seiner eigenen Zeit zurückzugeben, einfach weil es einem selbst gut geht.

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