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Nahverkehr: Die Abgeschiedenheit machte den Reiz des ehemaligen Ausflugslokals Stiller aus. Nun ist sie ein Riesenproblem für viele Bewohner.

Die Abgeschiedenheit machte den Reiz des ehemaligen Ausflugslokals Stiller aus. Nun ist sie ein Riesenproblem für viele Bewohner.

(Foto: Renate Schmidt)

Die Asylunterkunft in Lindum ist miserabel an die Stadt Dorfen angebunden. Trotzdem soll sie mit noch mehr Menschen belegt werden. Die Flüchtlingshilfe schlägt Alarm, die Bezirksregierung sieht keinen Handlungsbedarf

Von Florian Tempel, Dorfen

"Um die Teilnahme am Gemeinschaftsleben zu erleichtern, sollen Gemeinschaftsunterkünfte nach Möglichkeit in oder im Anschluss an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil eingerichtet werde." Das war einmal einer der Grundsätze zur Unterbringung von Flüchtlingen in Bayern. So stand es in den 2010 verfassten Leitlinien des bayerischen Sozialministeriums, die alle nachgeordneten Behörden zu beachten hatte. Bis zum 3. August 2015, als die Leitlinien "außer Vollzug gesetzt" wurden. Nur vier Wochen später wurde damals bekannt, dass das Gasthaus Stiller vom Immobilienunternehmer Georg Scharl gekauft worden war, um es zu einem Asylwohnheim umzubauen. So weit draußen, drei Kilometer von Dorfen entfernt, wäre das vorher nicht zulässig gewesen. Lindum ist kein "im Zusammenhang bebauter Ortsteil", sondern eine Handvoll verstreuter Anwesen. Die idyllische Abgeschiedenheit machte den Reiz des Ausflugslokal aus.

Als im Juni 2016 die Umbauten beendet waren, gab es viel Lob für die freundliche Gestaltung der Räumlichkeiten. Viel besser war das als die miserablen alten Klassenzimmer-Containern, in denen damals andernorts Flüchtlinge wohnen mussten. Ein Riesenproblem aber war von Anfang an unübersehbar: Es gab und gibt keine vernünftige Anbindung von Lindum nach Dorfen. Es gibt keinen Fußweg, man muss auf dem Bankett einer kurvigen Staatsstraße gehen. Es gibt auch nur einen Bus am Tag nach Dorfen und einen pro Tag nach Erding, der aber in den Schulferien nicht fährt. Die Bushaltestelle ist wie zum Hohn kürzlich um einen Kilometer weiter weg verlegt worden. "Wie sollen die Menschen ihre Behördengänge, ihre Einkäufe, ihren Besuch bei der Tafel oder ihre Arztbesuche machen? Wie sollen die Mütter ihre Kinder menschenwürdig versorgen können?", fragt Anton Empl, Mitglied des Vereins Flüchtlingshilfe Dorfen. Empl und andere Ehrenamtliche fahren täglich mit ihren privaten Autos von und nach Lindum. Fast die Hälfte der aktuell 73 Bewohnern sind Kinder. "Im Kinderkrankenhaus in Landhut sind wir Stammgäste", sagt Franz Leutner, einer der drei Vorsitzenden der Flüchtlingshilfe.

Der Pressesprecher der Regierung von Oberbayern, die für die Unterkunft zuständig ist, teilt hingegen mit: "Eine Lage wie die der Gemeinschaftsunterkunft in Lindum ist nicht ungewöhnlich. Schwerwiegende Probleme, die daraus resultieren würden, sind uns nicht bekannt." Man kann das auch so verstehen: Die Regierung von Oberbayern sieht keinen Handlungsbedarf, weil die Ehrenamtlichen die Probleme lösen. Die Bezirksregierung sieht es auch nicht als notwendig an, sich mit dem Verein Flüchtlingshilfe und der Stadtverwaltung zusammenzusetzen und die Situation in Lindum zu besprechen. Ansprechpartner für die Dorfener sei "der zuständige Unterkunftskoordinator". Mit dem haben die Ehrenamtlichen zwar sehr wohl und guten Kontakt. Doch er steht in der Behördenhierarchie nicht so weit oben, dass er wesentliche Entscheidungen treffen könnte. Also wird nichts passieren, gar nichts. Dabei wird die Lage in Lindum noch schwieriger werden.

Bis Dezember 2017 lebten hier Familien. Dann wurden über Nacht mehr als ein Dutzend Singlemänner einquartiert. Unlängst kam eine Frau mit vier Kindern, Flüchtlinge aus dem Jemen, die in ein Zimmer im Souterrain direkt neben den Toiletten gesteckt wurden. Die Bezirksregierung schreibt: "In Kürze werden weitere Asylsuchende einziehen. Insgesamt werden dann etwas über 70 Personen in der Gemeinschaftsunterkunft leben." Sind es nicht jetzt schon so viele? Die Behörden rechnen anders: Ein Kind ist keine Person. Das führt zu Ankündigungen, die die Bewohner schwer verunsichern: Eine Frau mit kleinen Kindern soll keinen Anspruch mehr auf ein Zimmer für sich und ihre Kindern haben. Ein anderer Fall: Zwei Jugendliche sollen aus ihrem eigenen Zimmer ausziehen und zurück ins Zimmer ihrer Eltern und zwei kleinen Geschwistern. Der pensionierte Lehrer Anton Empl kann das nicht fassen: "Wie sollen diese Heranreifenden, ihr eigenes Leben führen und ihren Schulpflichten nachkommen können, wenn der schwer traumatisierte Vater nachts nicht mehr schlafen kann und die Mutter die halbe Nacht weint?"

In den außer Kraft gesetzten bayerischen Leitlinien stand auch: "Ziel ist, die besondern Belange von Familien zu berücksichtigen". Die Bezirksregierung schreibt nun: "Es ist verständlich, wenn sich Betroffene subjektiv 'beengt' fühlen, wenn es bisher mehr Platz gab. Das ist aber die Situation in allen Unterkünften, die sukzessive belegt werden. Außerdem haben wir selbstverständlich auf die wirtschaftliche und verantwortungsvolle Verwendung der öffentlichen Mittel zu achten, dazu gehört auch die bestmögliche Nutzung der vorhandenen Kapazitäten."

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