Poing:Erinnerungen an ein Bauerndorf

In Poing führt eine Kulturroute zu historischen Gebäuden und ihren Nachfolgebauten. Die Informationstafeln machen deutlich, wie enorm sich die Gemeinde verändert hat

Von Barbara Mooser, Poing

Würde ein Zeitreisender aus dem Jahr 1920 heute nach Poing kommen, wäre er sich wahrscheinlich ziemlich sicher, dass er die Koordinaten in seiner Zeitmaschine falsch eingegeben hat. Vor 100 Jahren war Poing noch ein Bauerndorf, stolze Höfe säumten die Hauptstraße, dazwischen ein paar elegante Villen und viele Wiesen und Felder. Wo noch bis in die Fünfzigerjahre das alte Waaghäusl stand und Gänse auf der Wiese davor schnatterten, treffen heute vier Straßen aufeinander, längst braucht es eine Ampel, damit man als Fußgänger sicher auf die andere Seite kommt. Das Waaghäusl ist weg, ebenso wie das alte Gmoahaus ein paar Schritte weiter, die Genossenschaftsmolkerei und die meisten Bauernhäuser. Dennoch können sich nun auch diejenigen ein Bild vom historischen Poing machen, die die Gemeinde noch nicht so gut kennen: Eine neue Kulturroute, die sukzessive ausgebaut werden soll, stellt 29 markante Punkte vor, auch online kann man den Streifzug unternehmen.

Die Idee dazu hatte Heimatforscher Helmut Ganslmaier, der erstmals bei den Feiern zum Gemeindejubiläum im Jahr 2010 Führungen durch Poing anbot, die - für ihn damals überraschend - auch bei jungen Leuten sehr gut ankamen. Gemeinsam mit Birgitta Nagel vom Kulturamt Poing hat er die Route erarbeitet, die vor allem durch den Beitrag von Peter Dreyer spannend wird: Er hat ein riesiges Archiv mit historischen Fotos von Poing und konnte zu fast allen Orten, die Ganslmaier zeigen wollte, die richtige Bebilderung liefern. Auf Stelen mit Informationstafeln ist kurz erklärt, welche Bedeutung die Häuser im Ortsgebiet hatten. Wobei in sehr vielen Fällen die alten Häuser längst verschwunden und durch moderne Wohn- und Geschäftshäuser ersetzt worden sind. Entsprechend heftig fällt der Kontrast zwischen den Häuschen auf den Bildern und dem, was heute hier steht, aus.

Etwa, wenn man das Rathaus betrachtet, auf das moderne Hochhaus im alten Ortszentrum war man in den Sechzigern enorm stolz. An seiner Stelle stand bis dahin aber das zweite Poinger Schulhaus. In den Jahren 1908 und 1909 hatte man es für die wachsende Poinger Kinderschar errichtet, Platz hatte in dem Bau allerdings damals auch noch die Gemeindeverwaltung. Nicht lange allerdings. Schon wenig später zog die Schule in einen Neubau nebenan um, "die modernste Schule im Landkreis", wie sich Helmut Ganslmaier noch gut erinnert. Heute ist auch diese Schule schon wieder Geschichte, wo sie bis vor kurzem stand, klafft jetzt eine gewaltige Baugrube.

Nur ein paar Schritte vom Rathaus entfernt steht aber sogar noch die allererste Schule, die Poing je hatte. Im Jahr 1873 wurde sie errichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt mussten die Poinger Schulkinder nach Anzing gehen, im Jahr 1840 wurden in der dortigen Schule, wie Ganslmaier erzählt, 130 Kinder in drei Räumen unterrichtet - mit nur einem Lehrer. Als das erste Poinger Schulhaus zu klein wurde, zog ein prominenter Bewohner ein: Otto Eckart, Chef der berühmten Pfanni-Werke. Er mietete das Haus für zehn Mark pro Monat, bevor er später in ein größeres Anwesen in Poing umzog. Heute bemüht sich die Gemeinde Poing, das alte Schulhaus, das in Privatbesitz ist, unter Schutz stellen zu lassen.

Einige andere ältere Bauten haben sich rund um die Kirche erhalten, wenn auch nicht das historische Gasthaus Liebhart, das vor wenigen Monaten abgerissen wurde, dennoch Teil der Kulturroute ist. Im alten Liebhart wurden nicht nur bis in die Neunzigerjahre wilde Feste gefeiert, wie sich Ganslmaier noch gut erinnert, hier fand auch ein Teil der etwa 600 Heimatvertriebenen, die nach dem Krieg nach Poing kamen, ein erstes Dach über dem Kopf. Viele von ihnen siedelten sich später in Poing an. Damals, so Ganslmaier, kostete ein Quadratmeter Baugrund noch 60 Pfennig.

Auch entlang der Hauptstraße gibt es noch einige Bauten, die über die Jahrzehnte hinweg kaum verändert worden sind: Das elegante Lanzl-Anwesen etwa, mit seinem liebevoll gepflegten Garten, sieht heute noch fast so aus wie auf der historischen Aufnahme von 1940. Oder die Moar-Villa ein Stück die Straße hinauf. Sie wird gerade renoviert, dass das Gebäude aus dem Jahr 1906 ein Schmuckstück für die Poinger Ortsmitte ist, erkennt man trotz der Gerüste.

Auch der Moar-Hof an der Anzinger Straße, 1486 erstmals urkundlich erwähnt, steht noch. Wenn auch nicht das Ursprungsgebäude, sondern ein Nachfolgebau aus dem Jahr 1907. Der Hof hatte auch ein privates Brennrecht, den hohen Kamin der Brennerei gibt es noch. Die vergärten Reste aus der Brennerei seien an das Vieh verfüttert worden, berichtet Ganslmaier: "Deshalb spricht man wohl von glücklichen Kühen." Historisch ist auch der Humpelmeierhof in der Hauptstraße, das Gebäude ist mehr als 100 Jahre alt, eine Villa daneben stammt von 1923. Bald wird aber auch dieser Hof nur noch auf historischen Aufnahmen zu finden sein: Hier entsteht die Verlängerung der Anzinger Straße, dafür muss er weichen.

Die Kulturroute ist auch im Internet zu erkunden: www.poing.de/haus. Informationen zu den Gebäuden gibt es auch mit einem QR-Code an den Informationstafeln.

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