Soldaten in Erding:"Meine Mutter war entsetzt"

Deutscher Tornado auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik in der Türkei.

Viele Erdinger Soldaten folgen dem Tornado in seine Einsätze, wie hier auf der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik.

(Foto: Falk Bärwald/dpa)

Mehr als 3000 Bundeswehrsoldaten sind im Auslandseinsatz. Ob das immer sinnvoll ist, dazu dürfen sie nichts sagen. Dafür berichten sie von ihrem Alltag und, wie es sich anfühlt, mit zwei Tagen Vorlauf losgeschickt zu werden.

Von Wolfgang Rescher

Ungefähr 3100 Soldaten der Bundeswehr befinden sich derzeit im Auslandseinsatz, von der Türkei bis nach Mali, von Afghanistan bis ins Mittelmeer. Auch Soldaten des Erdinger Fliegerhorstes werden immer wieder ins Ausland geschickt. Diese Einsätze werden in Gesellschaft und Politik teilweise heftig diskutiert, die Soldaten selbst dürfen sich über Sinn und Unsinn der Einsätze aber nicht äußern - obwohl sie wahrscheinlich viel zu der Diskussion betragen könnten. Erzählen dürfen sie aber, wie sie ihren Einsatz erleben und welche Erfahrungen sie machen. Die Süddeutsche Zeitung hat mit drei Erdinger Soldaten gesprochen.

Stabsfeldwebel Christian Hörmannsdorfer hat viel von der Welt gesehen. Der 42-Jährige ist Nachprüfer für den Tornado beim Instandsetzungszentrum 11 in Erding, und war in dieser Funktion bei vielen großen Auslandseinsätzen der Bundeswehr dabei: IFOR und SFOR am Balkan, ISAF in Afghanistan, seit diesem Jahr Counter Daesh, der Einsatz gegen den Islamischen Staat in Syrien und der Türkei, den die Bundeswehr mit Tornados und Fregatten unterstützt. Zwischen vier und fünf Monate dauern diese Einsätze in der Regel.

Seit 26 Jahren ist der Moosinninger bei der Bundeswehr. Hörmannsdorfer trat Anfang der Neunzigerjahre ein, machte in Erding eine Ausbildung zum Fluggerätemechaniker. "Im Laufe der Zeit hat sich das Bild vom Fluggerätemechaniker, der zufällig Soldat ist, gewandelt zum Soldaten, der als Fluggerätmechaniker arbeitet", sagt er.

Hörmannsdorfer ist heute ein so genannter Nachprüfer für den Tornado: Er ist dafür zuständig, alle Wartungen an Tornadoteilen als letzte Instanz zu überprüfen und für den Flugbetrieb freizugeben. Wo der Tornado hinfliegt, dorthin folgt Hörmannsdorfer.

Soldaten in Erding: Oberfeldwebel Stefanie Schmidt und Stabsfeldwebel Christian Hörmannsdorfer am Erdinger Fliegerhorst.

Oberfeldwebel Stefanie Schmidt und Stabsfeldwebel Christian Hörmannsdorfer am Erdinger Fliegerhorst.

(Foto: Renate Schmidt)

Sechs Wochen Vorlaufzeit hatte er zuletzt, bevor er Anfang März auf die türkische Luftwaffenbasis Incirlik geschickt wurde. "Natürlich war meine Familie besorgt", sagt Hörmannsdorfer. Allerdings konnte er dieses Mal viel besser Kontakt halten in die Heimat. Konnte man 1999 in Piacenza nur telefonieren, war im afghanischen Mazar-e Sharif schon Internet verfügbar - allerdings mit starken Einschränkungen.

"Ich habe monatlich etwa 200 bis 250 Euro für die Internetnutzung ausgegeben", sagt er. "Hauptsächlich, weil wir ständig Verbindungsabbrüche hatten." E-Mails lesen und schreiben konnte da schon zur Herausforderung werden, an Internettelefonie war nicht zu denken. Heuer, in der Türkei, konnte man schließlich auf kostenloses Wlan mit einer guten Verbindung zugreifen.

Die Ferne zur Heimat hat den Moosinninger belastet. "Man muss sich vorstellen, dass man in einem Camp niemals alleine ist", sagt Hörmannsdorfer. In Afghanistan teilte er sich die Stube mit einem Kameraden, in der Türkei waren sie zu fünft in einem Container. Die Einrichtung: Drei Stockbetten, ein Blechspind und eine Biergartengarnitur in der Mitte des Raumes. "Irgendwann kann man die Leute einfach nicht mehr sehen", sagt der Feldwebel. Vor allem, wenn man sich mit 80 Soldaten acht Duschen und Toiletten teilen muss. "Meistens war die Hälfte der Toiletten nicht benutzbar, weil die billigen Brillen kaputt waren", sagt er.

Die Bundeswehr bietet nach den Auslandseinsätzen Nachbereitungsseminare an. "Am Anfang war ich skeptisch", sagt er. "Aber es ist ein großer Vorteil, mit Leuten reden zu können, die mit einem unterwegs waren." Mit der Familie oder Freunden über seine Erfahrungen zu sprechen, das falle schwer. "Man fängt an, sich zurück zu halten, wenn man merkt, dass dieses Thema anderen nicht gut tut."

Eine Personalerin im Kosovo

Stefanie Schmidt sagt, sie habe einen "Tapetenwechsel" gebraucht. Die 28-Jährige, die in Walpertskirchen wohnt, hat vor ihrer Zeit in der Bundeswehr zehn Jahre als Einzelhandelskauffrau gearbeitet. Und ging dann zur Bundeswehr: "Mein Mann hat mich darauf gebracht. Er war selbst Soldat und meinte, dass das eine wertvolle Erfahrung sein könnte." Ihr Vater war zwar nicht dieser Meinung, beworben hat sie sich trotzdem. Heute arbeitet sie im Waffensystemunterstützungszentrum 1 in Erding als Personalfeldwebel, sozusagen in der Personalabteilung: Sie führt die Personalakten aller Soldaten der Einheit und kümmert sich um die Verwaltung bei Versetzungen oder Auslandeinsätzen.

2015 war sie für viereinhalb Monate im Auslandseinsatz. "Ich habe mich freiwillig gemeldet, weil ich die Erfahrung machen wollte", sagt Schmidt. Eine Entscheidung, die bei der Familie umstritten war: "Meine Mutter war entsetzt." Nach drei Wochen Vorbereitungszeit ging es Mitte Januar nach Prizren im Kosovo. Das dortige KFOR-Kontingent der Bundeswehr ist mit 651 Soldaten das zweitgrößte nach Afghanistan. Seine Aufgabe besteht darin, lokale und internationale zivile Sicherheitskräfte zu unterstützen, außerdem helfen die Soldaten bei der Entmilitarisierung der Region.

"Ich würde jederzeit wieder gehen"

Seit mehr als 17 Jahren gibt es das Feldlager Prizren, es ist eines der ältesten und am besten ausgebauten Camps der Bundeswehr. Zelte oder Container gibt es dort in der Regel nicht mehr, eine Tatsache, die Schmidt zu schätzen wusste. "Über die Unterbringung konnte man sich nicht beschweren. Die Leute hatten in der Regel Einzelstuben und es gab freies Wlan mit guter Verbindung." Dadurch habe sich die Lebenssituation wesentlich entspannt. Denn die Soldaten sind ständig unter sich: Im Auslandseinsatz dürfen sie ihre Lager nicht verlassen, selbst in einem relativ ruhigem Gebiet wie dem Kosovo.

Insgesamt waren für Schmidt die Monate im Einsatz eine "sehr, sehr gute und positive Erfahrung. Ich habe noch nie einen solchen Zusammenhalt und eine solche Kameradschaft erlebt." Für sie gehören Auslandseinsätze zum Beruf. "Ich würde jederzeit wieder gehen."

Mit zwei Tage Vorlaufzeit in die Welt hinaus

Kaum ein Soldat absolviert wohl so viele Einsätze im Ausland als Torsten Praulich. Der aus Thüringen stammende Soldat lebt seit 1998 in Moosinning. Der 35-Jährige ist Mitglied in einem von nur zwei mobilen Instandsetzungstrupps in Deutschland, die sich mit dem Wiegen und Vermessen von Luftfahrzeugen der Luftwaffe beschäftigen. Gewogen werden die Flugzeuge zum Großteil in Deutschland, vermessen werden sie aber auch im Ausland.

Wenn ein Flugzeug der Bundeswehr großen Belastungen ausgesetzt wird, zum Beispiel einer harten Landung, müssen er und sein Trupp zu diesem Flugzeug reisen. Die Soldaten stellen sicher, dass sich an den Teilen des Geräts nichts verzogen hat und es weiterhin flugtauglich ist. Auch wenn größere Bauteile ausgetauscht werden müssen, muss Praulich los.

Sechs Mal im Jahr hat er für diesen Auftrag einen Monat lang Bereitschaftsdienst. Der Einsatz kann dann sehr kurzfristig angesetzt werden: "Manchmal haben wir nur zwei Tage Vorlaufzeit", sagt Praulich. Und neben dem Packen und der Verabschiedung von Freunde und Familie müssen auch noch Flüge und Zugangsberechtigungen zu Kasernen, oft denen anderer Länder, organisiert werden. Das ist nicht immer einfach, die Einsatzorte können überall auf der Welt sein und die Zeitverschiebung macht die Kommunikation nicht leichter. Am Einsatzort angekommen kann es bis zu einer Woche dauern, bis alle Tests abgeschlossen sind und der Trupp wieder zurück in die Heimat darf.

Soldaten in Erding: Hauptfeldwebel Torsten Praulich.

Hauptfeldwebel Torsten Praulich.

(Foto: Renate Schmidt)

Doch nicht nur die Kurzfristigkeit belastet Praulich, sondern auch die Häufigkeit der Einsätze. "Wenn viel los ist, werden wir teilweise wöchentlich angefordert." Seine Familie akzeptiert das. "Meine Frau hat mich als Soldat kennengelernt, sie kennt es nicht anders", sagt er. Um jederzeit und überall einsetzbar zu sein, muss der Techniker alle drei Jahre Auffrischungslehrgänge zu Auslandseinsätzen absolvieren, außerdem wird er jährlich einem kompletten Gesundheitscheck unterzogen und auch seine Impfungen müssen auf dem aktuellen Stand sein.

2017 wird Praulich an den Luftwaffenstandort Büchel versetzt, um dort als Wartungsmechaniker zu arbeiten. Nicht mehr nur einzelne Teile des Tornados wird er zu sehen bekommen, sondern den ganzen Flieger. Für ihn fällt dann der Bereitschaftsdienst weg. Aber trotzdem: Praulich bleibt Soldat und wird weiterhin damit rechnen müssen, jederzeit in den Auslandseinsatz geschickt zu werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: