Sechs Ölgemälde:Kein Sing

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(Foto: Renate Schmidt)

In Dorfen wird heftig debattiert, ob der Bilderzyklus aus dem alten Sitzungssaal auch im neuen Rathaus wieder dort hängen soll. Nun stellt sich heraus: Die Werke stammen gar nicht von dem angeblichen Hofmaler

Von Florian Tempel, Dorfen

In Dorfen werden Stadträte in sozialen Netzwerken und auf offener Straße übel beschimpft, weil sie etwas scheinbar Unerhörtes gewagt haben: Es geht um sechs Ölgemälde, die seit mehr als 300 Jahren stets im Rathaus-Sitzungssaal hingen. Mit einer Stimme Mehrheit hat der Stadtrat entschieden, dass die Bilder im geplanten neuen Rathaus nicht zwingend wieder im Sitzungssaal aufgehängt werden müssen - weil die alten Schinken nicht allen gefallen. Bürgermeister Heinz Grundner (CSU) rügte die Entscheidung unter anderem mit dem Verweis auf den "unschätzbaren Wert" der Werke, die ja doch kein Geringerer als der "kurfürstliche Hofmaler" Johann Caspar Sing gefertigt habe. Doch die Gemälde mit biblischen Themen stammen gar nicht von Sing. Die Kunsthistorikerin Eva Seib hat in ihrer bereits 1993 verfassten Dissertation dargelegt, dass die Zuschreibung falsch ist. Wer auch immer die Dorfener Rathaus-Bilder gemalt hat, es war nicht Johann Caspar Sing - von dem im Übrigen nicht einmal wirklich klar ist, ob er tatsächlich Hofmaler war.

Eva Seib ist die beste Kennerin der Werke des 1651 in Braunau geborenen und 1729 in München gestorbenen Malers. Ihre am Institut für Kunstgeschichte der Universität München verfaste Dissertation ist die weltweit einzige Monografie über Johann Caspar Sing. Ihr Doktorvater war Bruno Bushart, Direktor der städtischen Kunstsammlungen von Augsburg und Experte für bayerische Barockmalerei.

Seib hat mehrere gute Gründe, warum sie die Dorfener Rathaus-Bilder aus dem Werkkatalog von Johann Caspar Sing rausgekegelt hat: "Malstil, Kolorit wie auch die Figurenauffassung verweisen deutlich auf eine andere Hand." Ein Vergleich mit unzweifelhaften Werken von Sing macht das selbst Laien klar. Echte Sing-Gemälde weisen eine ganz andere Könnerschaft auf, als die des Malers der Dorfener Bilder. Echte Werke von Sing sehen so aus, wie man bayerische Barockmalerei kennt: Gekonnt komponierte und fein gezeichnete Figuren, mit Licht und Farbe schön in Szene gesetzt. Dafür werden hohe Preise gezahlt: Eine Versteigerung eines Sing-Gemäldes bei Christies 2006 in New York brachte dem Verkäufer 12 600 Dollar ein, eine Auktion 1995 in London 4600 Pfund.

Die Dorfener Bilder sind aber ganz anders als ein echter Sing. Reichlich düster zeigen sie viele, oft ungenau proportionierte Figuren, die ohne präzise kompositorische Idee im Tableau platziert sind. Seib kommt deshalb zu einem klaren Urteil: "Die unter niederländischen Einfluss stehende, betont additive Malweise weist in keinem Punkt eine Übereinstimmung mit Arbeiten von Sing auf."

Wie aber konnte es dazu kommen, dass die Dorfener Rathaus-Bilder Johann Caspar Sing fälschlicherweise zugeschrieben wurden? Vielleicht so: Irgendwann wusste niemand mehr, von wem die alten Bilder im Rathaus sind. Doch zwei der sechs Gemälde sind mit den Initialen "C. S. P." signiert. Irgendjemand hat dann folgende Überlegung angestellt: Da sich auch Datierungen von 1686 und 1690 auf den Gemälden finden, suchte er einen Maler dieser Zeit, auf den das Monogramm zutreffen könnte. "C." wurde mit Caspar, "S." mit Sing und "P." mit Pictor identifizierte, dem lateinischen Wort für Maler. Voilà, eine Erklärung. Andere übernahmen dann diese falsche Zuschreibung, zum Beispiel das 1895 begonnene Standardwerk "Kunstdenkmäler von Bayern". Auf dieses beruft sich auch heute noch das Landesamt für Denkmalschutz, das sonst keine weiteren Erkenntnisse zu den Dorfener Rathaus-Bildern hat.

Für Seib ist aber gerade das Monogramm "C. S. P." ein weiterer Hinweise darauf, dass die Bilder eben nicht von Sing stammen: "Er hat seine Werke - wenn er signiert hat - recht vollständig signiert. Mir ist keine Monogramm-Signatur bekannt. Vor allem gibt es keine Signatur, in der nicht beide Vornamen oder ihre Monogramme angegeben werden."

In der Diskussion zu den Rathaus-Bildern im Dorfener Stadtrat, war das alles nicht bekannt. Neben der kunsthistorischen Dimension und dem eigenen Kunstgeschmack der Stadträte - Heiner Müller-Ermann fand sie "düster" und Josef Wagenlechner gar "bedrohlich" - spielte die lokale Geschichte und Tradition eine Rolle. Die Bilder wurden vor mehr als 300 Jahren von Dorfener Ratsherren gestiftet. Auch wenn sie nicht von Johann Caspar Sing und womöglich kein zeitgemäßer Schmuck sind, bleiben sie einzigartig - so etwas hat keine andere Stadt in Altbayern.

Die Themen der Bilder sind biblische Geschichten mit moralischen oder zumindest denkwürdigen Inhalten. "Salomons Urteil" und "Christus vor dem Hohen Rat" sollen die Stadtherren mahnen, stets Klugheit und Gerechtigkeit walten zu lassen. "Lazarus und der reiche Prasser" fordert die Gleichbehandlung aller Bürger, "Die letzten Dinge" sind ein Memento mori. "Martha und Maria" erinnert schließlich daran, dass Zuhören eine nicht zu unterschätzende Tugend ist.

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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