Sagen und Mythen:Spukende Geister und irrlichternde Flammen

Sagen und Mythen: Auch bei Wilhelm Busch spielen Irrlichter eine Rolle: Ein Wanderbursch folgt Irrlichtern, weil er sie für Laternenlichter hält.

Auch bei Wilhelm Busch spielen Irrlichter eine Rolle: Ein Wanderbursch folgt Irrlichtern, weil er sie für Laternenlichter hält.

(Foto: oh)

Das Erdinger Moos war lange eine gefährliche Gegend. Wer vom Weg abkam, konnte schnell im Moor versinken. Irrlichter und bläuliche Flammen gaben viel Stoff für Spekulationen um wiederkehrende Tote.

Von Thomas Daller, Landkreis

In Erding kennt jedes Kind die Moosgeister, die mit viele Radau und den Perchten nachempfundenen Masken durch die Lange Zeile ziehen. Im November, am 11. 11., werden sie zu Beginn des Faschings erweckt und am Faschingsende müssen sie wieder aus der Stadt gebannt werden. Die Moosgeister und das schwarze Kalb, das sie anführt, sind die bekannteste Sage aus dem Erdinger Moos. Doch bei weitem nicht die einzige. Denn für unsere Vorfahren spukte es in dieser sumpfigen Gegend. Man erzählte von Mooslichtern und von gespenstischen Hunden, die öfters gesehen wurden. An nebligen Herbsttagen führten Moosgeister Pferdegespanne in die Irre oder brachten nachts Wanderer vom Wege ab.

Die Geschichten kreisen immer wieder um Irrlichter und Feuerschein im Moos. Denn das Moos war bis vor 200 Jahren eine gefährliche Gegend. Wer vom Weg abkam, konnte schnell im Moor versinken und auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Es hat lange gedauert, bis man es für die Landwirtschaft nutzbar gemacht hat. Auf alten Karten ist noch der Anbau von Faserhanf im Moos vermerkt, der mit seinen tiefen Pfahlwurzeln den Boden festigte. Erst viel später baute man im Moos Pfefferminze an. Und schließlich entzauberte der Flughafenbau das Moos, das man dabei entwässerte und trocken legte. Damit verloschen auch die Irrlichter, die Stoff für viele Spukgeschichten boten.

Drei Jungfrauen in wallenden Gewändern

Diese Feuer sollen in mancherlei Form erschienen sein. So erzählte man sich im Moos die Geschichte von Ignaz Stangl, der in einer stürmischen, finsteren Herbstnacht mit seinem Krautfuhrwerk von München heimkehrte. Schlaftrunken soll er dabei gewesen sein, aber dann wurde er plötzlich hellmunter: Auf einer Säule erblickte er drei Jungfrauen in weißen, wallenden Gewändern, die von strahlendem Licht überflutet waren. Er erschrak gewaltig. Auch die Pferde waren vor Schreck wie erstarrt und nicht von der Stelle zu bringen. Als er auf sie einschlug, um der geheimnisvollen Erscheinung zu entgehen, rasten die Rösser davon. Er war schon ein großes Stück weiter, als er den Mut fand, sich umzuschauen. Da war der Spuk aber schon wieder verflogen.

Diese und andere Geschichten über Lichterscheinungen im Erdinger Moos hat der Heimatforscher Johann Wimmer um die Jahrtausendwende gesammelt. Auch die vom alten Michael Lommer, der eines Tages von München nach Eichenried gefahren ist, begleitet von einer alten Frau. Plötzlich seien seine beiden Pferde wie von Feuer überloht gewesen. Die Helligkeit blendete die beiden Leute so sehr, dass sie die Hände vor die Augen schlugen und furchtbar erschraken. Die Rösser bäumten sich hoch auf und schlugen einen rasenden Galopp ein, dass der alte Lommer Mühe hatte, sie zu zügeln. Als die Tiere sich endlich beruhigten, schauten sich die beiden Menschen auf dem Wagen um, konnten aber nichts mehr sehen.

Vereinzelt, wie in einer heimatkundlichen Stoffsammlung, ist manchmal auch die Rede von hilfreichen Moosgeistern. So soll ein fahrender Krämer auf dem Heimweg durch das Moos mit seinem Pferd vom Weg abgekommen sein und sein Wagen blieb im Morast stecken. Bekümmert murmelte er vor sich hin: "Jetzt wäre eine Moosfrau recht, wenn es denn eine solche gäbe." Und schon sei ein Moosweibchen da gewesen und habe ihn mit ihrem Glühlämpchen bis ins Hügelland geleitet, wo er nicht mehr irren konnte. So plötzlich, wie sie gekommen sei, sei sie auch wieder verschwunden.

Sagen und Mythen: Carl Spitzweg hat das Phänomen der Moorlichter auf seinem Gemälde "Das Irrlicht" aus dem Jahr 1870 dargestellt.

Carl Spitzweg hat das Phänomen der Moorlichter auf seinem Gemälde "Das Irrlicht" aus dem Jahr 1870 dargestellt.

(Foto: oh)

Wie es zu Irrlichtern und bläulichen Flammen kommt

Auch dem Fischer Sepp soll es bei dunkler Nacht an der Gfällach nach Eichenried so gegangen sein, als sich ihm von der Finsinger Moosstraße her ein Licht genähert habe. Zuerst meinte er, einen Radfahrer vor sich zu haben, der unterwegs war, um einen Arzt oder eine Hebamme zu holen. Doch als er bemerkte, dass sich das seltsame hüpfende Licht über die Gfällach hinweg bewegte, obwohl es dort keine Brücke gab, wurde er stutzig, zumal es in einer Höhe schwankte, die über die Größe eines Menschen hinaus ging.

Für Irrlichter und bläuliche Flammen gibt es eine natürliche Erklärung. Es handelt sich um Sumpfgase, die sich selbst entzünden. Aber diese Faulgase, hauptsächlich Methan, reichern sich überall im Moorboden an und steigen als Blasen im Wasser auf. Doch Irrlichter treten nur punktuell an bestimmten Stellen auf. Im Volksglauben heißt es, es handele sich bei diesen Flämmchen um die Seelen von Verstorbenen. In gewisser Hinsicht ist an dieser Erklärung etwas dran. Denn bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hat der französische Chemiker André Dumas experimentell nachgewiesen, dass nur an solchen Orten, wo Menschen- oder Tierleichen im Sumpf verwesen, diese bläulichen Flämmchen entstehen. Wenn ausschließlich pflanzliches Material verrottet, entstehen nur Methangas, Wasserstoff und Schwefelwasserstoff. Dieses Gasgemisch entzündet sich aber noch nicht bei Kontakt mit Sauerstoff. Erst wenn Phosphorwasserstoff in so einer Blase mit enthalten ist, entzündet sie sich von selbst. Nur Gehirn und Rückenmark sind reich an Schwefel und Phosphor. Und nur dort, wo ein Reh oder eine entlaufene Kuh im Moor versunken ist, treten etwa nach einem halben Jahr die ersten Irrlichter auf. Der Maler Carl Spitzweg, der in Erding eine Apothekerlehre absolviert hat, hat dieses Phänomen auf seinem Gemälde "Das Irrlicht" aus dem Jahr 1870 dargestellt.

Doch wie kann man diese Flämmchen mit den oft beängstigenden Visionen der Bauern im Moos in Einklang bringen? Nebel, Dunkelheit, oftmals begleitet von verstörenden Geräuschen, haben solche Visionen sicher begünstigt. Hinzu kommt aber eine nicht ganz von der Hand zu weisende Vermutung, die mit dem eingangs erwähnten Faserhanf-Anbau im Moos zu tun hat. Der Hanf brachte dreierlei Nutzen: Mit den Wurzeln wurde nicht nur der Moosboden gefestigt, sondern aus den Stängeln gewann man das Material für Hanfseile. Und schließlich gab es als Abfallprodukt noch die Hanfblätter und Hanfblüten, die man getrocknet als billigen Tabakersatz im 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert in der Pfeife geraucht hat. "Knaster" nannte man dieses Kraut der Hanfbauern.

Der Begriff vom "Hansdampf in allen Gassen" stammt aus dieser Zeit und lautete ursprünglich "Hanfdampf in allen Gassen". Und dieser Faserhanf ist ein Verwandter des Indischen Hanfs, der heutzutage als Marihuana bezeichnet wird. Auch der Faserhanf enthält berauschende Stoffe, wenn auch in weit geringerem Umfang als sein indischer Verwandter. Ein Pfeifchen Knaster zu rauchen galt damals weder als anstößig, noch als gefährlich oder problematisch. Und das könnte auch eine Erklärung sein, dass einem an der Pfeife nuckelndem, abergläubischen Hanfbauern bei der Fahrt durch das nächtliche Moos auf dem Kutschbock beim plötzlichen Anblick von blauen Flammen buchstäblich die Fantasie ins Kraut schoss.

Der Geist, eine verstorbene Hausfrau

Zu guter Letzt sind die Geschichten aus dem Erdinger Moos unvollständig ohne die Sage vom schwarzen Kalb. Sie soll aus dem Jahr 1853 stammen und lautet folgendermaßen: Vor alter Zeit ließ sich täglich in einem Hause in München ein Geist in Gestalt eines schwarzen Kalbes sehen, welches darin umher rumorte, sodass niemand mehr im Haus verbleiben zu können vermeinte. Da die gewöhnlichen Beschwörungsmittel nichts fruchteten, wurde ein Geistlicher geholt, den Geist zur Ruhe zu bringen. Dem Priester gelang es, den selben zum Sprechen zu bringen, und da zeigte es sich, dass es die verstorbene Hausfrau war, welche zeitlebens ein böses Weib gewesen und zur Strafe nach ihrem Tode als schwarzes Kalb umgehen musste.

Da aber selbst der Geistliche mit dem bösartigen Geiste nicht zurecht kommen und ihn zur Ruhe bringen konnte, so bannte er ihn in eine zinnerne Flasche mit zugeschraubtem Deckel, versiegelte sie mit geweihtem Wachse und drückte ein Signet mit einem Kreuze versehen darauf, sodass der Geist den Deckel nicht heben konnte. Dann wurde noch in derselben Nacht die Flasche in das Erdinger Moos gebracht und dort vergraben. In dieses Moos wurden schon manche solche geheimnisvollen Flaschen gebracht und Geister dahin verbannt, daher sei es gefährlich, dasselbe an gewissen Orten zur Nachtzeit zu betreten, indem der Geist gerne den Wanderer in den bodenlosen Sumpft verlockt, heißt es in der Sage.

Nur die Erdinger Narren wagen es zur Faschingszeit, diesen Geist aus der Flasche zu lassen und in die Stadt zu holen. Sie bezahlen ihren Frevel mit Kopfschmerzen und Katerstimmung, bis es ihnen dann am Faschingsdienstag reicht und das schwarze Kalb wieder zurück in den nun trocken gelegten Sumpf verbannt wird.

ERding

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