SZ-Schulratgeber:"Was wäre denn die Alternative?"

Autismus, Hörschaden oder Sehschwäche - die Mädchenrealschule Heilig Blut stellt sich der Herausforderung. Am Korbinian-Aigner-Gymnasium können kranke Schüler per Fernunterricht in den Klassenraum zugeschaltet werden. "Das ist auch Inklusion", sagt Initiator Sebastian Pfanzelt.

Von Gianna Niewel, Erding

Ja, die Geschichten von der Katze. Die haben die Mädchen wahrlich schon häufig gehört, vielleicht zu häufig, dabei sind sie nicht immer neu. Die Schülerin der Mädchenrealschule Heilig Blut erzählt sie trotzdem immer wieder. Mittlerweile weiß auch Josef Grundner von dem Tier - und das stört ihn nicht im geringsten. Er ist seit vier Jahren der Rektor an der Schule, die auch eben jene autistische Schülerin besucht. Wie kann man Schülern helfen, die in ihrem Lernen eingeschränkt sind?

Autismus ist eine schwere Entwicklungsstörung, Betroffene kapseln sich ab, es fällt ihnen schwer, Gesten oder Mimik einzuschätzen. "Die Schülerinnen leben in ihrer eigenen Mikrowelt", sagt Grundner. Das wirke sich auf den sozialen Umgang mit Mitschülern und Lehrern aus. "Sie sind häufig extrem ehrlich", sagt er. Und diese Ehrlichkeit könne manchmal verletzten. "Sie kehren ihre Mikrowelt nach außen", sagt er. Die Mitschülerinnen seien aber umfassend informiert und deshalb entsprechend sensibel. Die Lehrer kämen ihr entgegen, in dem sie der betroffenen Schülerin mehr Aufmerksamkeit zukommen ließen - und Zeit. Bei Klassenarbeiten hätte sie einen Nachteilsausgleich. Dauert eine Mathematikklausur etwa eine Stunde, dürfte die Schülerin ein Drittel der Zeit länger über den Aufgaben knobeln. Ein mobiler sonderpädagogischer Dienst berate Lehrer wie Rektor, an welchen Stellschrauben man drehen könne, um dem Mädchen das Lernen zu erleichtern. In den nächsten Tagen wird wieder ein "runder Tisch" einberaumt, wie Grundner sagt.

Derzeit ist eine Schülerin an der Schule autistisch, allerdings sei ihre Einschränkung nicht gravierend. "Man merkt es dem Mädchen nicht gleich an, sie ist fleißig und hat gute Noten."

In einer anderen Klasse ist eine Schülerin fast taub. Sie hat ein Gehörimplantat. "Das Mädchen hört nur blechern", sagt Grundner. Woher er das weiß? Vor einigen Jahren habe er einen Dozenten an der Schule erlebt, der den Lehrern vorgespielt hat, was das Mädchen hört. Beziehungsweise: was nicht. Auch bei ihr war eine Lösung rasch gefunden. Sie sitze im Klassenzimmer so, dass die Lehrer zu ihr hin sprechen können, damit sie zusätzlich zur Hörhilfe von den Lippen ablesen könne.

Darüber hinaus sei eine Schülerin an der Schule stark in ihrem Sehen eingeschränkt, sagt Grundner. Auf einem Bildschirm könne sie die Worte und Formeln nur schwer erkennen, wenn etwas an die Wand projiziert wird, ebenso wenig. Für das Mädchen würden deshalb alle Arbeitsblätter ausgedruckt. "Sie hat außerdem immer einen Tandempartner", sagt Grundner. Das heißt, dass eine Mitschülerin ihr vorliest und erklärt, wenn sie etwas selbst nicht erkennen kann.

Natürlich sei es immer eine Herausforderung, wenn Schüler eingeschränkt sind, sagt Grundner. Aber letztlich gebe es Mittel und Wege, um den Betroffenen entgegen zu kommen. "Was wäre denn auch die Alternative?"

Wenn Schüler nicht dauerhaft eingeschränkt sind, wohl aber über eine längere Zeit erkranken, weil sie etwa zur Chemotherapie müssen, bedeutet das häufig, dass sie die Klasse wiederholen müssen. Am Korbinian-Aigner-Gymnasium weiß man mit Fernunterricht gegenzusteuern. Schüler, die mehrere Monate an ihr Zuhause gefesselt sind oder im Krankenhaus bleiben müssen, können per Computerübertragung in den Klassenraum zugeschaltet werden und auf ihrem Laptop verfolgen, was die Mitschüler im Unterricht lernen.

"Das ist auch Inklusion", sagt Sebastian Pfanzelt, der Initiator des Projekts. "Sie bekommen nicht nur mit, was die Klasse im Unterricht macht, sie bleiben auch in Kontakt mit ihren Mitschülern." Natürlich biete sich der Fernunterricht nur dann an, wenn der Gesundheitszustand das erlaubt. Technisch möglich ist er, weil die Klassenräume des Gymnasiums entsprechend ausgerüstet sind. Je ein Computer, eine Dokumentenkamera, Beamer und Lautsprecher gehören zur Ausstattung. Die Kamera nimmt Rechenaufgaben, Vokabeltabellen oder chemische Versuchsanordnungen auf. Der Schüler zuhause sieht das, was auf dem Lehrerpult passiert, auf dem Computerbildschirm. Mit einem Knopfdruck kann er sich in den laufenden Unterricht schalten und so mitarbeiten. Die Stimme hallt dann über Lautsprecher in den Raum.

"Mittlerweile haben wir vier Schülern helfen können", sagt Pfanzelt. Derzeit erhole sich einer gerade von einer Operation am Knie, bewegen darf er sich kaum. Am Unterricht teilnehmen kann er dank des Fernunterrichts trotzdem. Marie Meisner, die nur im Text so heißt, war die erste Schülerin, an der Pfanzelt den Fernunterricht erprobt hat. Etwa anderthalb Monate konnte die Schülerin krankheitsbedingt gar nicht zur Schule gehen, danach über Wochen nur an manchen Tagen. Dass sie in der Zeit, an es ihr schlechter ging, auch vom Bett aus mitlernen konnte, habe der Schülerin geholfen. "Der Fernunterricht hat auch den Vorteil, dass die Erkrankten gedanklich abgelenkt sind", sagt Pfanzelt.

Auch Andrea Hafner ist zufrieden. "Selbst für die gesunden Mitschüler hat der Fernunterricht Vorteile", sagt die stellvertretende Schulleiterin. Sie wüssten die eigene Gesundheit viel mehr zu schätzen, wenn sie sehen, dass ein Mitschüler viel lieber am Unterricht teilnehme, als im Haus oder im Krankenzimmer zu liegen. Wieder vollständig genesen, konnten übrigens alle vier Schüler die Klausuren mit ihren Mitschülern schreiben. Fast so, als seien sie nie fort gewesen.

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