Pokémon Go im Stadtpark:Auf der Jagd nach Monstern

Pokémon Go im Stadtpark: Erding ist der ideale Ort für die Pokémon-Jagd, weil hier weniger Konkurrenz ist als in München", sagt Dennis K. (links). Er trifft sich oft im Stadtpark mit Oliver P., den ebenfalls das Pokémon Go-Fieber gepackt hat.

Erding ist der ideale Ort für die Pokémon-Jagd, weil hier weniger Konkurrenz ist als in München", sagt Dennis K. (links). Er trifft sich oft im Stadtpark mit Oliver P., den ebenfalls das Pokémon Go-Fieber gepackt hat.

(Foto: Renate Schmidt)

Das Spiel "Pokémon GO" findet auch in Erding immer mehr Anhänger. Zu erkennen sind sie im Stadtbild am Starren auf das Smartphone. Mediziner und Polizei sind aber weniger begeistert von dem Hype

Von Tahir Chaudhry, Erding

Immer mehr Jugendliche schwirren derzeit über den Schrannenplatz und den Stadtpark, um ihre Abenteuerlust und ihr Sammelbedürfnis zu befriedigen. Allein oder in Gruppen legen sie mehrere Kilometer am Tag zurück, um die kleinen Biester in den ungewöhnlichsten Ecken der Stadt aufzuspüren. 151 unterschiedliche Pokémon sind es an der Zahl, die der Spieleentwickler von "Pokémon Go" nach dem Zufallsprinzip verstreut hat, jeweils in den zu ihnen passenden Gebieten. Demnach lassen sich Wasser-Pokémon in der Nähe von Gewässern, Kampf-Pokémon nicht weit von Sport- und Fitnessangeboten finden und manche meinen Psycho-Pokémon nahe der mathematischen Fakultät an ihrer Uni gesehen zu haben.

Täglich bis zu vier Stunden

Dennis K.r (20) studiert im zweiten Semester Maschinenbau an der Privathochschule der bayerischen Wirtschaft. Er befindet sich derzeit in der Prüfungsphase und hat Montag und Dienstag vorlesungsfreie Tage, die natürlich in erster Linie für Pokémon Go reserviert sind. Nur wenige Stunden vor dem offiziellen Verkaufsstart des Spiels in Deutschland gründete er die Gemeinschaftsseite "Pokémon Go Erding & Umgebung" auf Facebook. Mittlerweile haben sich dort fast 800 Pokémon-Trainer zusammengefunden, um sich auszutauschen und zu organisieren. Die Veröffentlichung in Deutschland am 13. Juli habe K. nicht abwarten können und deshalb bereits eine Woche vorher angefangen. "Seitdem das Spiel in den USA, Neuseeland und Australien veröffentlicht wurde, spiele ich es täglich bis zu vier Stunden", sagt er.

Selbst Regen kann K. nicht aufhalten, aber wohl seine Freundin, die sich manchmal an der teils exzessiven Beschäftigung mit seinen Monstern stört. Dagegen sei seine Mutter dem Spiel nicht abgeneigt und habe selbst mal voller Begeisterung ein Pokémon gefangen, erzählt er. Heute trifft er sich mit Olivér P. (20) auf dem Schrannenplatz, um gemeinsam zum Stadtpark zu laufen. P. studiert im zweiten Semester Bauingenieurwesen an der TU München. Für beide ist ein Traum wahr geworden: "Als Kind beim Pokémonspielen hat man sich immer ausgemalt, wie es wohl wäre, in Wirklichkeit als Trainer loszuziehen, um wilde Pokémon einzufangen und zu sammeln".

Auf einmal sieht man junge Leute im Stadtpark

Jugendliche aus der späten 80er und frühen 90er Generation, die Pokémon nur in Form der Zeichentrick-Serie, von Tauschkarten oder Gameboyspielen kannten, bilden heute vermutlich den Großteil der begeisterten Pokémon Go-Spieler. "Man sieht auch heute wieder, dass im Stadtpark lauter 20-jährige herumlaufen, früher war der immer voller Senioren und Pärchen mit Kindern.", fällt K. auf.

Für gewöhnlich treffen sich die beiden mit Freunden und Bekannten an Orten wie dem Stadtpark oder der Innenstadt, weil dort die meisten Spielelemente wie Kampfarenen und Poké-Stopps eingebaut sind. "Erding ist sowieso der ideale Ort für die Pokémon-Jagd, weil hier weniger Konkurrenz ist als zum Beispiel in München", sagt K.. "Das schöne ist, hier in Erding fallen uns jetzt Bauten und Monumente auf, an denen wir früher blind vorbeigelaufen wären. Man bildet sich", fügt P. hinzu. Auf dem Kreuzweg Richtung Stadtpark an der Station "Jesus erhält das Kreuz" halten beide für einen Moment inne, nicht um dem Leid Jesu zu gedenken, sondern um neue Poké-Bälle, kraftsteigernde Getränke und auszubrütende Eier zu ergattern.

Wie ein Ei ausgebrütet wird

"Damit das Pokémon aus dem Ei schlüpfen kann, muss ich mich zu Fuß oder mit dem Fahrrad, je nach Ei zwei, fünf oder zehn Kilometer mit einer maximalen Geschwindigkeit von 20 Stundenkilometer, fortbewegen", erläutert K. Überschreitet man dabei das Tempo, werden die Kilometer nicht mehr gezählt. Dass einige Spieler Methoden entwickelt haben, um das System auszutricksen, und etwa Plattenspieler oder auf dem Kopf gestellte Fahrräder nutzen, um das Ei auszubrüten, lehnen beide kategorisch ab.

In der Poké-Welt gehört jeder zu einem von drei Teams: blau, gelb oder rot. "Wir gehören beide dem roten Team an, das in den sozialen Netzwerken oft beschimpft wird", erzählt K. Der Grund für die Rivalität und den Neid sei die hohe Mitgliederzahl und die Stärke der Trainer, wissen beide. Einfluss auf die Realität habe das nicht. Tatsächlich laufen Dutzende Jugendliche an ihnen vorbei, schauen sich kurz verständnisvoll an und einige fragen rhetorisch: "Pokémon?". Man nickt sich gegenseitig zu und grinst.

Unbekannte reden miteinander

Während beide im Gleichschritt auf die Kampfarena am "Kreisel für Erding" im Stadtpark zulaufen, um sie zu erobern, fällt ihnen eine vierköpfige Familie auf. Die Mutter schiebt die Tochter im Kinderwagen und der Vater trägt den Sohn auf seinen Schultern mit fixiertem Blick auf sein Smartphone, natürlich spielt auch er Pokémon Go. "Sie erlaubt ihm zu spielen. Eine gute Ehefrau", meint K. und wendet sich wieder seinem Kampf zu. Die Mutter zieht an den beiden vorbei und bemerkt, dass sie Pokémon spielen. Resigniert schüttelt sie ihren Kopf und läuft ihrem Mann hinterher.

Lachend nehmen die beiden Studenten diese Aktion zur Kenntnis und wollen nun beweisen, wie Pokémon Go die Menschen zusammenbringt. Taucht auf der Landkarte ein sogenanntes Lockmodul auf, deutet es daraufhin, dass sich mehrere Spieler in der Nähe befinden, um die Pokémon zu ködern und zu fangen. Tatsächlich sitzen an einer Wasserstelle fünf Trainer beisammen, starren auf ihre Bildschirme während sie miteinander sprechen, natürlich über nichts anderes als Pokémon. Als beide sich der Trainer-Gruppe nähern, ist die Freude groß, auf Gleichgesinnte zu treffen. Nicht nur die Begeisterung für das Spiel eint sie, sondern auch die negativen Erfahrungen damit. "Wir wurden mehrfach von der Polizei nach dem Ausweis gefragt, weil wir immer in Gruppen durch die Straßen laufen", erzählt einer von ihnen.

Gefahr für die Wirbelsäule

Inzwischen mehrt sich mancherorts die Kritik an dem Spiel. Für Gesundheitsexperten sei das Problem die gebeugte Körperhaltung, die auf Dauer nicht nur der Wirbelsäule schade, sondern auch die Psyche negativ beeinflusse: Der geknickte Kopf sei nun mal mit Schuld und Trauer verdrahtet. Die Polizei warnt zudem vor einem erhöhten Unfallrisiko durch den fixierten Blick auf dem Bildschirm. "Diese Gefährdung kann ich nicht verstehen, aber wohl, dass sehr junge Kinder, besonders Mädchen auf der Suche nach Pokémon alleine losziehen und in abgelegenen Gegenden landen könnten, um dann Opfer von Gewalttaten zu werden", sagt K. Jenseits dessen scheint die größte Gefahr darin zu bestehen, dass eine Vielzahl von Spielern sich zu sehr rein steigert und zu viel Zeit verschwendet. Nach Wochen und Monaten des exzessiven Spielens zwar die besten Pokémons zu besitzen, aber im realen Leben völlig stehen zu bleiben, diese Sorge teilen beide Spieler im Hinblick auf ihre Generation.

Dennoch erwarten sie manchmal etwas mehr Verständnis für ihren Zeitvertreib seitens der Älteren, von denen sie besonders viel Ablehnung erfahren würden. Ein Mathematik-Student sagt: "Plötzlich sind alle dagegen, weil es etwas Neues und Fremdes ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, dann wird es normal sein." Kurz danach verabschiedet er sich, weil er für eine Prüfung lernen muss. Er muss sich erklären: "Man muss einfach Prioritäten setzen und konsequent sein, aber ich freue mich schon auf die Sommerferien." Sie lachen und freuen sich darüber, dass immer mehr Menschen vom Pokémon-Fieber angesteckt werden. "Es gibt keinen aus unserem Freundeskreis, der das nicht zockt, und wenn es jemanden gibt, dann wird er den Freundeskreis verlassen", merkt K. ironisch an.

Auf Safari durch München

P. hat jüngst an einer besonderen Veranstaltung teilgenommen, die erste Pokémon Go Safari durch die Münchener Innenstadt. Zu der beliebten Opening-Musik "Komm und schnapp sie dir" spielten schätzungsweise 1000 Fans gleichzeitig und brachen zeitweise in Jubelstürmen aus, sobald ein seltenes Pokémon auf dem Radar erschien. K. konnte selbst wegen einer Uni-Prüfung nicht dabei sein, wünscht sich aber so etwas mitzuerleben und plant sogar selber eine Safari in der Erdinger Innenstadt zu organisieren, mit einem gesponserten Turnier und Preisen für die Gewinner.

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