Start des Erzählcafes:Gemeinsam erinnern

Start des Erzählcafes: Geglückt auf den ersten Versuch ist das Erzählcafé des Bayerischen Roten Kreuzes. Geschäftsführerin Gisela van der Heijden (links) hat weitere Ideen.

Geglückt auf den ersten Versuch ist das Erzählcafé des Bayerischen Roten Kreuzes. Geschäftsführerin Gisela van der Heijden (links) hat weitere Ideen.

(Foto: Renate Schmidt)

Das neu gegründete Erzählcafé gibt Senioren ab 60 Jahren die Möglichkeit zum Gedankenaustausch. Das Rote Kreuz als Initiator möchte damit der Vereinsamung entgegenwirken

Von Barbara Forster, Erding

"Der Kuchen könnte besser sein", sagt ein älterer Herr und blickt selbstsicher in die kleine Seniorenrunde, die sich im neuen Kinderhaus des Bayerischen Roten Kreuzes am Ludwig-Simmet-Anger eingefunden hat. Heiteres Gelächter unter den schick gekleideten Damen, die sich Früchte und Marmorkuchen von der reichlich gedeckten Tafel nehmen. Es ist Freitag, 14 Uhr. Genau die richtige Zeit für ein bisschen Kaffee und Kuchen und um in Erinnerungen zu schwelgen. Das neu gegründete Erzählcafé soll Senioren ab 60 Jahren die Möglichkeit geben, gegenseitige Erfahrungen auszutauschen. Alle zwei Wochen sollen die Seniorentreffen nun künftig kostenlos stattfinden. Gisela van der Heijden, Kreisgeschäftsführerin des Bayerischen Roten Kreuzes, ist die Initiatorin des Seniorentreffens und möchte mit dem Erzählcafé "der "Vereinsamung entgegenwirken" und den "Geist und die Seele aktivieren". Bei den Treffen sollen Gedanken und Gefühle ausgetauscht werden, es soll gelacht und auch mal gesungen werden.

Eine Dame nippt gediegen an ihrem heißen Kaffee und schenkt allen ein freundliches Lächeln. Irene Thaler, 89, wurde schriftlich zum ersten Seniorentreffen eingeladen, da sie seit Jahren ehrenamtlich beim Roten Kreuz arbeitet. Noch heute verkaufe sie vom BRK aus Lose auf dem Herbstfest. Das hohe Alter merkt man der Seniorin nicht an, mit ihrem grünen Seidenschal wirkt die ehemalige Schneiderin noch sehr vital: Jeden Mittwoch spielt sie mit ihren Freundinnen zu Hause Canasta, erzählt sie. Über die Einladung zum Seniorentreffen habe sie sich sehr gefreut: "Wir alle freuen uns, dass wir in unserem hohen Alter noch so gut aufgenommen werden."

Freundlich blickt Gisela van der Heijden in die Runde und begrüßt alle Anwesenden zum ersten Treffen dieser Art. "Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können", sagt sie und zitiert damit den deutschen Dichter Jean Paul. Allgemeines Gemurmel und Kopfnicken macht sich breit. Alle sind sich einig: Erinnerungen könne einem niemand mehr nehmen. Van der Heijden liest eine Geschichte über den Berliner Mauerfall vor und befragt die Anwesenden, wie sie von diesem Ereignis damals erfahren haben. Die Schilderungen der Senioren sind emotional, die Erinnerungen an dieses Ereignis bei vielen noch sehr präsent. Mit solchen kleinen Geschichten möchte Gisela van der Heijden die Senioren auffordern, sich an Erlebtes gemeinsam zu erinnern. Sie möchte aber auch andere Dinge ausprobieren, wie gemeinsam mit Senioren und Kindern kochen: "Das Konzept vom Kinderhaus ist intergenerativ", sagt die Kreisgeschäftsführerin.

Viele Senioren haben eine beeindruckende Lebensgeschichte zu erzählen. Manche wurden aus ihrer Heimat vertrieben, manche sind durch ihre Heirat in Erding gelandet, doch die meisten möchten ihre Geschichten nicht in der Zeitung lesen.

Anna Lamers, 88, gibt einen kleinen Einblick in ihr bisheriges Leben: Seit 1973 ist die ehemalige Krankenschwester beim Bayerischen Roten Kreuz tätig und arbeitet wie Irene Thaler zur Herbstfestzeit am Losestand. Darüber hinaus hilft sie im Kleiderladen "Schatzkastl" und kümmert sich um ältere Menschen im Heilig-Geist-Altenheim. Ein weiteres Hobby von "Anni", wie sie Freunde gerne nennen, ist das Stricken: Alles, was sie verkaufen könne, spende sie an krebskranke Kinder. "Ich kann noch vieles geben", sagt die Seniorin. Magdalena Koschek, 76, wurde durch die Zeitung auf das Seniorentreffen aufmerksam und wünscht sich weitere soziale Kontakte. Ein paar bekannte Gesichter kenne sie schon, und ihr erster Eindruck sei positiv: "Frau van der Heijden macht das sehr gut." Das einzige was sich Magdalena Koschek wünscht: Mehr Leute, vielleicht auch einige Herren, damit die Treffen besser durchgemischt sind. Wenn der Kuchen das nächste Mal besser sei, komme sie wieder, scherzt die Dame neben Koschek und nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: