Neustart im November:Wiedergeburt

Es ist außergewöhnlich, dass die geschlossene Geburtshilfe am Klinikum weiter macht

Von Florian Tempel, Erding

Als am 1. Juli die Hebammen am Klinikum Erding die Arbeit niederlegten und dort keine natürlichen Geburten mehr möglich waren, war das für viele eine Schocknachricht: Ein Kreiskrankenhaus ohne Kreißsaal, ein Armutszeugnis für einen so selbstbewussten, so jungen und finanzkräftigen Landkreis. Zum Kinderkriegen mussten sich schwangere Frauen fortan erst mal eine halbe Stunde und länger mit dem Auto nach Freising, München oder Ebersberg fahren lassen. Und ihre Babys erhielten dann eben diese Städte als Geburtsort in den Pass eingetragen und nicht Erding. Eine einzige Schande, ein Skandal.

Im November wird man am Klinikum Erding wieder zur Normalität zurückkehren. Wobei es - das wurde bei einer Pressekonferenz zur bevorstehenden Wiedereröffnung der Kreißsäle deutlich -, eben gar nicht als normal gelten kann, dass das gelungen ist. Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) sagte, dass es "für alle Beteiligten ein enormer Kraftakt" gewesen sei. Er verwies jedoch nicht ohne Stolz auch darauf, es sei "wahrscheinlich deutschlandweit einzigartig", dass eine bereits geschlossene Geburtsabteilunge wieder den Betrieb aufnimmt. Denn dass Kreißsäle dichtgemacht werden, ist längst nichts Besonderes mehr. Dass sie wieder aufmachen, ist absolut außergewöhnlich.

Wie ist das gelungen? Bei der von Bayerstorfer einberufenen Pressekonferenz betonten alle Beteiligten - ob Hebammen, Ärztinnen, Klinikmanager oder Politiker -, dass alle sich sehr intensiv bemüht hätten, um das Ziel der Wiedereröffnung der Kreißsäle zu erreichen. Der entscheidende Punkt war, neue Hebammen zu finden, die als Beleghebammen im Klinikum Erding arbeiten wollen. Von den vormals im Klinikum tätigen acht Hebammen sind nur noch drei an Bord. Drei neue Hebammen fanden sich in relativer Nähe zu Erding. Diese drei seien alle sehr berufserfahren und kehrten nach eine Kinderpause zurück in die klinische Geburtshilfe, erklärte Annemarie Wolf, eine Sprecherin der Hebammen. Drei weitere Kolleginnen habe man in Kliniken im Großraum München abwerben können.

Das gelang mit Neuerungen, die die Arbeit in Erding für Hebammen attraktiver macht als bisher und als anderswo. Ein Punkt ist, dass der wenig beliebte Bereitschaftsdienst wegfällt. In Zukunft wird immer eine Hebamme im Dienst sein und nur in Ausnahmefällen eine zweite dazu kommen. Die diensthabende Hebamme erhält dafür tagsüber Unterstützung durch eine Kinderkrankenschwester, die ihr Aufgaben abnimmt, die nicht unbedingt von einer Hebamme geleistet werden müssen, zum Beispiel die viele Schreibarbeit. Nachts und abends unterstützt eine Kinderpflegerin die Hebamme nach Bedarf. Unter dem Strich kostet dieses System das Klinikum Erding mehr Geld als der bisherige Bereitschaftsdienst. Doch "das ist es uns wert", sagte Landrat Bayerstorfer.

Ebenso wie ein weiterer finanzieller Aspekt: die Beleghebammen in Erding werden gegen Verdienstausfälle abgesichert. Sollten sie, womit in den ersten Monaten nach der Wiedereröffnung zu rechnen ist, nur wenige Geburten im Klinikum betreuen, erhalten sie Ausgleichszahlungen. Ein dritter Punkt, der den Landkreis etwa 100 000 Euro kostet, ist die Modernisierung der Kreißsäle. In den kommenden Wochen werden schöne Böden verlegt, die Wände in angenehmen Farben gestrichen, neues Mobiliar angeschafft, bis hin zu hochauflösenden Bildschirmen, die den Gebärenden beruhigende Naturaufnahmen zeigen sollen. Letzteres ist auch fast einzigartig. HD-Bildschirme im Kreißsaal sind sonst nur von einer Klinik in Braunschweig bekannt.

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