Sozialdemokraten:Der Basis-Frust

Groko oder Opposition: Für viele SPD-Mitglieder im Landkreis gleicht die Wahl einer Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Ein Besuch bei Parteiveranstaltungen in Markt Schwaben und Vaterstetten

Von Karin Kampwerth, Markt Schwaben/Vaterstetten

Diskutiert wird unterschiedlich, das Ergebnis ist dasselbe: Eine Mehrheit zumindest der SPD-Mitglieder, die sich am Freitagabend in Baldham und in Markt Schwaben getroffen haben, wird beim Mitgliedervotum bis 2. März wohl zustimmen, erneut eine Große Koalition mit der Union einzugehen. Während sich die Vaterstettener Genossen im "Alten Wirt" allerdings auf Inhalte des Koalitionsvertrages konzentrieren, reden die Markt Schwabener im Awo-Haus mal ganz grundsätzlich über den Zustand ihrer Partei. Heraus kommt, dass den einen das auf 177 Seiten Niedergeschriebene, das die Basis für eine Regierungsarbeit zwischen SPD, CDU und CSU bilden soll, zu "Wischiwaschi" ist, während die anderen sich über das Hin und Her samt Postengeschachere der Parteispitze ärgern.

Dennoch: Am Ende des Abends geht eine Probeabstimmung in Baldham 77 zu 23 Prozent pro Koalition aus. Und in Markt Schwaben bringt es SPD-Bürgermeister Georg Hohmann auf den Punkt: "Es wird wohl eine Zustimmung zur Groko geben. Mangels Alternative entweder aus Angst oder aus Vernunft."

Baldham, Brunnenstube im "Alten Wirt": Fast makaber, dass sich im Raum nebenan eine Trauergemeinde zusammengefunden hat, als sich 15 Vaterstettener SPD-Mitglieder an die Analyse einiger der 13 Kapitel aus dem Koalitionsvertrag machen. Bei Bier, Spezi, Schnitzel und Salat kauen die Genossen im schummrigen Wirtshauslicht auf dem herum, was der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Josef Mittermeier so beschreibt: "Ich bin im Prinzip nicht zufrieden. Ich werde aber wohl zustimmen, weil wir noch mehr an Boden verlieren, wenn wir weiter Zeit verlieren."

Ortswechsel. Markt Schwaben, Mehrzweckraum im Awo-Haus: Um die Resopaltische haben sich 16 Ortsvereinsmitglieder im Neon-Licht versammelt. Saft und Wasser reichen aus, zu sehr ist den Genossen das Hickhack an der Parteispitze auf den Magen geschlagen. Torsten Hauberg hat sein rotes Parteibuch vor sich liegen. "Aus taktischen Gründen des Selbsterhaltes ist die einzige Möglichkeit die Groko", sagt er. "Neuwahlen wären für die SPD endgültig die Katastrophe." Einig sind sich die Markt Schwabener in ihrer Forderung nach einer personellen Erneuerung. "Was am meisten stört, ist nicht der Koalitionsvertrag", sagt Bürgermeister Hohmann, "es sind unsere Leute." Gegen die Haken, die Martin Schulz geschlagen habe, sei ein Hase ein Waisenknabe. Jetzt mache Sigmar Gabriel leider weiter so. "Die haben keine Disziplin."

Zurück nach Baldham. Hier geht es um die Energiewende und die Flüchtlingspolitik. "Wir stehen für eine Umwelt- und Klimapolitik, die Natur und Schöpfung bewahrt", zitiert Josef Mittermeier aus dem Koalitionsvertrag. "Das ist nichts weltbewegendes", bügelt er die Floskelhaftigkeit der Aussage ab. Dennoch hat er Positives gefunden. Zum Beispiel die Bekenntnisse zum Atomausstieg und den Verzicht auf Glyphosat. Erfreulich sei außerdem, dass sich die Koalitionsparteien darauf verständigt hätten, die Klimaschutzziele bis 2030 zu erreichen. "Ein echter Fortschritt", sagt Mittermeier. Das sieht ein Gast anders. "Es werden große Worte gemacht," sagt er, "dabei würden konkrete Maßnahmen reichen." Und ein anderer meint: "Es ist viel zu oft ein Wollen statt ein Werden."

Auch in Markt Schwaben ist man uneins über die Qualität der Aussagen im Koalitionsvertrag. Dieser enthalte "Tausende von Konjunktiven", wie Bürgermeister Hohmann sagt. Laut Dieter Kämpf, seit 35 Jahren SPD-Mitglied, mit vielen Kapriolen seiner Partei vertraut und Groko-Befürworter, ist das allerdings kein Manko. "Ein Koalitionsvertrag ist immer nur eine Absichtserklärung, man kann ja darin keine Gesetze verabschieden", sagt er.

Andere Stimmung in Baldham: Der SPD-Ortsvorsitzenden Kristina Kleinmagd-Kalteis reichen zum Thema Flüchtlingspolitik nicht einmal die Absichten aus, die im Koalitionsvertrag genannt werden. "Das ist alles ziemlich klinisch", sagt sie in der Brunnenstube. Sei 2013 noch viel die Rede von Solidarität gewesen, beschränkten sich die Parteien nun auf Lob für das Engagement. Auch würden die Fluchtursachen nicht mehr benannt, nur, dass man sie bekämpfen und dafür eine Kommission einsetzen wolle, "dabei ist doch alles bekannt". Kleinmagd-Kalteis ärgert sich auch darüber, dass der Familiennachzug als Problem gesehen werde und nicht als Chance für Integration. Anstatt Mut zu bewahren und sich zu positionieren, laufe die SPD "lieber einer kleinen lauten Zahl an Menschen hinterher".

Was zurück zur Personaldebatte in Markt Schwaben führt. "Wenn es uns nicht gelingt, eine Lichtgestalt zu finden, die mit Anstand und Benimm glänzt, gehen wir im Hickhack unter", sagt Bürgermeister Hohmann. Seiner Ansicht, dass Genossen, die ehrlich auftreten, große Chancen hätten, die Menschen mitzunehmen, hätte sicher auch in Baldham Zustimmung gefunden.

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